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Editorial
Es sei wieder einmal daran erinnert, dass die Pharmainfo im Internet (siehe oben etwas kleingedruckt die Adresse) abrufbar ist. Im Internet ist für die Info ein Suchprogramm (Text search) angeboten, welches eine Stichwortsuche erlaubt und daher jedes besprochene Medikament leicht finden läßt.
Europäische Entscheidungen: Wir haben in der Pharmainfo XIV/3/1999 über Cisaprid (Prepulsid) berichtet, dass es bei diesem Medikament wegen Herzrhythmusstörungen (QT-Verlängerung) zu Todesfällen gekommen ist (in den USA ca. 80 registrierte Fälle). Die Firma hat nun in den USA, aber nicht in Europa, das Präparat vom Markt genommen. Es wird sich zeigen, wie die europäischen Behörden entscheiden. Wir hatten schon damals (Pharmainfo XIV/3/1999) vor den in Österreich weitgefassten Indikationen dieses Medikaments (wie dyspeptische Beschwerden und chronische Obstipation) gewarnt und "bestenfalls eine sehr eingeschränkte Indikation (schwerer gastroösophagealer Reflux, wenn andere Methoden und andere Medikamente versagen) als vertretbar erachtet". Eine kritische Risiko/Nutzenbewertung dürfte wohl auch in Europa den Verzicht auf dieses Medikament rechtfertigen. Auf jeden Fall ist schwer nachzuvollziehen, warum von der Firma dieses Präparat in den USA vom Markte genommen, aber in Europa am Markt belassen wird.
Wir haben mehrfach (Pharmainfo VII/4/1992 und XII/4/1997) über die negative Risiko/Nutzenbewertung von Amphetamin-ähnlichen Anorectica (Amfepramon: Regenon; Phentermin: Adipex, Mirapront) berichtet. Aufgrund einer Bewertung der europäischen Zulassungsbehörde wurden diese Präparate in der ganzen EU vom Markt genommen. Dies wird derzeit von den Firmen beim Europäischen Gerichtshof bekämpft. Ob es zweckmäßig ist, wissenschaftliche Entscheidungen, die im Interesse der Patienten/innen getroffen wurden, juridisch zu beeinspruchen, sei dahingestellt. In Österreich haben Ärzte/Ärztinnen über diese Präparate schon seit längerem durch eine seltene oder gar nicht erfolgte Verschreibung ihre Meinung kundgetan.
Wir haben in der Pharmainfo (Pharmainfo XIV/4/1999) im Rahmen der Diabetes-Therapie über die Gruppe der Insulinsensitizer berichtet. Ein Präparat dieser Gruppe, Triglitazone, wurde wegen Lebertoxizität in Europa nie registriert, in den USA war es zugelassen, wurde aber jetzt vom Markt genommen. Pioglitazone (Avandia) besitzt eine geringe Lebertoxizität, obwohl Einzelfälle von Leberschäden beschrieben worden sind (Ann.Int.Med. 132,118 und 121,2000). Dieses Präparat wurde nun von der Europäischen Behörde zugelassen und wird demnächst in Österreich auf den Markt kommen. Im Gegensatz zu den USA wird aber in Europa die Indikation nur auf eine Kombinationstherapie mit Sulfonylharnstoffen bzw. Metformin eingeschränkt. Da dieses Präparat eine Erhöhung des Plasmavolumens um ca. 10% bewirkt, ist die Langzeitsicherheit bezüglich einer Herzüberbelastung unklar. Dementsprechend ist dieses Präparat bei Patienten/innen mit allen Stadien von Herzinsuffizienz (I-IV) kontraindiziert. Die generelle Langzeitsicherheit und der Langzeitnutzen (Senkung der Diabeteskomplikationen und der Mortalität) sind im Gegensatz zu den etablierten Präparaten (siehe Pharmainfo XIV/4/1999) derzeit aufgrund des Fehlens von kontrollierten Langzeitstudien (über ein Jahr hinaus) nicht zu bewerten. Die Entscheidung der Europäischen Behörde, dieses Präparat nur als Zusatzmedikation zuzulassen, ist daher zu begrüßen.
Raucherentwöhnung mit Medikamenten
Wir haben in der Pharmainfo VII/1/1992 für den Nikotinkaugummi und das Nikotinpflaster festgestellt, dass sie insbesondere zusammen mit Beratungsprogrammen eine über Placebo hinausgehende Wirkung entfalten können. Auch wenn die Erfolgszahlen (höchstens bis zu 30% Abstinenz nach einem Jahr) nicht spektakulär sind, ist auch ein limitierter Erfolg von großer Bedeutung.
