Inhalt
- Editorial: Langzeitnutzen/-risiko
- Spezifische Immuntherapie bei Allergien
- Nebivolol
- Update akute Gicht
Editorial
Wie sicher können wir sein, dass zugelassene Medikamente bei einer chronischen Therapie die Mortalität der Patienten/innen positiv, vor allem aber nicht negativ beeinflussen?
Welche Parameter sind bei klinischen Prüfungen und bei der Zulassung primär entscheidend? Bei vielen Therapien ist die Heilung das erste Ziel (z.B. Antibiotika bei infektiösem Geschehen), bei vielen Erkrankungen gelingt dies nicht und die Verbesserung der Symptome (z.B. Schmerz) steht im Vordergrund oder es wird die Beeinflussung von sogenannten Surrogatparametern (wie der Cholesterinspiegel) bewertet. Entscheidend für die endgültige Bewertung einer Langzeittherapie ist aber, ob eine Verschlechterung der Erkrankung und das Auftreten von Komplikationen verhindert wird und letztlich ob sich die Mortalität reduziert. Im Folgenden wollen wir wichtige Medikamentengruppen besprechen und aufzeigen, ob solche Daten in Endpunktstudien für den Langzeitnutzen vorliegen und ob diese Daten, die fast immer nach der Zulassung erhoben wurden, den Nutzen der Medikamente bestätigten, zu einer neuen Risiko/Nutzenbewertung oder gar zur späteren Marktrücknahme führten.
Die Hochdrucktherapie war eines der ersten Beispiele, wo Langzeitstudien die positive Beeinflussung der Komplikationen und die Mortalitätssenkung belegten und zwar für Diuretika, Betablocker, Kalziumkanalblocker, ACE-Hemmer und Angiotensin Rezeptorantagonisten, allerdings nicht für alpha-Blocker (Pharmainfo XV/3/2000; XXI/3/2006). Für neuzugelassene Substanzen aus dieser Gruppe wird oft bei Senkung des Surrogatparameters Hochdruck ein positiver Klasseneffekt auf die klinisch relevanten Parameter wie kardiovaskuläre Komplikationen angenommen; z.B. für den Renin-Hemmer Aliskiren (Rasilez: siehe Pharmainfo XXIII/2/2008), bzw. für den Betablocker Nebivolol (Nomexor, Nebivolol: siehe diese Info). Ohne entsprechende Studien ist dies aber nicht verlässlich und solche Studien werden bei der Zulassung nicht verlangt.
Bei Angina pectoris haben wir für das neue Medikament Ivabradin (Procoralan) berichtet (Pharmainfo XXII/4/2007), dass noch keine Endpunktstudien vorliegen. Eine neue Studie (1) an Patienten/innen mit Koronarerkrankung und Herzinsuffizienz zeigt für die Gesamtpatienten/innen keinen positiven Effekt auf Herzinfarkt und Mortalität, nur in einer Subgruppe von Patienten/innen mit einem Ausgangswert der Herzfrequenz von über 70 war die Herzinfarktrate, aber nicht die Mortalität, gesenkt. Ein Großteil (87%) dieser Patienten/innen erhielt bereits Betablocker.
Bei der Herzinsuffizienz wurde die lebensverlängernde Wirkung von Betablockern, ACE-Hemmern und Aldosteronantagonisten schon bei der Bewilligung der Zulassung für diese Indikation belegt, für die jahrzehntelang im Vordergrund stehenden Digitalisglykoside wurden hingegen nur widersprüchliche Daten zur Mortalität gefunden, sodass für diese Substanzen nur eine symptomatische Verbesserung zu Buche schlägt (Pharmainfo VI/1/1991).
