Inhalt
- Asthma bronchiale: Inhalative Corticosteroide „bei Bedarf“?
- Mittel gegen Adipositas – ein Kommen und Gehen
- Therapeutisches Drug Monitoring von Antibiotika bei kritisch kranken PatientInnen
Asthma bronchiale: Inhalative Corticosteroide „bei Bedarf“?
Nach den derzeit geltenden internationalen Empfehlungen (Global Initiative for Asthma, GINA 2018: 1) sind inhalative Corticosteroide (ICS) bei Asthma bronchiale indiziert, wenn Asthmabeschwerden zumindest zweimal pro Monat tagsüber bzw. öfter als einmal pro Monat nachts auftreten. Die Gabe von ICS wird hierbei als täglich zu verabreichende Dauertherapie empfohlen, bis gegebenenfalls nach Stabilisierung des Beschwerdebildes ein Absetzen („step-down“) erwogen werden kann.
Zwei kürzlich erschienene Studien - SYGMA 1 (2) und SYGMA 2 (3) - haben die Frage untersucht, ob bei jugendlichen (> 12 Jahre) und erwachsenen PatientInnen mit mildem persistierenden Asthma (entspricht etwa der Stufe 2 nach GINA 2018: 1) eine bedarfsweise Gabe von ICS in Kombination mit dem schnell und lang wirksamen β2-Adrenozeptoragonisten (long-acting beta agonist: LABA) Formoterol einer täglich regelmäßig durchgeführten Behandlung mit ICS in Bezug auf Exazerbationen, Symptomenkontrolle, Lebensqualität und Lungenfunktion gleichwertig ist. In SYGMA 1 (2) wurde zusätzlich eine Vergleichsgruppe ohne ICS, nur mit bedarfsweiser Gabe des kurz wirksamen ß2-Adrenozeptoragonisten Terbutalin, eingeschlossen.
Die Ergebnisse der beiden Studien stimmen darin überein, dass sich die Wahrscheinlichkeit, eine mittelschwere bis schwere (2) bzw. schwere (3) Exazerbation zu erleiden, bei ICS-LABA-Bedarfstherapie und ICS-Dauertherapie nicht signifikant unterscheidet, dass jedoch die ICS-Dauertherapie bei Indices für Asthma-Symptomenkontrolle, Lebensqualität und Lungenfunktion bessere Ergebnisse zeigt. So führte etwa in SYGMA 1 die ICS-Dauertherapie zu einem doppelt so großen FEV1-Anstieg gegenüber dem Ausgangswert als die Bedarfstherapie (2). Die kumulierte ICS-Dosis im Beobachtungszeitraum lag bei ICS-Bedarfstherapie erwartungsgemäß sehr viel niedriger (um 75-83%) als bei ICS-Dauertherapie.
Im begleitenden Editorial zu den beiden Studien (4) sieht der Autor in der ICS-LABA-Bedarfstherapie einen wesentlichen Fortschritt wegen der niedrigeren ICS-Gesamtdosis (und der entsprechenden Kostenersparnis) bei vergleichbarer Wirksamkeit gegen Exazerbationen. Die schlechteren Ergebnisse hinsichtlich anderer klinischer und lungenfunktioneller Endpunkte werden hier gering geschätzt (…„many others may prefer occasional mild symptoms“…).
Ist es tatsächlich gerechtfertigt, aufgrund der zitierten Studienergebnisse die geltenden GINA-Richtlinien in Frage zu stellen und bei mildem Asthma eine ICS-Bedarfstherapie zu favorisieren?
Die Idee, bei mildem persistierendem Asthma eine ICS-Bedarfstherapie einzusetzen, ist nicht neu. In einer 2005 publizierten Studie an 225 Erwachsenen (5) zeigte sich zwar eine Gleichwertigkeit zwischen ICS-Bedarfs- und Dauertherapie bezüglich des morgendlichen Peak-Flows (einziger primärer Endpunkt!) und der Exazerbationshäufigkeit, jedoch war die Bedarfstherapie hinsichtlich Symptomenkontrolle, FEV1, bronchialer Hyperreagibilität, Eosinophilie und NO in der Ausatemluft der Dauertherapie unterlegen. Dadurch war – wenn auch bei einer kleinen Studienpopulation – gezeigt, dass eine nur bedarfsweise angewandte ICS-Therapie bei mehreren Endpunkten, die sich an pathophysiologisch bedeutsamen Prozessen orientieren, schlechter abschneidet.