Ein beträchtlicher Teil der Raucher/innen will das Rauchen aufgeben, besonders im Hinblick auf die Tatsache, dass jede/r fünfte Raucher/in an einem Lungencarcinom verstirbt und weil das Risiko, schon in jungen Jahren (bis 54) am Herzinfarkt zu versterben, 15mal höher ist als bei einem Nichtraucher. Zusätzlich erhöht der/die Raucher/in diese Risiken nicht nur für sich, sondern auch noch signifikant (um ca. 50-100%) für seine Familienangehörigen und Arbeitskollegen/innen (z.B.: 1,2). Kinder in einer rauchenden Familie haben ein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen wie Bronchitis und Asthma (z.B.: 3).
Gibt es wesentliche neue Entwicklungen bei der Raucherentwöhnung? Wir haben in der vorletzten Pharmainfo XIV/4/1999 berichtet, dass Akupunktur offensichtlich keine effiziente Methode darstellt.
Nikotinersatz
Pharmakologisch stehen heute auf der Basis der Nikotinersatztherapie neben dem Kaugummi (Nicorette KG, Nicotinel KG) und dem Nikotinpflaster (Nicolan, Nicorette, Nicotinell TTS Depot Pflaster) auch noch der Nikotinspray (Nicotrol Nasalspray), der Nikotininhalator (Nicorette Inhalation) und sublinguales Nikotin (Nicorette Microtab-Sublingualtabletten) zur Verfügung. Generell gilt für alle diese Methoden, dass die Wirksamkeit gegenüber Placebo demonstriert wurde und dass die Abstinenz nach 1 Jahr ca. eine Verdoppelung gegenüber Placebo erreicht. Je nach zusätzlicher Beratung liegen diese Werte für den Nikotinersatz bei 10-30% Abstinenz nach einem Jahr (4). Es hat sich aber in den USA, wo Nikotinpflaster und Kaugummi auch schon länger rezeptfrei (OTC: over the counter) zur Verfügung stehen, gezeigt, dass unter diesen Bedingungen die Erfolgsraten ähnlich waren (5), obwohl hier keine oder nur telefonische (von Firmen arrangierte) Beratungsprogramme zur Verfügung standen. Möglicherweise sind aber die Raucher/innen, die sich den Nikotinersatz selber kaufen, bereits motivierter als diejenigen, die in kontrollierte Studien einbezogen wurden. Der breite Zugang zu rezeptfreiem Nikotinersatz hat auf jeden Fall in den USA zu einer Zunahme derjenigen geführt, die das Rauchen aufgegeben haben (5). Raucher/innen mit Herzerkrankungen wurden allerdings aufgefordert, vor Verwendung der Mittel einen Arzt zu konsultieren.
Es gibt anscheinend keine kontrollierten Daten, die die eine oder andere Verabreichungsmethode verlässlich als besser erscheinen lassen. Die Auswahl eines bestimmten Präparats sollte daher die Wünsche der Raucher/innen berücksichtigen, da ja auch die Erfolgsrate von der subjektiven Akzeptanz abhängt (5).
Ob die Kombination zweier Methoden Vorteile bringt, ist noch nicht endgültig zu bewerten. Pflaster als Basistherapie und Kaugummi zusätzlich nach Bedarf brachten eine etwas erhöhte Abstinenzrate (5). Eine kürzlich publizierte Studie (6) untersuchte die Kombination von Pflaster mit Nasalspray. Das Pflaster stand für 5 Monate, der Spray für 1 Jahr zur Verfügung. Mit letzterem ist ein besonders rascher Anstieg von Nikotin im Blut zu erhalten, wie dies auch bei der Zigarette erfolgt. Dieser rasche Anstieg ist besonders für das subjektive Wohlempfinden wichtig und koupiert das "craving" ("Drang nach der Zigarette"). Nach 1 Jahr war die Abstinenz bei Verordnung von beiden Applikationsformen zusammen mit 27% signifikant höher als nur beim Pflaster mit 11%. In dieser Studie standen auch (was sonst fast nie der Fall ist) 6-Jahresdaten zur Verfügung: Die Abstinenz war zu diesem Zeitpunkt immerhin noch 16% für die Kombination und 9% für das Pflaster alleine. Die Kombination zeigte keine gefährlichen Nebenwirkungen. Dies entspricht auch Daten, dass sogar gelegentlich zusätzliches Rauchen zusammen mit einem Pflaster (5) oder die Verwendung des Pflasters bei Patienten mit cardiovaskulären Erkrankungen (7) relativ sicher ist. "Relativ sicher" darf natürlich nicht vergessen lassen, dass nun einmal Rauchen und damit Nikotin (aber auch das CO im Zigarettenrauch: 8) das Risiko für Herzinfarkt deutlich erhöht. Man kommt aber immer mehr zur Ansicht, dass dies beim Nikotinersatz mit seinen weniger hohen Nikotinblutspiegeln (bei Fehlen von CO) ein geringeres Risiko darstellt, als wenn massiv weitergeraucht wird. Sogar zusätzliches Rauchen bei Nikotinersatz ist anscheinend besser als ein laufend hoher Zigarettenkonsum (5,8).
