Inhalt
- Orale Antidiabetika
- Hochdruck: Diuretika, Betablocker und ACE-Hemmer im direkten Vergleich
- Medikamente oder andere Therapieformen?
Editorial
Ein Thema dieser Pharmainfo sind die oralen Antidiabetika. Wir haben über diese Substanzen bereits mehrfach berichtet (Pharmainfo IV/4/1989; V/1/1990; VI/4/1991). Damals war aufgrund fehlender oder sogar negativer Daten aus Langzeitstudien die Evaluierung schwierig. Das Biguanid Metformin und Acarbose wurden daher eher kritisch bewertet. Durch die nun verfügbare UKPD Studie ist für Sulfonylharnstoffe und für Metformin auch der klinische Langzeitnutzen gut belegt und damit eine klare Indikation gegeben, für den Resorptionshemmer Acarbose ist zwar kein Langzeitnutzen sichergestellt, eine limitierte Indikation kann aber gesehen werden.
Schwierig gestaltet sich die Bewertung der Insulinsensitizer, von denen in der USA schon drei (Troglitazone, Rosiglitazone, Pioglitazone) zugelassen sind. Vor ca. 10 Jahren wäre dies eine Garantie für eine besonders streng überprüfte Marktzulassung gewesen. Inzwischen hat aber die FDA durch eine geänderte Gesetzeslage ihre Zulassungskriterien aufgeweicht und ist im Gegensatz zu früher eher weniger kritisch als die Europäische Zentralbehörde. Troglitazone wurde in Europa nicht zugelassen, ob und wann die anderen Präparate zugelassen werden, ist derzeit nicht abzusehen. Wir werden über die endgültige Entscheidung nächstes Jahr berichten.
Orale Antidiabetika
Bernhard Ludvik, Univ.Klinik f. Innere Medizin III, Wien
Der Diabetes mellitus Typ-2 entwickelt sich bei entsprechender genetischer Veranlagung aus dem Metabolischen Syndrom, das aus Adipositas, Insulinresistenz, Hypertonie und gestörter Glukosetoleranz besteht. Da 80% der Typ-2 Diabetiker übergewichtig oder adipös sind, besteht der erste Schritt der Therapie in der Gewichtsreduktion durch Kalorien- bzw. Fettrestriktion und verstärkte körperliche Aktivität. Diese Maßnahmen sind auch bei einer medikamentösen Therapie unbedingt weiterzuführen. Entsprechend dem vorherrschenden Defekt Insulinresistenz oder Insulinsekretionsstörung orientiert sich die medikamentöse Diabetestherapie an einem Stufenplan, an dessen Ende die Insulintherapie steht.
Die Grundlage für die aktuellen Therapieempfehlungen stellt die kürzlich publizierte UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Studie) dar, die an 3867 Typ-2 Diabetikern den Einfluß einer intensivierten Blutzuckersenkung (Sulfonylharnstoffe, Insulin) gegenüber einer konventionellen (Diät, anschließend Medikamente) untersuchte (1). Die HbA1c-Differenz zwischen den Gruppen betrug über einen Zeitraum von 10 Jahren konstant 0.9% (7.0 versus 7.9%). Durch die Verbesserung der Stoffwechseleinstellung ließ sich eine Verminderung der Diabetes-assoziierten Spätschäden (wie z.B. Retinopathie) um 12% erzielen, was die Wichtigkeit der glykämischen Kontrolle für die Vermeidung von Diabeteskomplikationen belegt, auf die kardiovaskuläre Mortalität hatte die verbesserte Stoffwechseleinstellung allerdings keinen signifikanten Effekt. In einer Subgruppe adipöser Diabetiker konnte Metformin das Risiko von diabetesbedingten Spätschäden um 32% vermindern, hier fand sich sogar eine Senkung der Mortalität um 36% (2). Die Gabe von Acarbose in Form einer Mono- bzw. Kombinationstherapie senkte das HbA1c um 0.5 Prozentpunkte, wobei sich jedoch eine hohe Abbruchrate wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen fand, sodaß sich der den Blutzucker senkende Effekt in der intention-to-treat Analyse, die auch die Therapieabbrecher einschließt, auf 0.2% reduzierte (3). Außer für Metformin bei adipösen Patienten konnte in der Studie kein Vorteil für eine spezielle Substanzgruppe (Insulin oder Sulfonylharnstoffe) gefunden werden. Im folgenden werden die einzelnen Substanzen bezüglich ihres Stellenwerts in der Therapie des Typ-2 Diabetes beschrieben.