Eine Cochrane-Analyse von 2013 (6), bei der jedoch nur sechs Studien (zwei an Erwachsenen, vier an Kindern) ausgewertet wurden, konnte eine Gleichwertigkeit zwischen intermittierender und kontinuierlicher ICS-Gabe nicht nachweisen. Bei der Detailanalyse zeigte sich wiederum ein Vorteil der Dauertherapie bei Lungenfunktion, Atemwegsentzündung und Grad der Asthmakontrolle. Die pädiatrischen Studien wiesen auf eine geringe Wachstumsverzögerung bei ICS-Dauergabe hin.
Wie verhält es sich mit dem “strengsten” Endpunkt, der Mortalität? Dazu ergab eine Analyse von 30.569 AsthmapatientInnen, dass die Sterblichkeit mit jedem zusätzlich verwendeten ICS-Dosieraerosol um 21% sank und sie in den ersten drei Monaten nach Absetzen des ICS höher war als bei Weiterführen der Behandlung (7). Die Autoren folgerten, dass eine regelmäßige ICS-Therapie das Mortalitätsrisiko bei Asthma verringern könne.
Fazit: Die in SYGMA 1 und 2 (2,3) gefundene Gleichwertigkeit von bedarfsweiser und kontinuierlicher ICS-Gabe bei mildem Asthma bezüglich der Verhinderung von Exazerbationen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl in diesen beiden Studien als auch in anderen Originalarbeiten und Metaanalysen Vorteile einer kontinuierlichen Gabe bezüglich anderer, pathophysiologisch wichtiger Endpunkte gefunden wurden. Ein vorschnelles Abgehen von bewährten Richtlinien (1) erscheint nicht gerechtfertigt.
Literatur
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Mittel gegen Adipositas – ein Kommen und Gehen
Von Adipositas spricht man bei einem Body Mass Index (BMI) ³ 30, bei einem BMI ³ 25 von Übergewicht. Grundlage jeder Behandlung ist die Veränderung des Lebensstils, die sich zusammensetzt aus kalorienarmer Diät (1.000–1.500 kcal/d), erhöhter körperlicher Aktivität und – zur Erhaltung eines einmal reduzierten Gewichts – einer durch Beratung unterstützten Verhaltensänderung im Sinne einer Umstellung der Essgewohnheiten und dauerhafter Gewichtskontrollen. Arzneimittel sind einerseits nur unterstützend indiziert und sollen andererseits erst bei einem BMI von 30 zum Einsatz kommen; nur bei einer mit Übergewicht verbundenen Co-Morbidität, wie Hypertonie, Hyperlipidämie oder Typ-2-Diabetes, können sie bereits ab einem BMI von 27 gerechtfertigt sein. Bei gleichzeitiger Umstellung der Essgewohnheiten wie beschrieben erreicht man mit einer Pharmakotherapie über mehrere Wochen gegenüber Placebo eine zusätzliche Abnahme des Körpergewichts um ca. 5% (1).
Die Pharmakotherapie der Adipositas wurde in der Pharmainfo mehrmals besprochen, erstmals 1992 (Pharmainfo VII/4), als die erste Generation der damals als "Appetitzügler" bezeichneten Phenylalkylamine Phentermin und Amfepramon bereits zu Recht in Verruf geraten, aber noch im Handel waren. Es waren Abkömmlinge von Amphetamin, das aus Neuronen auf nicht-exozytotischem Wege monoaminerge Transmitter freisetzt (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin) und auch deren neuronale Rückaufnahme hemmt. Sie besaßen ein beträchtliches Suchtpotential, lösten Psychosen aus, wirkten blutdrucksteigernd und arrhythmogen und sie bargen die Gefahr einer pulmonalen Hypertonie. Wegen letzterer hat ein weiteres Derivat des Amphetamins, das Menocil, traurige Berühmtheit erlangt, weil es zu einer Arzneimittelkatastrophe mit Hunderten von Opfern führte. Die appetitzügelnde Wirkung selbst ist auf das freigesetzte Serotonin zurückzuführen, welches über anorexigene Proopiomelanocortin (POMC)-Neuronen im Nucleus arcuatus des Hypothalamus ein Sättigungsgefühl auslöst, wobei dieser Effekt – wie man heute weiß – über 5‑HT2C-Rezeptoren vermittelt wird (2,3). Die Substanzen senken zwar im Kurzversuch den Appetit und können zur Gewichtsabnahme führen, die Wirkung nimmt aber über längere Zeit hinweg ab (Tachyphylaxie). Insbesondere kommt es nach dem Absetzen sehr rasch wieder zum Erreichen des ursprünglichen Gewichts, wenn nicht weiterhin eine Diät eingehalten wird. Ein erwünschter Dauereffekt konnte mit diesen Substanzen allein keinesfalls erreicht werden.