Bupropion (Zyban)
Eine weitere pharmakologische Möglichkeit ist durch die Verwendung von Bupropion (in Österreich demnächst registriert: Zyban) hinzugekommen. Bupropion wurde bereits seit längerem als Antidepressivum verwendet. Wie einige andere Antidepressiva hemmt es die Aufnahme von Noradrenalin und Dopamin in die Nervenendigungen. In einer kontrollierten Studie wurde eine Abstinenzrate nach 1 Jahr von 23,1% versus 12,4% Placebo gefunden (9). Eine weitere Studie zeigte, dass nach einem Jahr eine Kombination von Bupropion mit Nikotin-Pflaster zu einer dauernden Abstinenz von 22,5%, Bupropion allein von 18,4% und Pflaster allein von 9,8% (Placebo 5,6%) führte (10). Weitere Studien müssen zeigen, ob Bupropion tatsächlich bessere Abstinenzraten als Nikotinersatz bewirkt.
Bupropion wirkt nicht beruhigend, sondern induziert eher Schlaf- und Appetitlosigkeit (11). Es kann neben Mundtrockenheit dosisabhängig zu Krämpfen (bis hin zum schweren generalisierten grand mal-Anfall) führen. Bei der in der Studie verwendeten Dosis ist das Risiko immerhin noch 0,1%, bei Dosissteigerung deutlich höher. Ein schwerer, generalisierter Krampfanfall ist natürlich eine sehr ernstzunehmende Komplikation. Es ist derzeit noch nicht absehbar, inwieweit diese Nebenwirkung bei der Raucherentwöhnung ein Problem darstellt. Sicherlich kann eine genaue Einhaltung einer niederen Dosierung und die Beachtung von Kontraindikationen (wie Krampfanfälle in der Anamnese) das Risiko geringer halten. Aufgrund dieser Datendürfte für Bupropion insbesondere im Hinblick auf Nebenwirkungen wie Krampfrisiko Zurückhaltung zu empfehlen sein. Wenn allerdings die Nikotinersatztherapie versagt hat, könnte der Versuch mit Bupropion alleine oder in Kombination zweckmäßig sein, da mögliche Risiken dieser neuen Therapie vermutlich doch geringer als die Nachteile des Weiterrauchens sind.
Zusammenfassung: die verschiedenen Nikotinersatzpräparate erhöhen die Abstinenzrate nach einem Jahr gegenüber Placebo um ca. das Doppelte (im besten Fall bis maximal 30%). Ein klarer Vorteil eines Präparates im Direktvergleich gegenüber einem anderen wurde bis jetzt noch nicht gezeigt. Bei besonders abhängigen Rauchern/innen kann eine Kombination von Pflaster z.B. mit Kaugummi oder Spray versucht werden. Die Gabe von Nikotinersatzmitteln ist relativ sicher. Für das demnächst in Österreich auf den Markt kommende Bupropion (Zyban) ist eine verläßliche Risiko/Nutzen Abwägung noch nicht abschließend vornehmbar.
Literatur:
(1) Brit Med J 315,980,1997
(2) NEJM 340,920,1999
(3) Lancet 346,280,1995
(4) Brit Med J 318,289,1999
(5) JAMA 288,72,1999
(6) Brit Med J 318,285,1999
(7) NEJM 335, 1792, 1996
(8) DMW 124,363,1999
(9) NEJM 337,1195,1997
(10) NEJM 340,685,1999
(11) Medical Letter 39,77,1997
Neuzulassungen:
Leflunomid (Arava)
Leflunomid erhielt 1999 eine zentrale europäische Zulassung (siehe EPAR:http://www.eudra.org/humandocs/humans/epar.htm; siehe auch 1) als antirheumatisches Basis-therapeutikum (Disease Modifying Anti Rheumatic Drug: DMARD). Diese Substanz ist eine Prodrug, die nach der Resorption in den aktiven Metaboliten übergeführt wird. Über eine reversible Hemmung des Enzyms Dihydroorotat-Dehydrogenase greift sie in die de-novo-Pyrimidinsynthese ein. Hierdurch werden besonders aktivierte Lymphozyten betroffen, die einen hohen Pyrimidinbedarf haben. Diese Zellen spielen in der Pathogenese der rheumatischen Arthritis eine wichtige Rolle.