Für Medikamente zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen haben Studien zum Parameter Mortalität immer wieder Probleme aufgezeigt. In der Nachbehandlung von Herzinfarktpatienten/innen haben Substanzen der Klasse I wie Flecainid (Aristocor) zu einer Erhöhung der Mortalität geführt, und dies gilt auch für Sotalol (Sotacor, Sotalol Generika) aus der Klasse III, während für Amiodaron (Sedacoron, Amiodaron Generika) positive Daten erzielt wurden (siehe Pharmainfo XIII/1/1998; IX/3/1994). Für eine neue Substanz Dronedaron, die elektrophysiologisch Amiodaron ähnelt, wurde eine positive Wirkung bei Vorhofflimmern (d.h. Verhinderung des Wiederauftretens) belegt (2), bei Patienten/innen mit Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen führte diese Substanz aber zu einer erhöhten Mortalität (2a). Der Registrierungsantrag bei der EMEA in London wurde 2006 zurückgezogen (18. Sept. 2006 - EMEA). Inzwischen wurde allerdings eine Neuzulassung beantragt. Auf jeden Fall ist es für diese Substanzgruppe entscheidend, dass von Anfang an entsprechend lange Studien mit dem Endpunkt Mortalität vorliegen.
Im Bereich des Lipidstoffwechsels diente eine Zeitlang die Senkung des Cholesterinspiegels als Surrogatparameter, inzwischen ist aber für die Statine sowohl die Reduktion der kardiovaskulären Ereignisrate als auch der Mortalität überzeugend belegt.
Für das zuletzt zugelassene Statin Rosuvastatin (Crestor) haben diese Daten allerdings lange gefehlt (Pharmainfo XIX/3/2004). Eine Studie zeigte zwar eine Verringerung der Zunahme der Carotis-Intima Dicke unter dieser Therapie, dies ist aber letztlich auch nur ein Surrogatparameter (3). In einer Studie bei Patienten/innen mit systolischer Herzinsuffizienz senkte Rosuvastatin zwar das LDL-Cholesterin, beeinflusste aber nicht die kardiovaskuläre Mortalität (3a, siehe auch 3b). Ob dies auf die spezielle Patienten/innengruppe zurückzuführen war, ist ungeklärt. Eine weitere Studie hat aber nun relevante Daten zur Mortalität gebracht. Die sogenannte Jupiter Studie (4) untersuchte an Patienten/innen mit normalen bis niedrigen LDL-Werten und erhöhtem CRP den Einfluss von Rosuvastatin auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Aufgrund positiver Zwischendaten wurde sie nun vorzeitig beendet (4a). Es dürfte daher jetzt für alle Statine gelten, dass positive Langzeitdaten vorliegen. Dies ändert nichts daran, dass Simvastatin (Simvastatin Generika, Zocord) als best untersuchtes und preislich günstiges Präparat Mittel der ersten Wahl bleibt (5).
Für den Lipidsenker Ezetimib (Ezetrol) ist die Bewertung (siehe Pharmainfo XIX/3/2004) weiterhin unklar. Dieses Mittel senkt den Cholesterinspiegel (über eine Hemmung der Resorption: siehe Pharmainfo XIX/3/2004). Eine zusätzliche Gabe von Ezetimib zu Simvastatin (als Kombinationspräparat: Inegy) erniedrigte zwar das LDL-Cholesterin um 58% (nur Simvastatin: 41%), aber veränderte nicht weiter die Intima-Media Dicke der Carotis (6). In einer weiteren Studie wurde geprüft, ob die Kombination von Simvastatin und Ezetimib bei Aortenklappenstenose eine Progression und kardiovaskuläre Komplikationen reduzieren könnte (7). Dies war nicht der Fall, zusätzlich kam es zu einer signifikanten Erhöhung von Krebserkrankungen (7,7a: Editorial: "It is an uncertain association, but a note of caution is justified"). Diese Daten zeigen, wie dringend für Ezetimib Langzeit-Studien mit den relevanten Endpunkten notwendig sind. Bis diese durchgeführt werden bleibt diese Substanz ein Reservemittel.
Für die Gruppe der Fibrate (Gemfibrozil: Gevilon, Fenofibrat: Lipcor, Fenofibrat Generika und Bezafibrat: Bezalip, Bezafibrat Generika) hat kürzlich das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM: 1. Juli 2008) folgenden Text für die Fachinformation verlangt: "Es liegen Belege dafür vor, dass eine Behandlung mit Fibraten die Häufigkeit von schwerwiegenden Ereignissen bei koronaren Herzerkrankungen reduziert, dass jedoch keine Hinweise für einen positiven Effekt im Hinblick auf die Gesamtmortalität in der primären oder sekundären Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen vorliegen."