Auch die Appetitzügler der zweiten Generation, die eine gewisse Spezifität darin besaßen, nur neuronales Serotonin freizusetzen, nämlich Fenfluramin und sein Stereoisomer Dexfenfluramin, erbrachten einen lediglich marginalen Fortschritt. Das Suchtpotential war zwar geringer, das Risiko einer pulmonalen Hypertonie blieb aber bestehen (Pharmainfo XII/1/1997). Als mit diesen Substanzen auch Fibrosierungen der Herzklappen beobachtet wurden, verschwanden sie 1997 sowohl in den USA als auch in Europa endgültig vom Markt (Pharmainfo XII/4/1997). Auch hier weiß man zwischenzeitlich, dass die fibrosierenden Effekte von Serotonin auf Herzklappen und – wohl auch – auf die Pulmonalarterien über einen anderen 5‑HT-Rezeptor-Subtyp, den 5‑HT2B-Rezeptor, hervorgerufen werden (4). Serotonin-freisetzende (und dessen Rückaufnahme hemmende) Substanzen wie die bisher genannten sind demnach für eine länger dauernde Therapie, die mit Appetitzüglern erforderlich wäre, ungeeignet.
Trotzdem ließ man vom Serotonin-Prinzip nicht ab. Im Jahr 2001 wurde Sibutramin als Appetitzügler gesamteuropäisch zugelassen, welches seine Wirkung präferentiell über eine Hemmung der neuronalen Rückaufnahme von Serotonin (und auch von Noradrenalin, weniger von Dopamin) entfaltet (Pharmainfo XVII/1/2002 und XVIII/2/2003). Auch für dieses Präparat kam es aber 2010 wegen der Beobachtung eines erhöhten kardiovaskulären Risikos zu einem Ruhen der Zulassung (Pharmainformation XXVII/4, 2012).
Auch Rimonabant, das über einen Cannabinoidrezeptor CB1 - Antagonismus gewichtsvermindernd wirkt, musste wegen Depressionen mit Suizidrisiko bald nach der europäischen Zulassung vom Markt genommen werden (Pharmainfo XXIII/1 und XXIII/4/2008).
Heute spielen für die medikamentöse Behandlung der Adipositas drei Wirkprinzipien eine Rolle:
I. Über hypothalamische POMC-Neurone
Trotz des Zwanges laufender Marktrücknahmen in den Jahren davor ließ man vom Serotonin-Prinzip nicht ab: in den USA kam mit Lorcaserin (Belviq) ein 5‑HT-Rezeptor-Agonist auf den Markt, der in der Lage sein soll, selektiv über 5‑HT2C-Rezeptoren das Sättigungsgefühl zu steigern (s.o.), ohne bei Langzeiteinnahme die gefürchteten über 5‑HT2B-Rezeptoren vermittelten kardiovaskulären Komplikationen hervorzurufen. Tatsächlich ist Lorcaserin durch eine 100-fach höhere Affinität an 5‑HT2C-Rezeptoren, die u.a. an den hypothalamischen POMC-Neuronen lokalisiert sind, gekennzeichnet als an 5‑HT2B-Rezeptoren (5). In drei Langzeitstudien an 4008 (6), 3182 (7) und 604 (8) auf Diät gestellten PatientInnen bewirkte Lorcaserin einen deutlicheren und länger anhaltenden Gewichtsverlust als Placebo. In einer Placebo-kontrollierten Studie zur Beurteilung des kardiovaskulären Risikos von Lorcaserin (2x10 mg/d) waren 12.000 übergewichtige bzw. adipöse Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen oder multiplen kardiovaskulären Risikofaktoren eingeschlossen (9). Dabei unterschieden sich in beiden Gruppen primäre Safety-Outcome-Parameter weder im Sinne eines akuten kardiovaskulären Ereignisses (plötzlicher Herztod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) noch im Sinne eines subchronischen Ereignisses (Herzversagen, Hospitalisierung wegen instabiler Angina, koronare Revaskularisierung). Positive Effekte, wie sie in Folge einer Gewichtsreduktion erwartet würden, waren also nicht zu verzeichnen. Hingegen waren Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Müdigkeit, Schwindel, Durchfall und Nausea in der Lorcaserin-Gruppe ein doppelt so häufiger Absetzungsgrund wie in der Placebo-Gruppe.
