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Editorial
Ab dieser Ausgabe der Pharmainformation erfolgt die Aussendung nicht mehr als separate Postsendung sondern als Beilage zur Österreichischen Ärztezeitung. Der einzige Grund hiefür ist die dadurch mögliche Einsparung von hohen Postkosten, die höher als die Druckkosten waren. Es braucht wohl nicht betont zu werden, dass sich damit an der völlig unabhängigen Tätigkeit des Herausgeberteams nichts ändert.
Diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die bisher die Pharmainformation nur mehr per E-Mail erhalten haben, werden diese auch weiterhin zusätzlich zur Beilage erhalten.
Ginkgo biloba bei Tinnitus
In der ÖÄZ erschien im Heft am 25. November 2005 unter Informationsserie Teil 15 (Regularien – Produktreport) ein Artikel, der folgenden Titel trug: „Wussten Sie dass Ginkgo biloba bei Tinnitus wirksam ist?“ Hierzu werden 5 Arbeiten zitiert, die bis auf eine alle positiv für Ginkgo angesehen werden, und dies soll dann auch eine Metaanalyse aus dem Jahre 1999 (Clin Otolaryngol 24,164,1999) bestätigen, die so interpretiert wird: „Die Autoren folgern daraus, dass mit Ginkgo biloba Extrakten gute Erfolge in der Behandlung des Tinnitus erzielt werden können.“
In der Pharmainfo XVI/2/2001 wurde die Wirkung von Ginkgo biloba bei Tinnitus diskutiert. Hierzu wurde aus der selbigen Metaanalyse folgender Satz zitiert: „Die Resultate dieser Studien erscheinen positiv für Ginkgo, aber ein sicherer Schluss über Effektivität ist nicht möglich. Weitere gut kontrollierte Studien sind notwendig.“ Die Pharmainfo berichtete aber zusätzlich über eine neue Studie an 550 Patienten/innen (BMJ 322,73,2001), die mit Ginkgo keine über Placebo hinausgehende Besserung finden konnte. Diese Arbeit wurde in dem oben zitierten Artikel in der ÖÄZ nicht einmal erwähnt. Weiters stellten wir damals fest: „Damit dürfte wohl im Gegensatz zu widersprüchlichen Daten früherer kleiner Studien nach dieser gut durchgeführten und großen Studie die Indikation Tinnitus für Ginkgo zu eliminieren sein.“
Diese Gegenüberstellung von Informationen unterschiedlicher Herkunft spricht für sich selbst. Sie zeigt wie wichtig unabhängige Publikationen wie die Pharmainfo sind. In der ÖÄZ werden sowohl unabhängige als auch bezahlte Artikel publiziert. Das Problem ist allerdings, dass es nicht immer leicht ist, von der Aufmachung her zwischen diesen beiden Formen zu unterscheiden. Eine bessere Kennzeichnung derartiger Firmenpublikationen ist zweifellos anzustreben. Außerdem kann selbst bei bezahlten Artikeln ein gewisses Minimum an objektiver Information gefordert werden.
Leitlinien zur rationalen Therapie von ambulant erworbenen Atemwegsinfektionen
Infektiöse Atemwegserkrankungen gehören zu den häufigsten medizinischen Entitäten und reichen vom harmlosen Schnupfen, über die akute Bronchitis, der akuten Exazerbation einer chronischen Bronchitis bis hin zur beatmungspflichtigen Pneumonie. Während bei den Infektionen der oberen Luftwege zumeist Viren als kausatives Agens auftreten, sind Pneumonien bei Erwachsenen meist bakterieller Genese. Die Differenzierung zwischen viralen und bakteriellen Infekten ist wegen des Fehlens sicherer klinischer Kriterien und verlässlicher Labormethoden schwierig und führt im Zweifelsfall zu einer Verschreibung von Antibiotika. Im Folgenden sollen einige Leitlinien angeführt werden, die eine exaktere Diagnose und gezieltere Therapie dieser Atemwegsinfekte erleichtern sollen.