1. Resorptionshemmer
Die α-Glukosidaseinhibitoren Acarbose (Glucobay) und Miglitol (Diastabol) agieren als kompetitive Inhibitoren der Alpha-Glucosidasen, die Oligosaccharide in Monosaccharide hydrolysieren. Somit kommt es zu einer Verzögerung der Resorption komplexer Kohlenhydrate mit verminderten postprandialen Glukose- und Insulinspiegeln. Während die Acarbose als Pseudotetrasaccharid faktisch kaum resorbiert wird, kommt es beim Pseudomonosaccharid Miglitol zu einer über 90%-igen Resorption und Ausscheidung über die Nieren. In Verbindung mit einer Diät reich an komplexen Kohlenhydraten bewirken α-Glucosidaseinhibitoren eine Verminderung des Nüchternblutzuckers im Schnitt um 24 mg/dl, des postprandialen Blutzuckers um 54 mg/dl und des HbA1c um 0.5 bis 0.9% je nach untersuchtem Kollektiv (4). Die auch in der UKPDS dokumentierte hohe Rate an Therapieabbrechern (61% nach drei Jahren) erklärt sich aus dem gastrointestinalen Nebenwirkungsprofil (Krämpfe, Meteorismus, Durchfall). Als Vorteil findet sich ein neutraler bis positiver Effekt auf die Entwicklung des Körpergewichts. Bis auf einen sehr selten beobachteten Transaminasenanstieg bei Acarbosemedikation hat diese Substanzgruppe eine günstiges Risikoprofil.
Zusammenfassend bewirken die α-Glukosidase-Inhibitoren eine Senkung vorwiegend der postprandialen Glukosespiegel und in geringerem Ausmaß des Nüchternblutzuckerspiegels und des HbA1c. Aufgrund fehlender Langzeitstudien ist ein Einfluß auf Diabetes-assoziierte Spätschäden und Mortalität noch nicht dokumentiert. Erwähnenswert sind relativ hohe Tagestherapiekosten und ein nicht unbeträchtliches gastrointestinales Nebenwirkungspotential, das allerdings durch eine einschleichende Dosierung vermindert werden kann. Der Einsatz dieser Substanzgruppe liegt vor allem in der medikamentösen first-line Monotherapie bei Typ-2 Diabetikern ohne oder mit geringem Übergewicht (BMI<27kg/m2).
2. Biguanide - Metformin
Das Biguanid Metformin (Diabetex, Glucophage, Metformin, Orabet) senkt die erhöhte hepatische Glukoseproduktion und in geringerem Ausmaß die Insulinresistenz und bewirkt eine Verminderung der Lipolyse und somit der Verfügbarkeit freier Fettsäuren (5). Metformin senkt erhöhte Blutzuckerspiegel ohne Auftreten von Hypoglykämien. Der insulinsensitivierende Effekt bewirkt eine Verminderung der Insulin- und Triglyzeridspiegel. Metformin senkt in Mono- und Kombinationstherapie den Nüchternblutzucker um ca. 60-70 mg/dl und das HbA1c um 1.5 bis 2.0 Prozentpunkte (5). An Nebenwirkungen finden sich vor allem gastrointestinale wie Krämpfe und Durchfälle bei bis zu 20% der behandelten Patienten, die jedoch durch eine einschleichende Dosierung vermindert werden können. Bei Beachtung der Kontraindikationen wie Niereninsuffizienz (Kreatininclearance unter 70 ml/min), Leberfunktionsstörungen, Sepsis und hypoxämischen Zuständen ist das Risiko für das Auftreten einer Laktazidose, die allerdings eine lebensgefährliche Nebenwirkung darstellen kann, sehr gering. Ein Bericht aus Australien zeigte, daß bei 6 tödlichen Fällen von Laktazidose, die in einem Jahr beobachtet wurden, die entsprechenden Kontraindikationen nicht beachtet wurden (6). Ähnliches gilt für 47 Fälle in den USA (7).