In einer rezenten Langzeitstudie (median 3.3 Jahre) an 12,000 übergewichtigen oder adipösen PatientInnen reduzierte Lorcaserin (2x10 mg/d) im Vergleich zu Placebo das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes bei PatientInnen mit Prädiabetes oder ohne Diabetes (10) - ein durch die beobachtete zusätzliche Gewichtsreduktion (ca. 2-2,5 kg nach 3 Jahren) zu erwartender Effekt, der auch schon für andere gewichtsreduzierende Interventionen bekannt ist (11-14).
Ein Antrag auf Zulassung von Lorcaserin in Europa war nicht erfolgreich (15). Analoges gilt für das Kombinationspräparat Phentermin/Topiramat (16), das in den USA (Qsymia) schon länger zugelassen ist.
Seit 2015 EU-weit zugelassen ist Mysimba, die Fixkombination von Bupropion und (niedrig dosiertem) Naltrexon, also von einem Antidepressivum (sh. Pharmainfo XXIX/4/2014) und einem Opioidrezeptorantagonisten, der zur Rückfallsprophylaxe ehemals Opioid‑ und Alkoholabhängiger verwendet wird (sh. Pharmainfo XII/3/1997). Bupropion hemmt die neuronale Rückaufnahme von Dopamin und Noradrenalin, weniger die von Serotonin. Es war einige Jahre auch als Nikotinersatz verfügbar (Zyban) und wurde zu dieser Verwendung, wegen der Gefahr von Krampfanfällen als "Mittel ferner Wahl", in der Pharmainformation mehrmals besprochen (sh. u.a. XV/2/2000, XXVIII/3/2013). Naltrexon verhindert eine durch b‑Endorphin ausgelöste Autoinhibition an POMC-Neuronen (17). Für beide Stoffe ist daher Appetitlosigkeit eine Nebenwirkung, und aus diesem Grund scheint man sich die Kombination hier zunutze gemacht zu haben. Vier Placebo-kontrollierte Langzeitstudien über 56 Wochen liegen vor (18–21), dabei betrug die Gewichtsabnahme gegenüber Placebo 3–5%. Schwindel, Übelkeit, Nausea und Obstipation sind häufige Nebenwirkungen. Die Kombination gilt in Österreich – wie auch andere nur zur Unterstützung von gewichtsreduzierenden Maßnahmen zugelassene Arzneimittel – als nicht-erstattungsfähige Arzneimittelkategorie und ist daher nicht auf Kosten eines Krankenversicherungsträgers verschreibbar. Frei verschreibbar sind zwar die Einzelkomponenten Bupropion (Wellbutrin XR) und Naltrexon (Dependex, Revia). Bupropion darf aber nur bei (schweren) Depressionen und Naltrexon nur zur medikamentösen Unterstützung der Entzugsbehandlung bei Alkoholkranken verschrieben werden und die dafür erforderliche Dosis von Naltrexon (50 mg/Filmtablette) ist für die Behandlung der Adipositas viel zu hoch.
II. Zentrale GLP-1-Rezeptoren
Das primär für Typ 2-Diabetes zugelassene Liraglutid ist ein Glucagon-like Peptide‑1 (GLP‑1)-Agonist und wirkt über zentrale GLP‑1-Rezeptoren in der Area postrema hemmend auf Magenentleerung und Nahrungsaufnahme (22). Zwei klinische Studien belegen seine klinische Anwendung bei Adipositas, weshalb es 2015 EU-weit unter dem Handelsnamen Saxenda für diese Indikation zugelassen wurde (23). Es wird im Fertigpen für eine subkutane Verabreichung angeboten. In einer Placebo-kontrollierten Studie an 3.731 PatientInnen über 56 Wochen mit einem mittleren BMI von 38.3 bewirkten 3 mg Liraglutid täglich eine Placebo-kontrollierte Gewichtsabnahme von 5.6 kg, wobei bei 63% der PatientInnen die Abnahme vom Ausgangsgewicht > 5 kg betrug (24). In einer weiteren Placebo-kontrollieren Studie über drei Jahre an 1.128 bereits prädiabetischen PatientInnen betrug der Placebo-kontrollierte Gewichtsverlust 4.3% und die Entwicklung eines Typ 2-Diabetes wurde signifikant reduziert: er entwickelte sich in der 3 mg-Liraglutid-Gruppe nur bei 2% der PatientInnen gegenüber 6% in der Placebo-Gruppe (25).