Akute Bronchitiden und obere Atemwegsinfekte (Rhinitis, akute Bronchitis, Pharyngitis) machen vor allem in den Wintermonaten bis zu 40% aller Primärdiagnosen in einer allgemeinmedizinischen Praxis aus. Im Zusammenhang mit diesen Diagnosen werden 50-75% aller ambulant verschriebenen Antibiotika verordnet. Das ist erstaunlich, da man weiß, dass ungefähr 80% dieser Infektionen durch Viren (RSV, Rhino-, Adeno-, Para-Influenzaviren etc.) hervorgerufen werden. Nur in einem kleinen Prozentsatz finden sich Bakterien, wobei ein Teil dieser Infektionen sich sekundär auf primär virale Infekte aufpfropft. An bakteriellen Erregern finden sich vor allem atypische Erreger (Mykoplasmen, fraglich auch Chlamydien) sowie Bordetella pertussis und Hämophilus spp. sowie fraglich auch Moraxella spp. Ähnlich finden sich bei der akuten Exazerbation einer chronischen Bronchitis primär Viren als Erreger, daneben muss man allerdings auch an nichtinfektiöse Ursachen einer akuten Verschlechterung der Lungenfunktion (z.B. inhalative Allergene, Staub, Kälte) denken.
Demgegenüber sind ambulant erworbene Pneumonien bei Erwachsenen fast immer bakterieller Genese und mit einer jährlichen Inzidenz von fast 1% bei über 65-jährigen Patienten/innen und einer Mortalität von bis zu 28% bei multimorbiden Patienten/innen die häufigste tödlich verlaufende Infektionskrankheit bei älteren Menschen (1). Als Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie finden sich vor allem Pneumokokken, Staphylokokken und Hämophilus spp. sowie so genannte atypische Erreger (vor allem Mykoplasmen, Legionellen und Chlamydien: 2). Primär virale Pneumonien (Influenza, Para-Influenza, Adenoviren, RSV) werden bei Erwachsenen nur relativ selten diagnostiziert und dienen meist als Trigger für mitunter schwer verlaufende sekundäre bakterielle Infektionen wie im Falle der Influenza. Das Spektrum der Erreger einer ambulant erworbenen Pneumonie kann sich allerdings in Abhängigkeit vom Umfeld des/r Patienten/in (Wohn- und Pflegeheim, wiederholte Krankenhausaufenthalte), von Begleiterkrankungen (z.B. Diabetes, chronische Leber- und Niereninsuffizienz, neurologische Grundkrankheit mit Aspirationsneigung) und vorangegangenen antibiotischen Therapien ändern. In diesen Fällen müssen auch gram-negative Keime (z.B. Klebsiellen), Krankenhausselektionskeime, mitunter auch resistente Erreger bzw. das Vorhandensein einer polymikrobiellen Infektion in Betracht gezogen werden.
Während also eine ambulant erworbene Pneumonie fast immer bakterieller Genese ist und einer sofortigen und gezielten antibiotischen Therapie bedarf, ist letztes Vorgehen bei akuten Bronchitiden oder akuten Exazerbationen einer chronischen Bronchitis nur in der Minderheit der Fälle indiziert. Wie gelingt die Differenzierung mit einfachen Mitteln in der Praxis?