Zum Thema Fettsucht haben wir betont (siehe Pharmainfo XXIII/1/2008), dass die entscheidenden Langzeitstudien fehlen. Für Rimonabant (Acomplia) hat jetzt eine erste Studie zur Beeinflussung der Carotis-Intima Dicke negative Daten (d.h. keinen Effekt) gebracht (8,9). Wir haben in der Pharmainfo XXIII/1/2008 auf das Risiko von Depressionen bei Acomplia hingewiesen und dieses Präparat nur als Reservemittel eingestuft. Jetzt wurde von der EMEA wegen dieser Nebenwirkung ein Ruhen der Zulassung beantragt (23. Oktober 2008).
Beim Diabetes haben wir mehrmals betont, dass Studien über Surrogatparameter wie Blutzucker und glykosyliertes Hämoglobin nichts über Langzeitnutzen (z.B. Verhinderung der kardiovaskulären Komplikationen) und Sicherheit aussagen, die letztlich nur für Sulfonylharnstoffe, Metformin und Insulin belegt sind.
Für Glitazone (Pioglitazon: Actos; Rosiglitazon: Avandia) haben längere Studien Herzinsuffizienz, eine erhöhte Frakturrate bei Frauen und möglicherweise eine Erhöhung der Herzinfarktrate (für Rosiglitazon) gezeigt (Pharmainfo XXII/4/2007). Für Pioglitazon (Actos) konnte allerdings für den Surrogatparameter Koronarsklerose im Vergleich zu Glimepirid (Amaryl, Glimepirid Generika) eine Reduktion der Skleroseprogredienz festgestellt werden (10). Für die neu zugelassenen Inkretine (Exenatid: Byetta; Hemmer der DPP-4: Sitagliptin: Januvia; Vildagliptin: Galvus) liegen überhaupt noch keine Langzeitdaten vor (Pharmainfo XXIII/3/2008). Gerade für diese Medikamentengruppe hat die Diskussion begonnen, ob eine Zulassung nicht erst bei Vorliegen solcher Studien vertretbar ist.
Beim Asthma bronchiale liegen für die inhalative Cortisontherapie Langzeitdaten vor, die eine Verhinderung der Krankheitsverschlechterung und damit der Asthmamortalität belegen, während dies für andere Substanzen wie Montelukast (Singulair) als Mono-Therapie nicht der Fall ist. Diese Substanz sollte daher nur additiv gegeben werden (Pharmainfo XVI/3/2001). Für die als erste Asthmamittel zugelassenen kurzwirksamen ß2-Mimetika als intensive Monotherapie waren Hinweise auf eine erhöhte Mortalität aufgetreten und auch für eine Therapie mit langwirksamen ß2-Mimetika, wenn sie nicht zusammen mit einer inhalativen Cortisontherapie gegeben werden, sind negative Resultate wahrscheinlich (Pharmainfo XVI/3/2001; XIX/1/2004).
Für COPD hat eine Metaanalyse (10a) für die Langzeiteffekte von Anticholinergika (Ipratropiumbromid: Atrovent, Tiotropiumbromid: Spiriva) ein um ca. 50% erhöhtes Risiko für den Parameter kardiovaskuläre Mortalität, Herzinfarkt und Schlaganfall ergeben. Eine prospektive, gerade publizierte Langzeitstudie (4 Jahre, 5993 Patienten/innen) zeigte aber für Tiotropium keine Änderung der Mortalität und eine Reduktion von Herzinsuffizienz und Herzinfarkten, allerdings auch keine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs (10b).
Bei der Hormonersatztherapie, die wegen ihrer positiven Wirkung bei Wechselbeschwerden millionenfach verwendet wurde, zeigten erst spät durchgeführte prospektive Studieneinen Zusammenhang mit kardiovaskulären Komplikationen und eine Erhöhung des Mammakarzinomrisikos, sodass sie heute nur bei strenger Indikationsstellung und für möglichst kurze Zeit verwendet werden sollte (siehe Pharmainfo XVII/3/2002; XVIII/4/2003). Es gibt Hinweise (aber nicht Beweise) darauf, dass die inzwischen erfolgte deutliche Reduktion in der Verschreibung dieser Hormone zu einer Reduktion der Mammakarzinomfrequenz in den USA führte (11).