In der UKPD-Studie konnte für Metformin als einzige Substanz bei übergewichtigen Diabetikern ein Vorteil bezüglich der Mortalität gezeigt werden. Auch das Auftreten Diabetes-assoziierter Spätschäden konnte im Vergleich zu den anderen untersuchten Substanzen deutlicher gesenkt werden. Aus diesem Grund stellt Metformin die erste Wahl der medikamentösen Therapie beim adipösen Typ-2 Diabetiker dar. In der Kombination mit Sulfonylharnstoffen bei Diabetikern mit fortgeschrittenem Insulinsekretionsdefekt kam es jedoch in der UKPD-Studie zu einem Anstieg der Mortalität. Nach eingehender Prüfung der Daten ist dies jedoch vermutlich auf einen statistischen Zufall zurückzuführen (8), so daß von der häufig geübten Praxis der Kombinationstherapie von Sulfonylharnstoffen mit Metformin nicht abgesehen werden muß.
3. Sulfonylharnstoffe
Die Sulfonylharnstoffe bewirken einen Schluß der ATP-abhängigen Kaliumkanäle mit einer konsekutiven Membrandepolarisation und dem Einstrom von Kalzium in die Betazelle, die schließlich zur Insulinausschüttung führt. Da eine entsprechende Wirkung an kardialen Gefäßen eine ischämiebedingte Vasodilatation vermindern könnte, gab es Zweifel an der Unbedenklichkeit von Sulfonylharnstoffen bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit. Die Senkung des HbA1cs beträgt unter Sulfonylharnstofftherapie 1 2%. Der am besten untersuchte Vertreter dieser Klasse ist Glibenclamid (Euglucon, Dia-Eptal, Gewaglucon, Glibenclamid, Glucobene, Normoglucon, Semi-Euglucon), das seine Wirksamkeit und Sicherheit in der UKPDS-Studie unter Beweis gestellt hat. Auf Grund der protrahierten Hyperinsulinämie führt Glibenclamid jedoch zu einem vermehrten Auftreten von Hypoglykämien und einer Gewichtszunahme.
Glimepirid (Amaryl), das selektiv auf die Kaliumkanäle der Betazelle wirkt, führt zu einer raschen und kurzwirkenden Insulinausschüttung nach einem Glukosestimulus. Entsprechend diesem Wirkprofil findet sich im Vergleich zu Glibenclamid eine geringere Hypoglykämieinzidenz sowie Gewichtszunahme (9) bei gleicher therapeutischer Wirksamkeit. Ob die Selektivität von Glimepirid auf die Kaliumkanäle der Betazelle einen Vorteil in Hinblick auf die kardiovaskuläre Mortalität darstellt, muß noch in prospektiven Studien evaluiert werden.
Gliclazid (Diamicron) stellt einen weiteren Betazell-selektiven Vertreter der Sulfonylharnstoffe mit nahezu physiologischer Stimulierung der Insulinsekretion dar, der aufgrund seiner kurzen insulinotropen Dauer eine geringere Hyperinsulinämie bewirkt. Im Vergleich zu Glibenclamid findet sich daher unter Gliclazid keine bzw. sogar mitunter günstige Wirkung auf das Körpergewicht verbunden mit einer geringen Hypoglykämierate. Auf Grund der spezifischen molekularen Struktur und der entstehenden Metabolite reduziert Gliclazid die Thrombozytenadhäsion bzw. aggregation sowie die Lipidperoxidbildung und erhöht die fibrinolytische Aktivität. Diese Mechanismen könnten auch für die Verbesserung der Prognose der diabetischen Retinopathie unter Gliclazidtherapie im Vergleich zu anderen Sulfonylharnstoffen verantwortlich sein (10). Somit konnte für Gliclazid eine Verminderung der Diabetes-assoziierten Morbidität dokumentiert werden. Ein Vorteil der Verwendung von Gliclazid gegenüber anderen Sulfonylharnstoffen in Bezug auf die kardiovaskuläre Mortalität von Typ-2 Diabetikern ist jedoch nicht dokumentiert.