Die klinische Präsentation und Anamnese können im Einzelfall weiterhelfen. Husten mit und ohne Auswurf, Heiserkeit, Rhinitis mit begleitenden subfebrilen Temperaturen finden sich meist bei viralen Bronchitiden. Bei einer diagnostizierten Pneumonie ist ein akuter Beginn mit sehr hohem Fieber und Dyspnoe verdächtig für eine Pneumokokkenpneumonie. Als „Goldstandard“ galt immer das Röntgenbild, womit sich eine Pneumonie sehr gut diagnostizieren lässt. Jedoch bleibt auch hier zu bemerken, dass ein negatives Röntgenbild eine Pneumonie nicht ausschließt, da die Entwicklung eines radiologisch sichtbaren Infiltrats der klinischen Symptomatik nachhinken kann. In einer vergleichenden Studie waren nur 83% der computertomographisch gesicherten Pneumonien auch im Thoraxröntgen nachweisbar (4). Das bedeutet, dass bei starkem klinischen Verdacht auch bei negativem Röntgen die empirische Therapie wie bei einer Pneumonie begonnen werden soll.
Zur weiteren Differenzierung bieten sich Laborparameter an. Bakterielle Infektionen sind zumeist durch eine Leukozytose mit Linksverschiebung gekennzeichnet, wobei diese charakteristische Veränderung einerseits im Alter abgeschwächt ist und bei Patienten/innen mit „atypischen“ Pneumonien fehlen kann. Als besonders wertvoller Parameter dient das C-reaktive Protein (CRP). Ein normaler CRP-Wert schließt eine bakterielle Genese der Infektion praktisch aus, allerdings nur, wenn die Symptome schon mindestens 24 Stunden bestanden haben, da der Anstieg des CRP-Wertes bei bakteriellen Infekten zumeist erst nach einer solchen Latenzzeit erfolgt. Mikrobiologische Schnelltests auf Legionellen oder Pneumokokkenantigen im Harn oder saisonal abhängig auch auf Influenza können bei klinischem Verdacht rasch zur richtigen Diagnose führen. Sputumkulturen können epidemiologisch und mikrobiologisch wertvolle Hinweise hinsichtlich des Erregerspektrums und des Auftretens von Resistenzen liefern, spielen aber aufgrund der zeitlichen Verzögerung bei der Befunderstellung für den Beginn einer individuellen Initialtherapie keine Rolle (5).
Empirische Therapie
Bei Patienten/innen mit akuter Bronchitis ohne Entzündungszeichen sollten primär supportive Maßnahmen (z.B. Flüssigkeitszufuhr, Feucht-Inhalationen, ggf. Sekretolytika) zur Verbesserung der allgemeinen Befindlichkeit und der Atemwegsfunktionalität (ggf. vorübergehende Applikation oder Optimierung einer bereits bestehenden antiobstruktiven Therapie) gesetzt werden. Auch wenn virale Bronchitiden mitunter eine wochenlange Symptomatik verursachen und dadurch bedingt ein zunehmender Patienten/innenwunsch nach einer antibiotischen Therapie besteht, sollten Antibiotika nur bei eindeutigen klinischen und laborchemischen Hinweisen für eine bakterielle Genese der Atemwegsinfektion (systemische Entzündungszeichen) eingesetzt werden (7). Eine zu großzügige und indikationsfremde Verschreibung von Antibiotika ist mit einer zunehmenden Selektion von resistenten Erregern und den sich daraus ergebenden negativen Folgen (z.B. schwierig zu behandelnde Erreger, zunehmende Medikamentenkosten, Reduktion der therapeutischen Optionen, Sekundärinfektionen mit Selektionskeimen, mitunter komplizierter Verlauf der Infektionen) assoziiert. Bei Vorliegen einer Influenza steht mittlerweile mit den Neuraminidaseinhibitoren eine spezifische Therapie zur Verfügung (siehe Pharmainfo XIX/4/2004).