Elf klinische Studien wurden vor der Zulassung durchgeführt, einerseits gegen Placebo, andererseits gegen Methotrexat und Sulfasalazin. In der größten Doppelblindstudie an Patienten mit rheumatoider Arthritis wurde Leflunomid an 501 Patienten gegen Methotrexat (498 Patienten) für 52 Wochen verglichen. Bewertet wurden Schmerzen und Schwellung von Gelenken, Bewertung der Symptome durch Patient und Arzt bzw. eine Summen-Antwort (ACR20: American College of Rheumatology: Verbesserung um mehr als 20%) und letztlich eine röntgenologisch erfaßte Feststellung der Gelenkschädigung. Leflunomid war signifikant besser wirksam als Placebo, gegenüber Sulfasalazin und Methotrexat von vergleichbarer Wirkung (allerdings etwas schlechter in der Wirkung gegenüber Methotrexat plus Folsäure). Zwei Studien wurden bis zu 2 Jahren ausgedehnt. Die positive Wirkung wurde aufrechterhalten, allerdings fielen für Leflunomid 18-20% der Patienten, für Sulfasalazin 23% und für Methotrexat 17% aus. Diese Zahlen weisen bereits auf signifikante Nebenwirkungen hin. Ursachen für Therapieabbruch waren Leberfunktionsstörungen, Nausea, Diarrhoen, Hautausschläge und Haarausfall. Auch Infektionen können durch Leflunomid gefördert werden. Nach der Markteinführung wurden Fälle von Pancytopenien und Stevens-Johnson-Syndrom berichtet. Die Indikation für dieses Präparat wurde daher noch vor der Markteinführung strenger formuliert. Wie in der Fachinformation (Anwendungsgebiete) angeführt, ist die Indikation "sorgfältig" unter entsprechender Risiko/Nutzenabwägung und damit zurückhaltend gegenüber länger bewährten Mitteln zu stellen.
In der Schwangerschaft ist das Mittel kontraindiziert. Da es sehr lange im Körper verbleibt, ist vor einer Schwangerschaft ein langer Auswaschprozeß notwendig (bis zu 2 Jahre Wartefrist bzw. Ausscheidungsbeschleunigung mit Cholestyramin und Tierkohle).
Zusammenfassung: Leflunomid ist bei rheumatoider Arthritis belegt wirksam. Gegenüber bewährten Mitteln wie Sulfasalazin und Methotrexat bietet es weder von der Wirkung oder den Nebenwirkungen her grundlegende Vorteile. Wenn diese bewährten Mittel aber schlecht wirken oder vertragen werden, kann Leflunomid eine zweckmäßige Alternative im Sinne einer Reservetherapie darstellen.
Literatur:
(1) Drugs 58,1137,1999
Etanercept (Enbrel)
Etanercept stellt eine weitere neue Therapiemöglichkeit für die rheumatoide Arthritis dar. Diese Substanz hat eine zentrale europäische Zulassung (EPAR: http://www.eudra.org/humandocs/humans/epar.htm) erhalten. Es ist ein gentechnologisch hergestelltes Eiweiß (934 Aminosäuren), das den extrazellulären Teil des Rezeptors enthält, an den sich der Tumour necrosis factor (TNF-α) bindet. Wenn dieses Eiweiß injiziert wird, neutralisiert es im Organismus TNF und verhindert dadurch, dass sich dieser Faktor ans Gewebe bindet und dort seine Wirkung entfaltet.
TNF-α ist ein entzündungsförderndes Cytokin, dem in der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Tatsächlich zeigt die Ausschaltung dieses Faktors bei Patienten mit dieser Erkrankung eine positive Wirkung. Die Zulassung beruhte auf 3 Placebo-kontrollierten Studien, in denen 349 Patienten Etanercept erhielten. So wie oben für Leflunomid angeführt, wurden verschiedene klinische Parameter gemessen und eine positive Wirkung sichergestellt. Leider liegen noch keine ausreichenden Daten vor, um die Wirksamkeit von Etanercept mit anderen DMARD wie Methotrexat zu vergleichen. Eine dementsprechende Studie wird derzeit durchgeführt. Auch ist bis jetzt nicht sichergestellt, inwieweit diese Behandlung Langzeit-Effekte auf die Gelenksschäden hat.