Auch Saxenda ist – wie Mysimba –ebenfalls nicht auf Kosten eines Krankenversicherungsträgers verschreibbar. Liraglutid ist aber als Victoza bei Typ-2-Diabetes als Drittlinientherapie in Kombination mit anderen Antidiabetika und erst ab einem HbA1 von 8% und einem BMI ab 30 chefarztpflichtig verschreibbar. Wie in Pharmainfo XXXI/4/2016 berichtet, senkt Liraglutid (Leader Studie) bei Typ-2 DiabetikerInnen (Dosierung von 1.8 mg täglich) mit hohem kardiovaskulärem Risiko mikro- und makrovaskuläre Endpunkte.
III. Hemmung der gastrointestinalen Lipase
In diese Gruppe fällt mit Orlistat, das derzeit einzige Präparat zur Behandlung der Adipositas, das einen peripheren Angriffspunkt hat. Es wurde bereits in Pharmainfo XIV/1/1999 und XXIII/1/2008 beschrieben. Orlistat hemmt gastrointestinale Lipasen im Darm und verhindert dadurch die Resorption von Fetten. Zu Gunsten der dadurch verursachten Gewichtsreduktion müssen ölige Stühle und ungewollte Fett- und Faecesdurchtritte (Inkontinenz) in Kauf genommen werden. Wegen dieser – in niedriger Dosis von 60 mg – einzig hervorzuhebenden, wenn auch unangenehmen aber harmlosen Nebenwirkung hat sich 2008 die europäische Zulassungsbehörde (EMA) bei Orlistat erstmalig entschlossen, ein primär rezeptpflichtiges Medikament rezeptfrei zu stellen (26). Es sollte in Apotheken unter dem Namen Alli aber nur nach entsprechender Beratung bezüglich Umstellung auf kalorienarme Diät und nur für Erwachsene mit einem BMI ab 28 abgegeben werden. Die höher dosierte 120 mg-Kapsel blieb unter dem vorherigen Handelsnamen Xenical rezeptpflichtig (nicht erstattungsfähig).
Fazit: In Österreich sind Arzneimittel zur Unterstützung von gewichtsreduzierenden Maßnahmen ohne weitere medizinische Indikation eine nicht-erstattungsfähige Arzneimittelkategorie. Dem/r verschreibenden Arzt/Ärztin steht somit kein einziges Mittel gegen Adipositas auf Kosten der Krankenversicherung zur Verfügung, ein Zustand, der aus medizinischen aber auch aus ökonomischen Gründen zu Recht besteht. Alle Mittel wirken nur mäßig in Bezug auf den Gewichtsverlust, haben in wirksamer Dosierung aber allesamt ein deutliches Nebenwirkungspotential. Im Rahmen antidiabetischer Therapie steht Liraglutid für adipöse PatientInnen zur Verfügung. Für ausgewählte stark adipöse PatientInnen (BMI von >40 oder BMI >35 bei Vorliegen von Begleiterkrankungen wie z.B. Diabetes) ist eine bariatrische Operation eine Therapieoption (1).