Bei der Behandlung der akuten Exazerbation einer chronischen Bronchitis bzw. einer COPD (siehe Pharmainfo XV/1/2000) haben Studien gezeigt, dass die Gabe von Antibiotika Vorteile gegenüber Placebo bietet, vor allem dann, wenn Entzündungszeichen bestehen, wenn die Patienten/innen zunehmend dyspnoisch sind, eine vermehrte Sputumproduktion und ein purulentes Sputum aufweisen (8). Allerdings scheinen viele der mikrobiologisch nachgewiesenen Bakterien oft eher Kolonisierungskeime als wirklich Erreger zu sein. In Bestätigung dessen hat eine Studie gezeigt, dass die Heilungsraten bei Gabe eines Antibiotikums mit der mikrobiologischen in vitro Empfindlichkeit der nachgewiesenen Erreger schlecht korrelieren (9). Bei Vorliegen einer bakteriellen Infektion ist diese entsprechend den Empfehlungen für die Behandlung der ambulant erworbenen Pneumonie (siehe unten) zu therapieren, jedoch sollten bei COPD Grad IV auch Chinolone als Mittel der ersten Wahl in Erwägung gezogen werden.
In jedem Fall sind systemische Steroide das Mittel der Wahl und führen über Verbesserung der Lungenventilation zu einer signifikanten Abschwächung der klinischen Symptomatik (10).
Bei der Wahl der richtigen Therapie einer ambulant erworbenen, bakteriellen Pneumonie sind neben der klinischen Symptomatik, den radiologischen und laborchemischen Ergebnissen insbesondere auch das Umfeld des/r Patienten/in (Seniorenheim, Krankenhaus-Aufenthalte) und begleitende Erkrankungen ins Kalkül zu ziehen. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern und den USA stellen in Österreich bakterielle Resistenzen bei Pneumokokken noch kein wesentliches Problem dar, wenngleich es im Verlauf der letzten 10 Jahre zu einem leichten Anstieg von Pneumokokken mit Resistenz gegen Penicillin oder Makrolide gekommen ist (3).
In Österreich gelten - laut den Empfehlungen einer Konsensuskonferenz im Jahre 2003 (6) - wegen der günstigen Resistenzlage bei Patienten/innen ohne Risikofaktoren Cephalosporine, Aminopenicilline, Makrolide/Ketolide und Doxyzyklin als Mittel der ersten Wahl (6). Bei Kontraindikationen gegen eines dieser Präparate bzw. bei mangelndem klinischen Ansprechen stehen neuere Chinolone wie Moxifloxacin oder Levofloxacin als Alternativpräparate zur Verfügung. Eine Entscheidung für eine ambulante Therapie sollte vom Allgemeinzustand der Patienten/innen und dem Vorhandensein von begleitenden Risikofaktoren abhängen (11). Es existieren zahlreiche „Guidelines“ zur Behandlung der ambulant erworbenen Pneumonie, jedoch sei darauf hingewiesen, dass z.B. in den USA erstellte „Guidelines“ für Österreich mitunter völlig irrelevant sind, da sich das Erregerspektrum und auch die Antibiotikadosierungen massiv unterscheiden. Abschließend sei auch eindringlich auf die Bedeutung einer Influenza- und Pneumokokkenimpfung zur Prävention von Pneumonien bei immunosupprimierten oder älteren Patienten/innen verwiesen.