Eine kürzlich publizierte Studie zeigte, daß Patienten mit Sulfonylharnstofftherapie nach Angioplastie im Rahmen eines Myokardinfarkts während der ersten dreißig Tage nach Intervention im Vergleich zu insulintherapierten Patienten eine höhere Mortalität aufwiesen (11). Obwohl der retrospektive Charakter dieser Studie und die ungleiche Verteilung der Risikofaktoren in beiden Gruppen keine endgültigen Schlüsse zulassen, sollte bei Patienten nach einem Myokardinfarkt oder nach einer Revaskularisierung die Sulfonylharnstofftherapie zumindest vorübergehend abgesetzt werden. Dieser Ratschlag wird durch die DIGAMI-Studie unterstützt, in der für Typ-2 Diabetiker, die nach einem Myokardinfarkt mit Insulin behandelt wurden, eine verminderte kardiovaskuläre Mortalität gezeigt werden konnte (12).
Glipizid (Glibenese, Minidiab) zeigt eine rasche und kurzdauernde Insulinausschüttung nach einem Glukosestimulus, ist Glibenclamid jedoch möglicherweise in der Wirkung auf den Nüchternblutzucker unterlegen (13). Glibornurid (Glutril) besitzt eine ähnliches pharmakokinetisches Profil wie Glibenclamid. Gliquidone (Glurenorm) wird fast komplett in der Leber metabolisiert und eignet sich daher ähnlich wie Gliclazid, dessen renal ausgeschiedene Metabolite keine blutzuckersenkende Wirkung aufweisen, für den Einsatz bei niereninsuffizienten Patienten (14).
Zusammenfassend sind Sulfonylharnstoffe effektive und ausreichend sichere Medikamente in der Behandlung der Typ-2 Diabetiker. An Nebenwirkungen finden sich vor allem bei Glibenclamid das Auftreten von Hypoglykämien sowie die Gewichtszunahme unter Therapie. Aus diesen Gründen sollte Vertretern dieser Substanzgruppe wie Gliclazid oder Glimepirid, die eine rasche und kurzdauernde Steigerung der Insulinsekretion bewirken, der Vorzug gegeben werden. Ein auf Grund experimenteller Daten vermuteter kardiovaskulärer Vorteil der letztgenannten Substanzen konnte beim Menschen noch nicht dokumentiert werden. Vorsicht ist in der Phase nach einem Infarkt oder einer Revaskularisierung geboten, in diesem Fall empfiehlt sich eine zumindest intermittierende Insulintherapie.
4. Insulinsekretagoga - Meglitinide
Das derzeit einzige Insulinsekretagogon Repaglinid (Novonorm) ist ein Benzoesäurederivat und stimuliert die Insulinsekretion ähnlich wie die Sulfonylharnstoffe, wobei es sich jedoch auf Grund des Fehlens der Sulfonylharnstoffgruppe um eine eigenständige Substanzklasse die Meglitinide - handelt. Nach oraler Gabe kommt es zu einer raschen und kurzdauernden Steigerung der Insulinsekretion. Auf Grund der kurzen Halbwertszeit müssen diese Substanzen mehrmals täglich, jeweils vor den Mahlzeiten eingenommen werden.
In vergleichenden Studien wurde die blutzuckersenkende Potenz von Repaglinid gleich wie jene von Glibenclamid und Gliclazid, aber etwas stärker als die von Glipizid befunden (15). Auf Grund der kürzer dauernden Hyperinsulinämie findet sich vor allem dann, wenn eine Mahlzeit ausgelassen wird, eine verminderte Hypoglykämierate (16). Dem Konzept der flexiblen Einnahme von Repaglinid jeweils nur bei kohlenhydratreichen Mahlzeiten ist jedoch die bekannt geringere Compliance bei mehrfach täglichen Dosierungsschemata entgegenzusetzen. Es ist daher fraglich, ob dieses Konzept insgesamt einen Fortschritt in der Behandlung des Typ-2 Diabetes darstellt, bzw. ob Repaglinid den kurzwirkenden Sulfonylharnstoffen überlegen ist. Auf jeden Fall sind noch vergleichende Langzeitstudien abzuwarten.