Im allgemeinen ist die Substanz gut verträglich. Häufiger (42%) waren Reaktionen an der Injektionsstelle. Da TNF-α in der Immunabwehr involviert ist, könnte eine Ausschaltung dieses Faktors infektiöse Krankheiten fördern. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, ist noch unklar, da Patienten mit rheumatoider Arthritis an sich eine höhere Infektanfälligkeit (bis zum Auftreten von Sepsis) haben. Bis verläßliche Langzeitstudien vorliegen, ist daher entsprechende Vorsicht am Platze. Dies gilt insbesondere für Patienten mit vorhandener Infektanfälligkeit und wenn eine Infektion oder eine Entzündung während der Behandlung auftreten.
TNF-α wird auch eine Rolle in der Tumorabwehr zugesprochen. Erst Langzeitdaten werden zeigen, ob die Ausschaltung dieses Faktors über Jahre eine erhöhte Tumorrate zur Folge hat.
Derzeit gibt es keine Hinweise, dass der Organismus Antikörper gegen Etanercept als Eiweiß bildet, die dessen Wirkung neutralisieren.
Zusammenfassung: Etanercept hat eine belegte Wirkung bei rheumatoider Arthritis. Wie gut diese Substanz im Vergleich z.B. mit Methotrexat wirkt, ist noch nicht sichergestellt. Auch ist die Langzeitsicherheit (Auftreten von schweren Infektionen bis Sepsis, Tumoren) noch ungeklärt. Daraus ergibt sich derzeit als vertretbare Indikation nur eine Verwendung bei rheumatoider Arthritis, wenn andere DMARD einschließlich Methotrexat in ihrer Wirkung versagen. In diesem Fall ist dann nur eine Monotherapie mit Etanercept zweckmäßig, ob eine Zusatztherapie z.B. mit Methotrexat sich bewährt, muss erst geprüft werden.
Infliximab (Remicade)
Dieses Medikament erhielt eine zentrale europäische Zulassung zuerst für die Indikation Crohn'sche Erkrankung und dann zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis. So wie das gerade besprochene Etanercept greift es am Tumour necrosis factor (TNF-α) ein und zwar handelt es sich um monoclonale Antikörper, die nach Injektion diesen Faktor binden und dadurch neutralisieren. In der Risiko/Nutzenbewertung ist es daher ähnlich dem Etanercept.
In einer größeren Studie (Attract) von Patienten/innen mit rheumatoider Arthritis wurden 4 verschiedene Dosen (n=81-88 pro Gruppe) über 30 Wochen (und dann noch offen bis 54 Wochen) gegenüber Placebo verglichen. Alle Gruppen hatten aber als Basistherapie Methotrexat. Signifikante Unterschiede gegenüber Placebo wurden beginnend nach 2 Wochen für die verschiedenen klinischen Parameter (vgl. oben Leflunomid) gefunden.
Neben unspezifischen Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Nausea, Durchfällen, flushing, Atembeschwerden, traten auch etwas vermehrt Infektionen (z.B. im Atemsystem) auf. In Zusammenhang mit der Infusion des monoclonalen Antikörpers wurden Fieber (3%) und Urticaria (0,7%) beobachtet. Die Injektionen sollen zuerst in der 2. und 6. Woche wiederholt und dann alle 8 Wochen verabreicht werden. Noch unklar ist, wie sich lange Intervalle zwischen Infusionen auswirken. In einer Studie kam es nach einem 2 Jahresintervall zu deutlichen anaphylaktischen Reaktionen.
So wie für Etanercept ist über das Langzeit-Infektions- und Tumorrisiko noch keine Aussage zu machen.
Zusammenfassung: Infliximab stellt so wie Etanercept eine interessante neue Therapiemöglichkeit bei rheumatoider Arthritis dar. Bei Patienten, die mit Methotrexat (Methotrexat) alleine nicht ausreichend therapierbar sind, wird durch Infliximab-Zugabe eine signifikante Verbesserung der Symptome erzielt. Ob auch die Langzeitschäden durch diese Erkrankung reduziert werden, ist derzeit in Diskussion. Die Langzeitsicherheit der Therapie (insbesondere für schwere Infektionen und Tumorentwicklung) ist noch nicht abgeklärt.