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Therapeutisches Drug Monitoring von Antibiotika bei kritisch kranken PatientInnen
Trotz verschiedener neuer therapeutischer Ansätze ist die Mortalität aufgrund von Infektionen bei kritisch kranken PatientInnen in den letzten Dekaden nahezu unverändert geblieben. Dies scheint besonders schwerwiegend, bedenkt man, dass der Einsatz von Antibiotika auf Intensivstationen um den Faktor 10 höher liegt als auf Normalstationen (1). Grundsätzlich konnte gezeigt werden, dass durch Veränderungen des Dosisregimes, etwa durch prolongierte bzw. kontinuierliche Infusion von Betalaktam-Antibiotika das Überleben signifikant verbessert werden kann (2). Dennoch ist dies ein genereller und kein individualisierter Ansatz, um die antimikrobielle Therapie zu verbessern. Gerade bei kritisch kranken PatientInnen wäre ein solch individualisierter Ansatz dringend nötig, da eine große inter– and intra–individuelle Variabilität hinsichtlich der Pharmakokinetik von Antibiotika bei kritische Kranken PatientInnen besteht (3,4). Somit ist es naheliegend, dass Dosisschemata die im Rahmen von Zulassungsstudien in weniger kranken PatientInnen etabliert wurden, bei schwer kranken PatientInnen vermehrt zu Therapieversagen und Resistenzentwicklung im Fall von Unterdosierung oder zu unnötigen Nebenwirkungen bei relativer Überdosierung führen. Basierend auf dem wachsenden Verständnis über pharmakokinetisch/pharmakodynamische Zusammenhänge (PK/PD) bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Antibiotika und dem für den/die einzelne/n PatientInnen schwer vorhersehbaren pharmakokinetischen Profil besteht also ein starkes Rational für "Therapeutisches Drug Monitoring” (TDM) (5).
Ursprünglich wurde TDM v.a. eingesetzt um Nebenwirkungen von Substanzen mit niedriger therapeutischer Breite (z.B. Aminoglykoside, Vancomycin) zu verhindern, während in den letzten Jahren TDM vermehrt auch für Substanzen mit weiterer therapeutischer Breite (Betalaktame) diskutiert wird (6,7). Auch wenn klinische Outcome Daten, die den Nutzen dieser Maßnahme beweisen, weitgehend fehlen, werden im Folgenden die Ansätze sowie die PK/PD Ziele für ausgewählte Substanzgruppen kurz skizziert.
Aminoglykoside
Aminoglykoside weisen Konzentrations-abhängige antibakterielle Wirkung auf, d.h. optimale bakterizide Wirkung wird erzielt, wenn der Spitzenspiegel im Plasma ≥10 x MHK (10 mal höher als die Minimale Hemmkonzentration für das Bakterium) ist (8,9). Im Gegensatz dazu resultieren dauerhafte erhöhte Spiegel in spezifischen Kompartments, die Oto- und Nephrotoxizität bedingen. Als Folge dessen sind für Therapieoptimierung im Rahmen von TDM die Bestimmung von Spitzen- und Talspiegeln notwendig (10). Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollte auf eine einmal tägliche Dosierung gewechselt werden ohne die Gesamtdosis zu reduzieren (11). Kommerzielle Assays sind für Amikacin, Tobramycin und Gentamicin verfügbar.
Betalaktam-Antibiotika
Dosisanpassungen bei Betalaktamen sind selten aufgrund von Nebenwirkungen nötig, jedoch verlangt der in letzten Jahren beobachtete Anstieg von MHK-Werten, v.a. für Gram-negative Pathogene, zunehmend nach höheren Konzentrationen als dies durch zugelassene Dosierungen erreicht wird. TDM wird also v.a. angewendet um Unterdosierung in kritisch kranken PatientInnen zu vermeiden (6,7). Für Betalaktame ist die Zeit während der die Konzentration über der MHK liegt (% T>MHK, "zeitabhängige antibakterielle Wirkung") für den therapeutischen Erfolg entscheidend, während besonders hohe Spiegel zu keiner Zunahme der Aktivität führen (8). Je nach Substanz aber auch Pathogen werden Werte von über 60-70% T>MHK angestrebt. Kontinuierliche oder prolongierte intravenöse Applikation führen zu einer Erhöhung der Zeit über der MHK und vereinfachen auch das TDM, da die Abnahmezeitpunkte keine so entscheidende Rolle spielen.
Colistin
Colistin zeigt Konzentrations-abhängige Wirkung und sowohl die Fläche unter der Konzentrations-Zeit Kurve (area under the curve, AUC) im Verhältnis zur MHK (AUC/MHK-Ratio von 25–35) als auch die Cmax/MHK-Ratio sind für das mikrobiologische Ansprechen prädiktiv (12,13). Höhere tägliche Dosierungen von Colisitin sind mit einem besseren Überleben bei Infektionen mit resistenten Gram-negativen Erregern assoziiert (14). Bestehen hohe Konzentrationen über einen längeren Zeitraum, steigt hingegen das Risiko für Neuro- und Nephrotoxizität. Grundsätzlich kann die Initial und Erhaltungsdosis von Colistin anhand der Nierenfunktion angepasst werden (15), dennoch bleibt die inter-individuelle Variabilität beachtlich. Obwohl aus diesem Grund TDM von verschiedenen AutorInnen empfohlen wird (15,16), fehlen bislang klare Zielkonzentrationen im Plasma und kommerzielle Assays sind nicht erhältlich.