5. Insulinsensitizer
Insulinsensitizer (Troglitazone, Rosiglitazone, Pioglitazone) vermindern die Insulinresistenz durch Bindung an nukleäre Rezeptoren, PPAR-gamma genannt (Peroxisomal Proliferator Activated Rezeptor). Neben einer Förderung der Ausdifferenzierung von subkutanen Präadipozyten werden in reifen Adipozyten die Expression von Glukosetransportmolekülen stimuliert und die lipolytischen und Insulinresistenz-fördernden Effekte von Tumornekrosefaktor-α antagonisiert (17). Der wichtigste Wirkmechanismus ist jedoch die Verminderung der zirkulierenden freien Fettsäuren mit einer konsekutiven Verbesserung der Glukoseverwertung in den Muskelzellen. Dies führt zu einer Senkung der Insulinresistenz und konsekutiv der Glukose- und Insulinspiegel, in geringerem Ausmaß der Triglyzeride und des Blutdrucks. In tierexperimentellen Studien fand sich außerdem der Hinweis, daß Insulinsensitizer das Fortschreiten der Betazellerschöpfung hintanhalten. Von einer Einführung von Troglitazon in Europa wurde auf Grund der Hepatotoxizität, die zu tödlichen Zwischenfällen führte, Abstand genommen. Rosiglitazone bewirkt eine durchschnittliche HbA1c-Senkung sowohl in der Mono- als auch in der Kombinationstherapie zwischen 0.9 und 1.5 Prozentpunkte. Die Wirkung von Rosiglitazon ist sicher bei insulinresistenten Patienten mit hohen endogenen Insulinspiegeln vor allem im Anfangsstadium der Erkrankung am besten. An Nebenwirkungen finden sich das Auftreten von Ödemen (möglicherweise auch das Risiko einer Herzinsuffizienz) sowie bedingt durch die verstärkte Differenzierung von Adipozyten eine Gewichtszunahme von durchschnittlich 3% des Körpergewichts innerhalb der ersten sechs Monate. Die Fettakkumulation betrifft vorwiegend das subkutane Fettgewebe, das im Gegensatz zum viszeralen Fett nicht mit dem Metabolischen Syndrom assoziiert ist.
Die Insulinsensitizer stellen somit ein neues Therapiekonzept dar, das durch die Verminderung der Insulinresistenz direkt in die pathogenetischen Mechanismen des Typ-2 Diabetes einsetzt. Die Interaktion der Insulinsensitizer mit Kernrezeptoren und der daraus resultierende Einfluß auf die Zelldifferenzierung stellen sicherlich einen Eingriff in einem hochsensiblen Bereich dar. Ob dieser Mechanismus oder das Auftreten von Ödemen in einer langjährigen Therapie zu nicht voraussehbaren Problemen führt, wird sich erst bei Vorliegen von Langzeitstudien erweisen. Die Erfahrung mit Troglitazon, das tödliche Zwischenfälle erst in der post-marketing Phase zeigte, sollte uns bestärken, bei neu eingeführten Pharmaka eine endgültige Bewertung erst nach längerer Beobachtungsphase abzugeben und auf Nebenwirkungen besonders aufmerksam zu achten.
Zusammenfassung
Die Ergebnisse der UKPD-Studie haben gezeigt, daß die Blutzuckersenkung einen wichtigen Faktor in der Verminderung diabetesassoziierter Spätschäden darstellt, wobei weder für Insulin noch für Sulfonylharnstoffe ein entscheidender Vorteil gefunden werden konnte. Lediglich Metformin erbrachte bei übergewichtigen Typ-2 Diabetikern eine deutliche Verminderung der assoziierten Morbidität und als einzige untersuchte Substanz auch der Mortalität. Für α-Glukosidaseinhibitoren, Insulinsekretagoga oder Insulinsensitizer liegen noch keine entsprechenden Daten vor. Keine der untersuchten Substanzen konnte jedoch das Fortschreiten der Insulinsekretionsstörung aufhalten.
Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß es sich beim Typ-2 Diabetes um eine Erkrankung mit multiplen kardiovaskulären Risikofaktoren handelt. Der Hypertoniearm der UKPD-Studie hat gezeigt, daß eine intensivierte Blutdrucksenkung die diabetesassoziierten Spätschäden (24%) und zusätzlich die diabetesbezogene Mortalität eindrucksvoller verminderte als die Blutzuckersenkung (18). Subgruppenanalysen der Diabetikerkollektive bei den Lipidinterventionsstudien konnten eindrucksvoll belegen, daß die Cholesterinsenkung den stärkst ausgeprägten Einfluß auf das kardiovaskuläre Risiko (55% Risikoreduktion) und die Mortalität von Diabetikern in der Sekundärprävention hatte (19). Somit bedarf der Typ-2 Diabetes einer komplexen Intervention, wobei fettreduzierte Diät und vermehrte körperliche Aktivität stets die Voraussetzung einer medikamentösen Behandlung darstellen. Bei der medikamentösen Therapie soll jenen Pharmaka der Vorzug gegeben werden, für die gesicherte Daten bezüglich einer Reduktion der Morbidität und Mortalität vorliegen. Können die individuellen Therapieziele (HbA1c unter 6.5% zur Vermeidung von kardiovaskulären Komplikationen, unter 7.0% von mikrovaskulären Komplikationen, unter 8.0% von generellen Diabetes-Symptomen) weder mit Diät noch mit oralen Antidiabetika erreicht werden, darf auf keinen Fall mit dem Beginn einer Insulintherapie gezögert werden.
Literatur:
1. Lancet 352, 837, 1998
2. Lancet 352, 854, 1998
3. Diabetes Care 22, 960, 1999
4. Diabetes Reviews 6, 132, 1998
5. Diabetes Reviews 6, 89, 1998
6. Austr. Adverse Drug React. Bull. 14, 6, 1995
7. NEJM 338 ,265, 1998
8. Lancet 352, 1934, 1998
9. Drugs of Today 34, 401, 1998
10. Diabetes Research and Clinical Practice 5, 81, 1988
11. Am. J. Coll. Cardiol. 33, 119, 1999
12. Brit. Med. J. 314, 1512, 1997
13. Diabetes Care 15, 737, 1992
14. Clin. Pharmacokinet. 31, 111, 1996
15. European Public Assessment Report (EPAR), 1998
16. Diabetes Care 22, 789, 1999
17. Diabetes 48 (Suppl. 1), A 111, 1999
18. Brit. Med. J. 317, 703, 1998
19. Diabetes Care 20, 614, 1997
Hochdruck: Diuretica, Betablocker und ACE-Hemmer im direkten Vergleich
Es ist seit langem sichergestellt, daß eine Behandlung des Hochdruckes positive Effekte hat. Weniger klar ist und war, welche Medikamente kardiovaskuläre Komplikationen und damit die Mortalität am besten reduzieren. Wie wir mehrfach betonten, haben zahlreiche Studien gezeigt, daß Diuretica und Betablocker cardiovaskuläre Komplikationen senken. Inwieweit Calciumkanalblocker und ACE-Hemmer einen vergleichbaren Nutzen zeigen blieb unklar, für Calciumkanalblocker wurden sogar negative Einflüsse (siehe Pharmainfo XII/1/1997) diskutiert. Andererseits wurde auch immer wieder festgestellt, daß Diuretica aufgrund ihrer Stoffwechselwirkungen keine optimale Therapie darstellen würden und neuere Substanzen zu favorisieren wären. Nur vergleichende große Studien können verläßliche Antworten geben. Wie wir kürzlich wieder diskutierten, fehlen diese noch immer für Calciumkanalblocker (Pharmainfo XII/1/1997; XIV/1/1999). Für ACE-Hemmer liegt nun eine erste Studie vor (Captopril Prevention Project: CAPPP: Lancet 333, 611,1999). Mehr als jeweils 5000 Patienten (diastolischer RR über 100) erhielten entweder Captopril (Captopril Generica, Debax, Lopirin) oder eine konventionelle Therapie mit Beta-Blockern und Diuretica. Nach 5 Jahren fanden sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Therapien. 363 primären Endpunkten (Herzinfarkt, Schlaganfälle und cardiovasculäre Todesfälle) in der Captopril Gruppe standen 335 in der "konventionellen" Gruppe gegenüber. Cardiovaskuläre Todesfälle waren etwas seltener in der Captopril Gruppe (76 versus 95), Herzinfarkte waren praktisch gleich (162 versus 161), während Schlaganfälle etwas häufiger waren (189 versus 148).
Diese Daten zeigen, daß es nun für die Hochdrucktherapie drei Gruppen von Medikamenten gibt, die einen ähnlichen und direkt vergleichbaren belegten Nutzen zeigen und daher die Mittel der ersten Wahl sind. Die Auswahl der Präparate aus diesen Gruppen kann daher auf die Patienten/innen bezogen erfolgen unter Berücksichtigung spezieller Indikationen, Kontraindikationen und individueller Verträglichkeit. Auch ökonomische Gesichtspunkte können bei gleichem medizinischen Nutzen Berücksichtigung finden.