Cox II-Hemmer wurden als "gastrointestinal sichere NSAR" propagiert und sofort nach Marktzulassung millionenfach verwendet. Erste Hinweise auf kardiovaskuläre Probleme wurden nicht beachtet bzw. auch unterdrückt, bis dann mehrere Präparate vom Markte genommen werden mussten und die verbliebenen einer neuen Indikationsstellung unterworfen wurden (siehe Pharmainfo XXIII/3/2008). Überraschend war dann, dass auch zahlreiche seit Jahrzehnten verwendete NSAR mit der vermutlichen Ausnahme von Naproxen (Proxen, Naproxen Generika) ebenfalls kardiovaskuläre Komplikationen begünstigen (Pharmainfo XXIII/3/2008).
Für Osteoporose wurde in früheren Studien nur der Surrogatparameter Knochendichte bestimmt, dann aber der wesentliche und für den Patienten/die Patientin entscheidende Parameter Frakturinzidenz (siehe Pharmainfo XXII/1/2007). Diese wird durch Bisphosphate aber auch weitere Mittel (siehe Pharmainfo XXII/1/2007) gesenkt. In einer Studie senkte Zoledronat (Aclasta, Zometa) sogar die Mortalität, dies dürfte zumindest teilweise auf reduzierte Frakturen zurückzuführen sein (12).
Prospektive Studien haben auch die Bewertung der Vitamine verändert. Zufuhr von Vitamin A, C und E bei normal Ernährten hat nicht nur keine positiven Wirkungen (wie Krebsprävention oder Reduktion der Herz-Kreislauferkrankungen), sondern möglicherweise für Vitamin A und E sogar eine geringfügige Erhöhung der Mortalität (Pharmainfo XIX/2/2004; XXII/2/2007). Für Folsäure ist die Möglichkeit einer positiven Beeinflussung von kardiovaskulären Problemen unwahrscheinlich geworden (Pharmainfo XXII/2/2007, siehe auch 13), ob dieses Vitamin das Risiko des Colonkarzinoms erhöht, wird in derzeit laufenden Studien geklärt (14,15). Für Vitamin D (Krebsprävention?) sind ebenfalls noch Studien abzuwarten.
Neuroleptika haben bei Erregungszuständen im Rahmen der Altersdemenz eine positive Wirkung auf die Symptome, genauere Studien haben aber gezeigt, dass diese Therapie die Mortalität erhöht, was zu Konsequenzen für die Indikationsstellung führte (Pharmainfo XXI/4/2006, siehe auch 16). Für die Substanzen Donepezil (Aricept), Rivastigmin (Exelon), Galantamin (Reminyl), die bei Alzheimer Patienten/innen verwendet werden, liegen anscheinend kaum Daten zur Langzeitmortalität vor, für Galantamin wurde allerdings in 2 Studien bei Patienten/innen mit geringfügiger Demenz, aber nicht bei Alzheimer Patienten/innen, eine erhöhte Mortalität gefunden (17,18)
Die Erythropoetine, die bei renaler Anämie eine wichtige Rolle haben, wurden auch bei Tumoranämie propagiert und trotz so manch kritischer Warnung millionenfach verwendet. Um viele Jahre zu spät zeigten nunmehr prospektive Studien, dass Erythropoetin bei Krebspatienten/innen die Mortalität erhöhen kann, was zu entsprechenden Warnungen der Zulassungsbehörden führte (19,20).