Literatur:
(1) Clin Infect Dis 39, 1642, 2004
(2) New Engl J Med 347, 2039, 2002
(3) J Antimicrob Chemother 54, 247, 2004
(4) Clin Infect Dis 27, 358, 1998
(5) Clin Infect Dis 31, 347, 2000
(6) CliniCum, Sondernummer Oktober 2003
(7) BMJ 316, 906, 1998
(8) JAMA 273, 957, 1995
(9) J Antimicrob Chemother 44, 515, 1999
(10) The Cochrane Library Review 2005, Issue 2
(11) Arch Intern Med 162, 827, 2002
Behandlung der Gicht
Die Gicht ist eine häufige Erkrankung, die wegen eines charakteristischen klinischen Bildes meistens einfach zu diagnostizieren ist. Sie ist biochemisch als extrazelluläre Harnsäureübersättigung charakterisiert. Gicht manifestiert sich als akute Arthritis und Ablagerung von Harnsäurekristallen in Gichtknoten und Nierensteinen. Die akute Gichtarthritis setzt meist eine jahrelang bestehende, asymptomatische Hyperurikämie voraus. Beim Tumorlysesyndrom oder bei massivem Gewebsuntergang kann eine akute Hyperurikämie gesehen werden, hauptsächlich in Form des akuten Nierenversagens. Die zwei wichtigsten renalen Komplikationen der Hyperurikämie sind die Nephrolithiasis und die chronische Uratnephropathie. Niedriges Harnvolumen und saurer Harn-pH fördern Harnsäureausfällung und Steinbildung. In unseren Breiten sind etwa 5 bis 10% der Nierensteine durch Harnsäure verursacht. Die Nierenfunktionsstörungen bei Patienten/innen mit Hyperurikämie sind häufig durch andere Erkrankungen, wie Hypertonie und Diabetes mellitus verursacht. Alle Gichtpatienten/innen haben im Laufe der Erkrankung zumindest einmal eine fassbare Hyperurikämie. Meistens bleiben Menschen mit einer Hyperurikämie in ihrem Leben ohne klinische Gichtmanifestation. ZurGichtdiagnose gehören also unabdingbar klinische Zeichen als Ausdruck der Entzündungs- und Degenerationsreaktion auf Harnsäurekristallablagerung. Die asymptomatische Hyperurikämie muss von der eigentlichen Gichterkrankung unterschieden werden.
Prädisponierende Faktoren
Akute Gichtanfälle können durch eine Reihe von Faktoren ausgelöst werden. Trauma, chirurgische Eingriffe, Fasten, Alkoholkonsum, Diätfehler und Medikamente, die den Harnsäurespiegel verändern, können Attacken auslösen. Die Serumspiegel für Harnsäure können dabei oft normal oder sogar erniedrigt sein (1). Lokal erhöhte Harnsäurespiegel sind für die Lokalisation des Gelenkbefalls verantwortlich in Verbindung mit Mikrotraumen, vorbestehenden degenerativen Veränderungen und reduzierter Temperatur schlecht durchbluteter Gewebe. Typischer Weise ist das Gelenk nach dem Abklingen einer akuten Arthritis vollkommen frei von Beschwerden, bevor es nach variablem Intervall wieder zu einer neuen Attacke kommt. Diese Sequenz unterscheidet die Gicht von den anderen Arthritisformen.
Asymptomatische Hyperurikämie
Mehr als zwei Drittel der Menschen mit pathologisch erhöhten Harnsäurespiegeln bleiben asymptomatisch (2). Weil Harnsäurespiegel in der Bevölkerung nicht normalverteilt sind, wurde der obere Normwert als jener festgelegt, bei dem die Harnsäure im Serum übersättigt ist und ausfällt – 7,0 mg/dL. Primäre und sekundäre Hyperurikämie ohne fassbare bzw. mit fassbarer Ursache für eine verstärkte Produktion oder verringerte Ausscheidung wurden ursprünglich als das Initialstadium der Gichterkrankung gesehen - auf dem Weg von der Hyperurikämie über die akute Arthritis und interkritische Phase bis hin zu Gichtknoten und Gewebsdegeneration. Epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass sich diese Sequenz der Symptomatik auch bei lange bestehender Hyperurikämie nur selten entwickelt (2). Es wird beschrieben, dass erhöhte Harnsäurespiegel bei Patienten/innen mit arterieller Hypertonie prognostisch ungünstig sein könnten (3). Die Bestätigung dieser Beobachtung steht aber immer noch aus. Oft ist die Hyperurikämie mit anderen chronischen Auffälligkeiten wie Hyperlipidämie, Adipositas, Atherosklerose und Alkoholismus vergesellschaftet. Beweise, dass die Harnsäure kausal zu diesen Störungen beiträgt, konnten in der Zwischenzeit ebenfalls nicht erbracht werden.