Medikamente oder andere Therapieformen?
Es ist wahrscheinlich fair zu sagen, daß man für Medikamente relativ früh erkannt hat, daß ihre Wirkung aber auch ihr Risiko mit objektiven Daten, wie sie durch methodisch korrekte Studien erhalten werden können, belegt werden muß. Inzwischen hat sich natürlich die Notwendigkeit gezeigt, den Nutzen und das Risiko einer medikamentösen Therapie auch gegenüber anderen Verfahren abzuwägen. Dies ist z.B. im Rahmen der Coronarerkrankung gegenüber den Bypass Operationen erfolgt. Wichtig erscheint aber auch der Vergleich mit Methoden wie Verhaltenstherapie, Akupunktur und Chiropraktik. Diese Methoden haben bei gewissen Indikationen eine belegte Wirkung. So wie bei einem Medikament ist aber für jede weitere Indikation eine Wirkung studienmäßig zu belegen und, wenn wirksam, ein Vergleich mit etablierten Methoden (also z.B. der derzeit besten medikamentösen Therapie) vorzunehmen.
Verhaltenstherapie bei der Behandlung der Schlaflosigkeit
Wir haben in der Pharmainfo XIII/2/1998 über die medikamentöse Behandlung der Schlaflosigkeit berichtet, dabei aber betont, daß alles getan werden sollte, um eine medikamentöse Fixierung zu vermeiden, insbesondere die Etablierung einer Schlafhygiene sollte gefördert werden. Eine kürzlich publizierte Studie (1) hat nun den Nutzen von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen mit einer Tranquilizertherapie bei Patienten/Patientinnen über 55 Jahre (mittleres Alter 65 Jahre) verglichen. Die Verhaltenstherapie konzentrierte sich auf Maßnahmen, die wir auch damals empfohlen haben, insbesondere Vermeiden von Tagesschläfchen und das Vermeiden von anderen Aktivitäten im Bett als Schlaf und Sex. Allerdings wurden diese Maßnahmen in 8 wöchentlichen Sitzungen von 90 Minuten Dauer, also doch sehr aufwendig, diskutiert und etabliert. Während der 8-wöchigen Behandlungsdauer erwies sich die Verhaltenstherapie gleich, wenn nicht etwas besser wirksam, als die der Tranquilizer. So wurde z.B. die Wachzeit nach dem ersten Einschlafen durch den Tranquilizer im Durchschnitt um 47%, durch die Verhaltenstherapie um 55% reduziert. Interessant und wichtig war das Ergebnis, daß die Schlafverbesserung in der Verhaltensgruppe auch nach 3, 12 und 24 Monaten noch anhielt, während in der Tranquilizergruppe dies nicht der Fall war.
Diese Daten bestätigen, wie wichtig die allgemeinen Maßnahmen sind, die wir damals betont haben und daß sie bei intensivem Einsatz zu einer besseren Dauerwirkung führen, als Medikamente.
Literatur:
1. JAMA 281,991,1999
Verhaltenstherapie bei Drangharninkontinenz
Die medikamentöse Behandlung beruht vor allem auf anticholinergen Substanzen wie Oxybutynin (Ditropan), worüber wir in der Pharmainfo IX/1/1994 berichtet haben (siehe auch Pharmainfo IX/4/1994 mit einer Diskussion der klinischen Differentialdiagnose).
Dieses Mittel scheint nach wie vor das am besten untersuchte Medikament zu sein. Zu Flavoxat (Urispas) stellt ein neuer Übersichtsartikel (1) fest: "es wird derzeit nicht für die Behandlung von Harninkontinenz empfohlen", und zu Emepronium (Cetiprin): "Zwei Doppelblindstudien haben eine signifikante Wirkung gegenüber Placebo gezeigt, aber 3 andere konnten kein ähnliches Resultat erhalten". Für Tolterodin (Detrusitol) befindet der Medical Letter (2): Tolterodin wird anscheinend besser vertragen als die älteren Substanzen, es dürfte aber schwächer wirksam sein". Für Trospium (Spasmolyt) liegt eine Doppelblindstudie vor, die eine dem Oxybutynin vergleichbare Wirkung zeigt (3). Wie oft wird auch hier die Wahl zwischen Oxybutynin, Tolterodin und Trospium durch das Ansprechen der Patienten/innen bestimmt werden.