Aprotinin (Trasylol: vom Markt genommen) wurde zur Reduktion von Blutverlusten bei Herzoperationen über viele Jahre verwendet. 2006 wurde eine erhöhte Mortalität mit dieser Substanz in Zusammenhang gebracht (siehe 21), während dies für andere antifibrinolytische Mittel (Aminocapronsäure: in Österreich nicht registriert; und Tranexamsäure: Cyklokapron) nicht der Fall war. Nach einer längeren kontroversen Diskussion wurde dies nun durch eine gut durchgeführte Studie (21) wohl endgültig bestätigt. Inzwischen ist Aprotinin vom Markt genommen worden und es verbleiben Tranexamsäure und Aminocapronsäure, die bisher als althergebrachte Präparate zwar weniger verwendet wurden, obwohl sie im Preis deutlich günstiger waren.
Welche Konsequenzen ergeben sich für uns aus den oben dargelegten Fakten?
Wir stehen vor dem Phänomen, dass moderne Medikamente viele Therapien im positiven Sinne revolutioniert haben. Die angeführten Beispiele für Langzeittherapien zeigen aber bis in die heutige Zeit, dass eine evidence-based medicine ein positives Nutzen/Risiko Verhältnis erst garantiert, wenn dieses auf Langzeitstudien mit klinisch relevanten Parametern (einschließlich der Mortalität) beruht. Es erscheint äußerst bedenklich, wenn es so viele Medikamente gegeben hat, bei denen Langzeitstudien erst sehr spät(d.h. nach negativen Folgen für die Patienten/innen) durchgeführt wurden. Erfreulich hingegen ist, dass für viele Medikamente heute solche Daten vorliegen und die Diskussion begonnen hat, ob man schon bei der Zulassung solche Daten im Interesse der verschreibenden Ärzte/Ärztinnen und der Patienten/innen verlangen soll.
Für uns ergibt sich aber derzeit folgende Konsequenz: Bei der Verschreibung von neuen Substanzen, für die diese Daten nicht vorliegen, ist in den ersten Jahren, wenn es therapeutisch vergleichbare Alternativen gibt, Zurückhaltung angebracht. Wenn Substanzen einen therapeutischen Durchbruch ermöglichen, was leider äußerst selten geworden ist, ist die Situation natürlich anders.
Für diese Zurückhaltung spricht auch, dass sehr seltene, aber auch gefährliche Nebenwirkungen meist erst Jahre nach der Zulassung erkannt werden können.
Es ist daher nicht "old fashioned", sondern klug, wenn man lang bewährte Präparate, für die verlässliche Daten vorliegen, bevorzugt. Zusätzlich ergibt sich daraus meist der Vorteil geringerer Kosten - sodass sich hier medizinische Vernunft und Wirtschaftlichkeit verbinden. Diese Vorgangsweise liegt offensichtlich nicht immer im Interesse der Pharmaindustrie, da sie die patentgeschützten Jahre verständlicherweise ausnutzen will. Es ist aber die medizinische Verantwortung entscheidend.
Literatur:
(1) Lancet 372,807,2008
(2) NEJM 357,987,2007
(2a ) NEJM 358,2678,2008
(3) JAMA 297,1344,2007
(3a) NEJM 357,2248,2007
(3b) Lancet 372,1231,2008
(4) Am J Cardiol 100,1659,2007
(4a) NEJM 359, 2195,2008
(5) Drug Ther Bull 45,33,2007
(6) NEJM 358,1431,2008
(7) NEJM 359,1343,2008
(7a) NEJM 359,13,2008
(8) JAMA 299,1547,2008
(9) JAMA 299,1601,2008
(10) JAMA 299,1561,2008
(10a) JAMA 300,1439,2008
(10b) NEJM 359,1543,2008
(11) NEJM 356,1670,2007
(12) NEJM 357,1799,2007
(13) JAMA 299,2027,2008
(14) JAMA 297,2351,2007
(15) JAMA 297,2408,2007
(16) BMJ 337,64,2008
(17) Cochrane Review, Issue 3,2008
(18) Can Med Am J 178,1273,2008
(19) JAMA 299,2016,2008
(20) JAMA 299,914,2008
(21) NEJM 358,2398,2008
Spezifische Immuntherapie bei Allergien
Das Ziel der spezifischen Immuntherapie (SIT) ist die „kausale“ Therapie von Typ-I-Allergien, das heißt, es soll die Reaktionsbereitschaft auf Allergene herabgesetzt werden. Nach einer erfolgreichen SIT sind allergiebezogene Beschwerden seltener und weniger intensiv, der Bedarf an antiallergischer Medikation sinkt. Die SIT kommt bei allergischer Rhinokonjunktivitis und Asthma bronchiale, ausgelöst durch Pollen oder Hausstaubmilbe, sowie bei Insektengiftallergie zum Einsatz. Die Behandlung kann ab dem fünften Lebensjahr begonnen werden. Die Indikation zur SIT wird gestellt, wenn durch Maßnahmen der Allergenkarenz und durch eine antiallergische Medikation keine Beschwerdefreiheit erzielt werden kann. Das Therapieprinzip besteht in der Zuführung von beschwerderelevanten Allergenextrakten in kleinsten und ansteigenden Dosen,wodurch eine Toleranz gegenüber dem entsprechenden Allergen entstehen soll. Bisher sind nicht alle Pathomechanismen, die für den klinischen Erfolg der SIT verantwortlich sind, aufgeklärt.