Johanniskraut (Hypericum perforatum: Esbericum, Jarsin 300 mg, Kira 300 mg, Psychotonin)
Das Johanniskraut ist derzeit im mehrfachen Sinne des Satzes in aller Munde. Eine kritische Analyse dieses Mittels, das als Antidepressivum verwendet wird, ist daher am Platz. Im Jahre 1993 haben wir zu Psychotonin (alkoholischer Extrakt aus Herba Hyperici) befunden: "Es liegen keine überzeugenden pharmakologischen Daten vor, die einen antidepressiven Wirkungsmechanismus von Hypericum belegen können. Klinische Studien erscheinen nicht ausreichend, um eine antidepressive Wirkung sicherzustellen".
Wo stehen wir im Jahre 2000?
Das Johanniskraut enthält mehrere pharmakologisch interessante Wirkstoffe, wobei hier Flavonoide (z.B. Quercetin), Hypericin und Phloroglucinderivate (z.B. Hyperforin) erwähnt seien (1). Zugelassene Präparate (Esbericum, Jarsin 300 mg, Kira 300 mg, Psychotonin) sind auf den Wirkstoff Hypericin standardisiert. Wie unten diskutiert ist aber unklar, welche Substanz oder welches Substanzgemisch für die mögliche antidepressive Wirkung in Frage kommt.
Präklinische Daten
Monoaminoxidase (MAO): Ursprünglich war angenommen worden, dass eine Hemmung der MAO der antidepressiven Wirkung von Johanniskraut zugrunde liegen könnte. In vitro war diese aber nur in hohen Dosen zu beobachten, weiters konnte dieser Mechanismus in vivo nicht bestätigt werden (siehe 2,3).
Rezeptor-Bindung: In einer Studie zeigte Hypericin an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren eine Affinität in niederen Konzentrationen (4), während in einer anderen Studie Hypericin eine gewisse Affinität für den Glutamat NMDA-Rezeptor zeigte (2). Der Gesamtextrakt war in niederen relevanten Konzentrationen nur an GABAA- und GABAB-Rezeptoren aktiv (2), was aber in einer anderen Studie nicht bestätigt werden konnte (5).
Aufnahme in Nervenenden: Eine Hemmung der Neurotransmitteraufnahme (insbesondere von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin) in Nervenenden wurde in mehreren Studien für Extrakte, aber auch für Hyperforin berichtet, Hypericin war hier kaum wirksam (6,7). Die Aufnahmehemmung ist aber nicht kompetitiv (wie dies bei den klassischen Antidepressiva der Fall ist), geht auch nicht über eine Bindung an spezifische Transporter (8) und hemmt die Aufnahme vieler Transmitter, ist also im gesamten relativ unspezifisch. Eine weitere Studie (5) zeigte nun, dass dieser Effekt nicht auf eine spezifische Aufnahmehemmung, sondern eher auf eine Abgabe des gespeicherten Transmitters (reserpinähnliche Wirkung?) zurückzuführen sei.
Hypericin versus Hyperforin: Nachdem zuerst Hypericin als die aktive Komponente betrachtet wurde, die möglicherweise über die MAO-Hemmung antidepressiv wirken soll, wurde in den letzten Jahren Hyperforin in den Vordergrund gerückt. Dieser Substanz wurde vor allem eine Hemmung der Transmitteraufnahme zugesprochen. Wie oben bereits angeführt, ist aber diese Wirkung auf die Aufnahme im Gegensatz zu den klassischen Antidepressiva unspezifisch (für zahlreiche Transmitter) und nur in hohen Dosen zu erhalten. Unspezifisch ist auch eine Wirkung von Hyperforin auf zahlreiche Ionenkanäle (9). Zu den hohen Dosen sei angemerkt, dass in einer Studie (10) 10 mg/kg Hyperforin an Ratten verabreicht wurde. Das entspräche am Menschen 700 mg Hyperforin und ca. 17 g Johanniskrautextrakt (5% Hyperforin- also ein vielfaches der empfohlenen Dosis). Wenn solche Dosen an der Ratte zur Abgabe von Adrenalin, Serotonin und Glutaminsäure im Locus coeruleus führen, können daraus wohl keine Schlüsse für eine mögliche antidepressive Wirkung gezogen werden.