Fluoroquinolone
Der wichtigste Parameter für Fluoroquinolone hinsichtlich ihrer klinischen Aktivität ist die AUC/MHK Ratio. Interessanterweise reichen Ratios von 25–30 für Gram–positive Keime (Streptococcus pneumoniae) aus (17), während für Gram–negative Pathogene (Enterobacteriaceae und P. aeruginosa) Werte von 80-100 nötig sind. Je nach einzelner Substanz beeinflussen Nieren- bzw. Leberfunktion die Pharmakokinetik. Da die AUC für die Therapieanpassung benötigt wird, müssen Einzelbestimmungen der Plasmakonzentration mit entsprechenden Populations-pharmakokinetischen Modellen kombiniert werden. Leider stehen kommerzielle Methoden zur Analyse noch nicht zur Verfügung. Diese wären vor allem in Anbetracht von Nebenwirkungen und Langzeitrisiken wie neurologische und rhythmologische Alterationen sowie den Risiken für Tendinopathien oder Aortenaneurysmen eine klinische Notwendigkeit.
Glykopeptide
Spiegelbestimmungen bei Glycopeptiden haben eine lange Tradition. Für Vancomycin ist die AUC/MHK-Ratio der bestimmende pharmakodynamische Parameter, wobei Zielwerte um 400 angestrebt werden (18,19). Talspiegel-Monitoring kann als Annäherung verwendet werden, wobei unterschiedliche Ziele diskutiert wurden; momentan werden Werte um 15–20 mg/L für Keime bis zu einer MHK von 1 mg/L als suffizient angesehen (20). Allerdings sollte v.a. für kritisch Kranke eine höhere Ladungsdosis (z.B. 35 mg/kg) überlegt werden (21).
Auch für Teicoplanin mit seiner Halbwertszeit von mehreren Tagen kann eine Ladungsdosis das Erreichen der Zielkonzentration erheblich verkürzen. Die angestrebten Zielkonzentrationen reichen von ≥10 mg/L bis zu 20 mg/L für weniger empfindliche Keime (22-24). Verschiedene Immunoassays, HPLC oder LC/MS–MS-Methoden sind für beide Substanzen verfügbar.
Linezolid
Oxazolidinone (Linezolid und Tedizolid) zeigen primär “zeitabhängige” Aktivität, wobei die Höhe der Konzentration im Verhältnis zur MHK (Cmax/MHK) jedoch mehr Einfluss als bei Betalaktamen hat. Für AUC/MHK sollten Werte zwischen 80 und 120 erreicht werden, wobei die Konzentration im Optimalfall immer über der MHK bleibt (25). V.a. bei Linezolid ist die Variabilität zwischen PatientInnen signifikant, was den Einsatz von TDM rechtfertigt. Basierend auf Modellen kann bei einem Talspiegel von >2 mg/L eine AUC/MHK-Ratio von über 80 erwartet werden (26). Andererseits sollten Talspiegel über 8 mg/L vermieden werden, um das Risiko für Thrombozytopenie zu minimieren (27). Es gibt verschiedene Tests, die jedoch nur vereinzelt in die Routine implementiert sind.
Fazit: TDM von Antibiotika hält Einzug in die klinische Praxis vor allem im Rahmen der Therapie kritisch kranker PatientInnen. Der Einsatz scheint basierend auf wissenschaftlichen Überlegungen und verschiedenen Modellen gerechtfertigt, auch wenn Outcome-Daten weitgehend fehlen. Für die flächendeckende Umsetzung müssen entsprechende validierte Assays zur zeitnahen Quantifizierung, zumindest in großen Spitälern, etabliert werden. Mindestens ebenso wichtig werden neben spezifischer Expertise in klinischer Infektiologie zur PatientInnen-spezifischen Therapieinitiierung und -steuerung auch pharmakometrische Programme und Apps sein, um die gemessenen Spiegel für eine im klinischen Alltag umsetzbare individualisierte Dosisanpassung nutzen zu können.
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P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 3. Dezember 2018