Die klassische, seit über 30 Jahren angewandte Applikationsform der SIT ist die subkutane Injektion. Die Wirksamkeit ist bei allergischer Rhinokonjunktivitis (1), Asthma bronchiale (2) und bei systemischen Reaktionen auf Bienen- oder Wespenstiche (3) belegt. Die subkutan applizierte SIT kann eine Ausweitung des Allergenspektrums (4) und die Progression von allergischer Rhinokonjunktivitis zu Asthma bronchiale (den „Etagenwechsel“) verhindern (5).
Die am meisten gefürchtete Nebenwirkung der subkutanen SIT besteht im Auftreten einer systemischen anaphylaktischen Reaktion bis hin zum lebensbedrohlichen Schock. Bei Beachtung der Kontraindikationen und korrekter Injektionstechnik ist die Häufigkeit mit 1 pro 2,5 Millionen Injektionen anzunehmen (6). Häufiger, aber ungefährlich sind Lokalreaktionen (Rötung, Schwellung, Juckreiz) an der Injektionsstelle. Die Intensität der genannten Nebenwirkungen kann durch Gabe eines oralen Antihistaminikums 30 bis 60 Minuten vor der Injektion vermindert werden (7). Die gleichzeitige Einnahme von Betablockern gilt als Kontraindikation für die SIT, da befürchtet wird, dass bei einer notwendigen Schockbehandlung die Wirkung von Adrenalin abgeschwächt wird. Ob auch ACE-Hemmer eine Kontraindikation darstellen, wird unterschiedlich beurteilt (8).
Seit etwa zehn Jahren wird neben der subkutanen auch eine sublingual applizierbare spezifische Immuntherapie in Form von Tropfen angeboten (sublinguale Immuntherapie, SLIT). Seit Herbst 2006 ist in Österreich auch eine Tablette, aber nur gegen Gräserpollenallergie (Grazax), zugelassen. Die Therapie mit Grazax sollte etwa vier Monate vor Beginn der ersten Pollensaison begonnen und dann für drei Jahre kontinuierlich angewandt werden. Grazax ist im Gegensatz zu anderen SIT- oder SLIT-Präparaten erst ab dem 18. Lebensjahr zugelassen.
Sowohl die Wirksamkeit als auch die Sicherheit der SLIT werden sehr kontrovers beurteilt.
Bei Erwachsenen wurde für die Zeit der Applikation einer SLIT eine günstige Wirkung im Vergleich zu Placebo gezeigt (9,10), jedoch fehlen Daten zur Langzeitwirkung, also über den Einnahmezeitraum hinaus (8). Zur Beantwortung der Frage, ob die SLIT auch den „Etagenwechsel“ (11) und die Ausweitung des Allergiespektrums (12) verhindern kann, ist die Datenlage ebenfalls noch unzureichend.
Bei Kindern, die von der schmerzfreien Applikation besonders profitieren würden, ist die Wirksamkeit der SLIT überhaupt nicht ausreichend belegt (9,13), und eine routinemäßige Anwendung wird nicht empfohlen (8).