Verhaltenstests in Tierversuchen: In Ratten bewirkten hohe Dosen (250 — 500 mg/kg, vgl. dazu Dosis am Menschen von ca. 10 mg/kg) eine Verkürzung der Immobilisation im forced swimming test (FST). Da diese Wirkung durch Dopaminantagonisten blockierbar war, wurde auf dopaminerge Mechanismen geschlossen (11). Eine Subfraktionierung des Extrakts und nachfolgende Testung der Fraktionen sprach für eine Beteiligung des Hypericins an dieser Wirkung. Beim gleichen Test wurde in einer anderen Studie nur bei einer Dosis von 20 mg/kg ein Effekt gesehen, nicht aber bei einer höheren Dosis (12). Deutlich unterschiedliche Resultate (13) wurden erhalten, wenn Extrakte, die sowohl Hypericin als auch Hyperforin enthielten (entspricht den zugelassenen Präparaten), mit einem Extrakt, der Hyperforin aber kein Hypericin enthielt, verglichen wurden. Hypericin konnten in dieser Versuchsreihe dopaminerge Effekte, Hyperforin serotoninerge Effekte zugeschrieben werden, wobei letzterer Mechanismus für die antidepressive Wirkung verantwortlich gemacht wurde. Ähnliche Daten wurden erhalten, wenn auf EEG-Veränderungen geprüft wurde (14).
Zusammenfassung der präklinischen Daten: Positiv zu bemerken ist, dass begonnen wurde, die einzelnen Wirkstoffe des Johanniskrautes in ihrer Wirkung zu analysieren. Derzeit liegen zwar zahlreiche, aber sehr widersprüchliche Resultate vor. Auffallend ist, dass Wirkungen z.B. auf Ionenkanäle und Neurotransmitter Aufnahmemechanismen meist sehr unspezifisch sind und in vitro und bei Tieren Dosen verwendet werden, die kaum klinische Relevanz besitzen. Die derzeitigen Daten erlauben keinen Schluss, für welche Substanz und mit welchen Wirkmechanismen eine mögliche antidepressive Wirkung am Menschen erklärt werden könnte.
Klinische Studien
Negativ zu bemerken ist, dass in einem beträchtlichen Teil der klinischen Studien Firmenmitglieder als Koautoren aufscheinen und damit eine Unabhängigkeit gegenüber Firmeninteressen nicht gewährleistet sein kann.
Im Jahre 1996 wurde eine Metaanalyse von Johanniskrautstudien (15 Doppelblindstudien:15) veröffentlicht, die feststellte: "There is evidence that extracts of hypericum are more effective than placebo for the treatment of mild to moderately severe depressive disorders". Diese Metaanalyse wurde kritisiert, weil die eingeschlossenen Studien viel zu heterogen für eine Gesamtanalyse erschienen. Wie dem auch sei, schon in dieser Metaanalyse wurde festgestellt, dass wir nicht wissen, welche der unterschiedlichen Hypericum Präparationen nun effektiv sein sollen und welches die optimale Dosis sei. Auch das Fehlen von Langzeitstudien wurde kritisiert (15,16).
Mehrere Placebo-kontrollierte Studien sind inzwischen dazugekommen (z.B 17,18). Weiterhin werden aber die unterschiedliche Dosierung und der Mangel an Langzeitstudien (über 6 Wochen) kritisiert (19,20). Johanniskraut-Extrakt wurde auch mit klassischen Antidepressiva wie Imipramin verglichen (21,22,23). Eine vergleichbare Wirksamkeit wurde gefunden. Kritisch wurde aber festgestellt, dass von den klassischen Antidepressiva zu niedere Dosen verabreicht wurden und ein zusätzlicher Vergleich mit Placebo fehlte (20,24,25). In einer kürzlich publizierten Studie (leider auch nicht firmenunabhängig) wurde nun ein Hypericum-Extrakt mit Placebo und Imipramin über 8 Wochen verglichen (26). Der Extrakt war in seiner antidepressiven Wirkung signifikant besser als Placebo und gleich wirksam wie Imipramin, das mit 100 mg eher suboptimal dosiert war.
In einer weiteren klinischen Studie (27) wurde versucht, die Bedeutung des Inhaltsstoffes Hyperforin für die antidepressive klinische Wirkung klarzustellen. In einer 6wöchigen Behandlung erhielten Patienten entweder Placebo oder Johanniskrautextrakt mit 0,5 oder 5% Hyperforingehalt. Nur der Extrakt mit dem hohen Hyperforingehalt war signifikant von Placebo in seiner antidepressiven Wirkung unterschieden.
Zusammenfassung der klinischen Daten: Johanniskrautextrakte dürften eine gewisse antidepressive Wirkung, die über eine Placebowirkung hinausgeht, haben. Nach wie vor fehlen aber überzeugende (und firmenunabhängige) Studien über Langzeitwirkung, Dosisbestimmung und ein Vergleich mit ausreichend dosierten anderen Antidepressiva. Die FDA in den USA hat nun eine solche Studie initiiert.