Bei Männern steigen die Harnsäurespiegel stetig im Laufe des Lebens. Frauen haben vor der Menopause niedrigere Werte, wahrscheinlich weil Östrogene urikosurisch wirken (4). Nach der Menopause holen sie dafür rascher auf. Die Gipfel der Gichtmanifestation liegen bei Männern zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr, bei Frauen im Alter von 55 bis 70 Jahren. Diese Epidemiologie belegt, dass vor einer Gichtmanifestation meist mehrjährige asymptomatische Hyperurikämie besteht.
Langzeitbeobachtungen zeigen, dass die Höhe der Hyperurikämie zwar mit erhöhtem Risiko für Gichtarthritis und Nephrolithiasis assoziiert ist, jedoch keinen unabhängigen Risikofaktor für eine Verschlechterung der Nierenfunktion darstellt, solange die Harnsäurewerte bei Männern unter 13 mg/dL und bei Frauen unter 10 mg/dL liegen (5). In einer Langzeitbeobachtung von 2046 initial gesunden Männern betrug die Gichthäufigkeit jährlich 4,9% Erkrankungen, wenn die Harnsäurespiegel über 9,0 mg/dL lagen, jedoch nur 0,5% bei Werten zwischen 7,0 und 8,9 mg/dL, und 0,1% bei Werten unter 7,0 mg/dL. Nur bei jeder fünften Person mit Hyperurikämie liegen die Spiegel über 9,0 mg/dL (2). Das Risiko der Nephrolithiasis steigt mit übermäßiger Harnsäureausscheidung und erreicht bei einer Menge von über 1100 mg pro Tag eine Inzidenz von 50 Prozent (6).
Gewichtsabnahme und Diät senken die Harnsäure-Serumspiegel. In einer über 16 Wochen laufenden Beobachtungsstudie, in der 13 Männer mit Gichtanamnese durch hypokalorische Kost (1600 kcal/d), ausgehend von einem mittleren Körpergewicht von 91 kg, im Mittel 8 kg abgenommen haben, fiel die Serum-Harnsäure von 9,6 mg/dL auf 7,9 mg/dL, sowie die mittlere Zahl an Gichtanfällen von 2,1 auf 0,6 monatlich (7).
Reduzierung von Alkohol und Purin-arme Kost wurden immer schon empfohlen, um die Zahl von Gichtanfällen zu vermindern. Für Alkohol zeigt eine neuere Studie, dass Bierkonsum das Risiko am deutlichsten erhöht, Spirituosen in einem geringeren Ausmaß, während moderater Weinkonsum keinen Effekt hatte (8a). Möglicherweise ist der hohe Puringehalt von Bier ein zusätzlicher Faktor. In einer prospektiven Beobachtungsstudie an über 47.000 Männern über 12 Jahre wurde bestätigt, dass jene mit dem höchsten Fleischkonsum (oberste Quintile) ein um 41% (relatives Risiko = RR 1,41, 95% Konfidenzintervall = CI 1,07-1,86) bzw. bei Meeresfrüchtekonsum ein um 51% (RR 1,51, 95% CI 1,17-1,95) erhöhtes Risiko für Gichtanfälle hatten; während ein hoher Konsum (oberste Quintile) von Milchprodukten das Risiko um 44% reduzierte (8).
Therapie der akuten Gicht
Ein möglichst schnell nach Beginn der Schmerzsymptomatik verordnetes nicht-steroidales Antirheumatikum (NSAR) ist die Therapie der Wahl, wobei bezüglich der Wirksamkeit keine Vorteile einzelner NSAR gegenüber anderen bekannt sind. Darf ein NSAR nicht gegeben werden, dann kann ein Versuch mit relativ niedrig dosiertem Colchicin (Colchicin Agepha: bis 1,5 mg) gestartet werden oder auch mit einemCorticosteroid systemisch, das dann über mehrere Tage ausgeschlichen wird. Beim Befall großer Gelenke, wie dem Knie, kann Schmerzlinderung auch durch die direkte intraartikuläre Corticosteroidinjektion erreicht werden (9). Diese Empfehlungen zur Akuttherapie stellen lediglich einen Konsensus dar, dessen Evidenz auf wenigen Studien basiert.