Ein direkter Vergleich der Wirksamkeit von SIT und SLIT wurde nur in kleinsten Studien (mit 36 bzw. 58 Patienten/innen) durchgeführt (14,15). Auch hier ist eine abschließende Bewertung nicht möglich.
Der postulierte Vorteil der sublingualen Applikation besteht in der Sicherheit der Anwendung, weshalb die Medikation vom Patienten / von der Patientin zu Hause, ohne ärztliche Überwachung, eingenommen werden kann. Es wurden jedoch Einzelfälle von anaphylaktischen Reaktionen berichtet (16). Die erstmalige Gabe von Grazax muss jedenfalls in der Ordination bzw. Ambulanz erfolgen. Andere Nebenwirkungen der SLIT treten überwiegend in der Anfangsphase der Behandlung auf und umfassen Brennen der Mundschleimhaut, Müdigkeit, selten Urticaria, Rhinokonjunktivitis und Asthmabeschwerden.
Als allgemein anerkannte Indikationen für die SLIT gelten systemische Reaktionen auf subkutane Immuntherapie und die Ablehnung einer subkutanen Immuntherapie durch den Patienten / die Patientin. Die subkutane SIT bleibt aber Mittel der ersten Wahl. Für die Behandlung von Insektengiftallergien ist die SLIT überhaupt nicht geeignet.
Zusammenfassend bietet die spezifische Immuntherapie neben der Antigenkarenz die einzige Möglichkeit einer „kausalen“ Therapie von Typ-I-Allergien, während Medikamente zur Rhinitis- und Asthmatherapie lediglich Symptome unterdrücken. Für die Zukunft erhofft man sich durch Anwendung von „maßgeschneiderten“ Proteinen oder Peptiden eine noch wirksamere und sicherere Immuntherapie.
Literatur:
(1) NEJM 341,468,1999
(2) Cochrane Database Syst Rev 2003,CD001186
(3) Hautarzt 59,200,2008
(4) J Allergy Clin Immunol 99,450,1997
(5) J Allergy Clin Immunol 109,125,2002
(6) J Allergy Clin Immunol 113,1129,2004
(7) J Allergy Clin Immunol 100,458,1997
(8) Allergo J 15,56,2006
(9) Cochrane Database Syst Rev 2003,CD002893
(10) J Allergy Clin Immunol 121,512,2008
(11) J Allergy Clin Immunol 114,851,2004
(12) Allergy 59,1205,2004
(13) Pediatr Allergy Immunol 19,197,2008
(14) Ann Allergy Asthma Immunol 82,485,1999
(15) Allergy 59,45,2004
(16) Allergy 62 567,2007
Nebivolol (Nomexor, Nebivolol Stada)
Die kardiovaskuläre Wirkung von Betablockern und die daraus folgende Reduktion klinisch relevanter Endpunkte ist gut belegt (Pharmainfo XXI/3/2006).
In den letzten Jahren sind vermehrt Betablocker mit besonderen Eigenschaften entwickelt worden (1). So wurden neben der betablockierenden Wirkung eine alphablockierende Wirksamkeit für Carvedilol (zahlreiche Generika, Dilatrend) und für Sotalol (zahlreiche Generika, Sotacor) eine antiarrhythmische Wirksamkeit gezeigt. Im Laufe der Entwicklung der Betablocker hat sich daher mittlerweile aufgrund spezifischer Eigenschaften eine Zuordnung von unterschiedlichen Substanzen zu “Generationen” etabliert. Unselektive ß1/2-Blocker wie z.B. Propranolol (Inderal) werden der 1. Generation, kardiospezifische ß1-Blocker wie Metoprolol (zahlreiche Generika, Beloc) der 2. Generation zugeordnet. Ein spezifisches Problem der ersten Generation von Betablockern sind typische Nebenwirkungen, wie z.B. periphere Vaso- und Bronchokonstriktion. 2007 wurde in den USA Nebivolol, eine Substanz die bereits seit einigen Jahren in mehreren europäischen Ländern verfügbar ist (in Österreich seit 2002), zur Behandlung der Hypertonie zugelassen. Nebivolol ist sowohl durch klassische ß1-blockierende Eigenschaften als auch durch NO-vermittelte, relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur gekennzeichnet und wird daher auch als “Betablocker der 3. Generation” bezeichnet (2,3). Ein Vorteil von Nebivolol liegt daher allerdings nur im Vergleich zu Betablockern der 1. Generation in der fehlenden Vaso- und auch Bronchokonstriktion. Für die Therapie des Hochdruckes liegen für Nebivolol aber noch keine Endpunktstudien vor.