Besonders bedenklich erscheint, dass nun nicht mehr dem Hypericin, auf das die zugelassenen Extrakte standardisiert wurden, die antidepressive Wirkung zugeschrieben wird, sondern dem Hyperforin. Da letzteres chemisch sehr labil ist und bei unsachgemäßer Behandlung oder Lagerung reduziert wird (1), erhebt sich die Frage, wie verläßlich frühere Daten waren, wo über die letztliche Konzentration dieses Wirkstoffes nichts bekannt war.
Nebenwirkungen
Bis vor kurzem wurde immer wieder die gute Verträglichkeit von Johanniskrautextrakten betont. Am ehesten wurden gastrointestinale Symptome, Schwindel, Verwirrtheit und Sedierung beobachtet. Photosensibilisierung dürfte nur nach hohen Dosen, wenn überhaupt, auftreten (28). Inzwischen sind aber Wechselwirkungen mit anderen Pharmaka als wesentliches Problem aufgetaucht. Johanniskrautextrakt induziert Isoenzyme des Cytochrom P450 Systems, das für den Abbau zahlreicher Arzneimittel wichtig ist. Andere Arzneimittel können daher in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt werden. Für das AIDS-Medikament Indinavir (Crixivan) führte die Einnahme von Johanniskraut zur Reduktion der Blutspiegel um mehr als die Hälfte (29) und damit zum Risiko einer ineffizienten antiviralen Therapie. Die zentrale europäische Zulassungsbehörde hat daher festgestellt:
Antiretrovirale Produkte dürfen nicht zusammen mit Johanniskraut genommen werden. Wer Medikamente, insbesondere solche mit kritischen Blutspiegeln wie Ciclosporin (Sandimmun), Digoxin (Lanicor), Antikonzeptiva, Theophyllin (zahlreiche Präparate) und Antikoagulantien wie Warfarin und andere Cumarine einnimmt, sollte nicht gleichzeitig Johanniskraut nehmen.
Zusammenfassung
Johanniskraut dürfte eine über Placebo hinausgehende antidepressive Wirkung haben. Weder die optimale Dosis, noch die Langzeitwirkung, noch die Wirksamkeit im Vergleich mit klassischen Antidepressiva ist klar belegt. Bedenklich ist, dass der für die mögliche Wirkung verantwortliche Wirkstoff (Hypericin oder Hyperforin) so wie der Wirkungsmechanismus nach wie vor nicht sicher identifiziert sind. Dies sollte endlich geklärt werden, damit eine verläßliche Therapie im Sinne einer modernen und wissenschaftlichen Naturheilkunde betrieben werden kann.
Aufgrund der Wechselwirkungen ist derzeit dringend davon abzuraten, Johanniskraut zusammen mit Medikamenten einzunehmen, bei denen schon geringgradige Wirkspiegelveränderungen zum Wirkverlust oder Nebenwirkungen führen können.
Literatur:
(1) DAZ 140,689,2000
(2) Pharmakopsych 30(suppl),108,1997
(3) DAZ 140,47,2000
(4) Life Sci 62,265,1998
(5) NS Arch Pharmacol 360,262,1999
(6) Life Sci 63,499,1998
(7) Pharmakopsych 31(Suppl.)16,1998
(8) J Pharm exp ther 290,1363,1999
(9) Life Sci 65,2395,1999
(10) Neuroscience Lett 262,199,1999
(11) Pharmakopsych 30(suppl),117,1997
(12) Europ Neuropsychopharm 9,461,1999
(13) Pharmakopsych 31(suppl.),22,1998
(14) Pharmakopsych 31(suppl),30,1998
(15) BMJ 313,253,1996
(16) BMJ 313,241,1996
(17) Münch med Wschr 138,35,1996
(18) Human Psychopharm 13,163,1998
(19) Europ Neuropsychopharm 9,501,1999
(20) Arch int Med 160,152,2000
(21) Eur Pharmakopsych 30(suppl.)77,1997
(22) Eur Pharmakopsych 30(suppl.)81,1997
(23) Arzneimittelforschung 49,289,1999
(24) J Nerv Ment Dis 187,532,1999
(25) J Pharm Pharmacol 51,513,1999
(26) BMJ 319,1534,1999
(27) Pharmakopsych 31,suppl.54,1998
(28) Eur J Clin Pharm 54,589,1998
(29) Lancet 355,347,2000
P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 3. Juli 2000
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