Medikamentöse Gichtprophylaxe
Die grundlegende Frage ist, ob es einen Harnsäurespiegel gibt, ab dem man medikamentös behandeln muss. Zurückhaltung ist bei dieser lebenslangen Therapie berechtigt, weil die medikamentöse Senkung der Harnsäurespiegel mit zwar seltenen, aber schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann.
Weil die klinische Erstmanifestation einer Hyperurikämie in der Regel ungefährlich und gut behandelbar ist, wird bei fehlender klinischer Symptomatik von einer medikamentösen Senkung erhöhter Harnsäurespiegel primär abgeraten, von der seltenen akuten Uratnephropathie abgesehen. Eine prophylaktische medikamentöse Senkung wird lediglich bei wiederholten akuten Gichtanfällen empfohlen, besonders wenn die Akutbehandlung durch Co-Morbidität erschwert ist, außerdem bei chronischer polyartikulärer Gicht, bei Gewebsdegeneration und bei Malignom-assoziierter Hyperurikämie (10).
Als gichtprophylaktische Medikamente wurden Allopurinol, Benzbromaron, Probenezid und Sulfinpyrazon verwendet, und neuerdings Rasburicase.
Das Uricostaticum Allopurinol (Allopurinol Präparate, Allostad, Gewapurol, Gichtex, Purinol, Urosin, Zyloric) wirkt über eine Hemmung der Harnsäuresynthese, sodass in der Folge weniger Harnsäure in die Niere zur Ausscheidung kommt, was u.a. auch das Risiko von Nierenkomplikationen reduziert. Das Nebenwirkungsprofil von Allopurinol ist umfangreich. Kurz nach Therapiebeginn können Gichtanfälle zunehmen, weiters können Magen-Darm-Störungen, Kopfschmerzen und gelegentlich Hautreaktionen auftreten, besonders bei Niereninsuffizienz und zusammen mit Ampicillin (Standacillin, plus Sulbactam: Unasyn). Die gefährliche Hypersensibilität auf Allopurinol verläuft mit schweren Hautreizungen, gepaart mit Vasculitis, Hepatitis bis hin zum Nierenversagen. Hautreaktionen verlaufen unter dem Bild des Stevens-Johnson-Syndroms (exfoliative Dermatitis) oder des Lyell-Syndroms (toxische epidermale Nekrolyse) mit einer Mortalität von 25-50% (siehe Pharmainfo III/4/1988).
Auch Uricosurica wurden verwendet. Da diese zu vermehrter Harnsäureausscheidung in der Niere führen, konnte nur bei Abwesenheit renaler Probleme (insbesondere von Steinen) und wenn keine Hyperurikosurie vorliegt, ein Effekt gesehen werden. In Österreich sind Probenezid und Sulfinpyrazon nicht verfügbar. Es steht lediglich Benzbromaron, und das nur mehr in Kombinationspräparaten mit Allopurinol (Allobenz, Gichtex plus), zur Verfügung, bei dem gastrointestinale Unverträglichkeit bis Diarrhoe häufig sind. Bezüglich gefährlicher Nebenwirkungen erschien es geringer belastet als Allopurinol. Schon vor Jahren waren in Europa und Japan unter Behandlung mit Benzbromaron vereinzelt schwere Fälle von vorwiegend hepatozellulären Leberschädigungen beobachtet worden. Eine der Vertriebsfirmen von Benzbromaron in der Schweiz hatte dann im März 2003 über drei neu aufgetretene schwerwiegende Fälle von Hepatotoxizität unter Behandlung mit Benzbromaron in der Schweiz informiert: Zwei fulminante Hepatitiden sowie eine schwere Leberinsuffizienz. Zwei der Patienten verstarben an den Folgen der Leberschädigung. Beim dritten Patienten wurde eine Lebertransplantation notwendig. Wie schon bei früheren Fällen, betrug die Latenzzeit von Therapiebeginn bis zu den ersten Anzeichen der Leberschädigung bei zwei dieser Patienten mehrere Monate. Das Monopräparat Benzbromaron wurde von einer der Herstellerfirmen weltweit vom Markt genommen (11). Diese Ereignisse sollten Anlass genug sein, auf den Einsatz von Benzbromaron gänzlich zu verzichten. In Österreich sind Kombinationspräparate anderer Firmen unverständlicherweise noch nicht zurückgenommen. Da auch Probenezid und Sulfinpyrazon nicht zu empfehlen sind, sind Uricosurica generell nicht mehr zweckmäßig.