In Österreich und anderen europäischen Ländern ist Nebivolol seit 2006 auf Basis einer Endpunktstudie (4), neben Substanzen wie Metoprolol, Bisoprolol (zahlreiche Generika, Concor) und Carvedilol (zahlreiche Generika, Dilatrend) als add-on Therapie der Herzinsuffizienz zugelassen.
Zusammenfassung:
Ob das pharmakologisch interessante Prinzip (NO-Mechanismus) des Betablockers Nebivolol auch zu klinisch bedeutsamen Vorteilen im Vergleich zu anderen Betablockern führt, ist derzeit nicht geklärt. Länger bewährte und preislich günstigere Betablocker sind daher derzeit vorzuziehen.
Literatur:
(1) Cardiology 106,199,2006
(2) Expert Opin Pharmacother 8,1539,2007
(3) Int J Clin Pharmacol Ther 44,344,2006
(4) Am Heart J 154,109,2007
Update akute Gicht
In der Pharmainfo XXI/1/2006 haben wir die Behandlung der akuten Gicht diskutiert und festgestellt, dass NSAR, Cortisonpräparate und Colchicin dafür in Frage kommen, dass allerdings die Evidenz für diese Behandlung auf wenigen Studien beruht. Jetzt wurde in einer guten Doppelblindstudie (n=120;1) das NSAR Naproxen (Aleve, Miranax, Naprobene, Naproxen Generika, Proxen) mit Prednisolon verglichen. Naproxen (ca. 500 mg 2mal am Tag) bzw. Prednisolon (35mg) wurden für 5 Tage verabreicht. Diese zwei Mittel erwiesen sich in der Schmerzreduktion als gleichwertig. Da eine kurzzeitige Gabe von Prednisolon gut verträglich ist, bietet sich diese Therapie als effektive Alternative zu Naproxen an, insbesondere bei Patienten/innen mit gastrointestinalen Problemen (siehe auch 2).
Für das traditionell verwendete Colchicin (Colchicin Agepha) liegt, wie ein kürzlich publizierter Cochrane Bericht belegt, nur eine gut randomisierte placebokontrollierte Studie vor, die die Wirksamkeit belegt (3). Allerdings zeigte sich in dieser Studie die schlechte Verträglichkeit dieses Alkaloids mit Nausea und Durchfällen bei praktisch allen Patienten/innen. Bei Patienten/innen mit Leber- und Nierenschäden ist Colchicin nicht zu geben, zusätzlich ist es mit seltenen aber schweren Nebenwirkungen wie Neutropenie bis Pancytopenie (4) und Myoneuropathie (5) belastet.
Nachdem heute zwei Medikamentengruppen (NSAR, Cortison) mit vertretbaren Nebenwirkungen bei akuter Gicht belegt wirksam sind, ist Colchicin (Colchicin Agepha) nur als Reservemittel zu vertreten und dann nur mit möglichst niedrigen Dosen (nicht mehr als 2,5 mg in 24 h und nicht mehr als 6 mg (ältere Personen 3 mg) in 4 Tagen (6). Eine prophylaktische Gabe, wie in der Fachinformation angeführt, ist nicht zu vertreten.
Literatur:
(1) Lancet 371,1854,2008
(2) Cochrane Review issue 2,2008: CD005521
(3) Cochrane Review issue 4,2008: CD006190
(4) Fund Clin Pharmacol 21, suppl. 1:63 (abstract 310), 2007
(5) Drugs 66,1547,2006
(6) Int J Clin Pract 61,1959,2007
P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 11. November 2008
Pharmainformation
Kontakt:
em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler
Tel.: +43 (0)512/9003-71200
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