Die Rasburicase (Fasturtec) katabolisiert den metabolischen Harnsäureabbau und ist für die Therapie und Prophylaxe von akuter Hyperurikämie bei Patienten/innen mit akuter Leukämie oder Non-Hodgkin Lymphom mit hoher Tumorlast und Risiko einer raschen Tumorlyse beim Beginn einer Chemotherapie seit 2002 zur Vermeidung einer akuten Niereninsuffizienz zugelassen. Die Verabreichung von Fasturtec sollte unter Aufsicht eines/r Arztes/Ärztin erfolgen, der/die in der Chemotherapie von malignen hämatologischen Erkrankungen erfahren ist (10).
Zusammenfassung
Patienten/innen mit Hyperurikämie oder Hyperurikosurie sind über die Vorteile Purin-armer Kost und des reduzierten Konsums von Alkohol zu informieren. Eine medikamentöse Prophylaxe von Gichtanfällen bei asymptomatischer Hyperurikämie ist umstritten. Diesbezügliche Empfehlungen sind von zunehmender Zurückhaltung gekennzeichnet. Dem Vorteil der Verhinderung eines ohnehin seltenen und letztlich nicht wirklich gefährlichen ersten Gichtanfalls steht das Risiko schwerster Nebenwirkungen der medikamentösen Gichtprophylaxe gegenüber. Dazu ein aktueller Titel einer Arbeit: Fatal allupurinol hypersensibility syndrome after treatment of asymptomatic hyperuricaemia (12). Eine medikamentöse antihyperurikämische Therapie ist daher bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten/innen mit asymptomatischer Hyperurikämie nicht gerechtfertigt. Von den besonderen Indikationen abgesehen (persistierende Hyperurikämie durch wahrscheinlich vermehrte Produktion mit Harnsäurespiegeln von über 13 mg/dL bei Männern und über 10 mg/dL bei Frauen zur Reduktion des nephrotoxischen Risikos; durch Diät nicht reduzierbare Urikosurie von über 1100 mg/Tag zur Reduktion des Nierensteinrisikos; bei Radio- oder Chemotherapie mit Tumorlyse zur Verhinderung der akuten Nephropathie), soll auf medikamentöse Gichtprophylaxe nur bei wiederholten Gichtarthritiden zurückgegriffen werden (9,11).
Literatur:
(1) Ann Rheum Dis 62, 90, 2003
(2) Am J Med 82, 421, 1987
(3) Hypertension 34, 144, 1999
(4) Metabolism 35, 343, 1986
(5) Am J Med 67, 74, 1979
(6) Ann Internal Med 67, 1133, 1967
(7) Ann Rheum Dis 59, 539, 2000
(8) New Engl J Med 350, 1093, 2004
(8a) Lancet 363, 1277, 2004
(9) Drugs Ther Bulletin 40, 37, 2004
(10) UpToDate online 12.1 (http://www.utdol.com)
(11) Swissmedic (http://www.swissmedic.ch/files/pdf/Swissmedic_GB_03.pdf)
(12) BMJ 331, 623, 2005
P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 15. März 2006
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