In einer kürzlich publizierten Studie wurde nun die Wirkung von Oxybutynin mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen verglichen (4). Frauen mit Dranginkontinenz mit urodynamisch nachgewiesener Detrusorinstabilität wurden auf 3 Gruppen (n=65 pro Gruppe) aufgeteilt (Placebo, Verhaltenstherapie und Oxybutynin). Alle Patientinnen hatten 4 Klinik Visiten in 2-wöchentlichen Intervallen. Für die Verhaltenstherapie wurden den Patientinnen entsprechende Anweisungen gegeben. In der ersten Sitzung wurde auch mit Hilfe eines anorektalen Biofeedback der Patientin geholfen, die relevanten Muskeln selektiv zu kontrahieren. Weiters wurden Methoden gelehrt, wie bei Auftreten von Urge zu reagieren ist. Diese Verhaltenstherapie reduziert Episoden der Inkontinenz mit 81% signifikant häufiger als das Medikament mit 69% und Placebo mit 39%. Für die subjektive Bewertung ("es war deutlich besser") waren die respektiven Zahlen 74% versus 51 und 27%. In der Medikamentengruppe waren als Nebenwirkung insbesondere Mundtrockenheit, Harnverhalten und Sehstörungen zu bemerken.
Wie auch in einem Editorial im gleichen Heft von JAMA (5) betont, können aufgrund dieser Daten allerdings nicht generell für alle Patienten bei dieser komplexen Erkrankung (siehe Pharmainfo IX/4/1994) endgültige Schlüsse gezogen werden. Sichergestellt aber ist, daß verhaltenstherapeutische Maßnahmen neben Medikamenten einen objektiv gesicherten Platz einnehmen können. Je nach differentialdiagnostischen Gegebenheiten ist dann dieser Maßnahme oder einer medikamentösen Therapie der Vorzug einzuräumen.
Literatur:
1. Drugs & Aging 12,349,1998
2. Med.Lett. 40,101,1998
3. Br.J.Urol. 75,452,1995
4. JAMA 280,1995,1998
5. JAMA 280,2034,1998
Akupunktur und chiropraktische Behandlung bei Asthma bronchiale
Wir haben mehrfach (Pharmainfo VI/3/1991; IX/4/1994; X/3/1995 und XI/2/1996) über die medikamentöse Behandlung von Asthma bronchiale berichtet und betont, wie wichtig diese, insbesondere auch die antientzündliche inhalative Cortisontherapie ist, um eine Verschlechterung dieses Leidens hintanzuhalten. So wie bei anderen Erkrankungen, werden auch hier andere Methoden versucht. Wir haben bereits berichtet (Pharmainfo XI/2/1996), daß Akupunktur, die im Rahmen von Analgesie belegte Effekte hat, bei einer kontrollierten Studie (1) bei Asthma bronchiale sich nicht von einer Placebopunktur unterschied.
Eine kürzlich publizierte Studie untersuchte nun die Wirkung von chiropraktischen Manipulationen bei Asthma bronchiale von Kindern (2). Nach einer 2- bis 4monatigen Behandlung zeigte sich kein Unterschied zwischen simulierter und "echter" chiropraktischer Behandlung.
Im Gegensatz zu den oben diskutierten Daten bei Schlaflosigkeit ("Verhaltenstherapie und Medikament gleich gut wirksam") ist bei Asthma bronchiale nur die medikamentöse Therapie von belegter und entscheidender Wirksamkeit, während für Akupunktur und chiropraktische Maßnahmen keine Wirkung gefunden werden konnte. Akupunktur hat eine analgetische Komponente und Chiropraktik kann bei Schmerzzuständen im Rückenbereich (siehe 3) eine objektive, wenn auch geringe Wirkung entfalten. Eine breitere Anwendung dieser Methoden erfordert aber jeweils die Durchführung verläßlicher Studien. Beim Asthma bronchiale dürften sie keinen Platz in der Therapie haben.
Literatur:
1. Med.J.Australia 154,409,1991
2. NEJM 339,1013,1998
3. NEJM 339,1021,1998
Akupunktur zur Raucherentwöhnung
Eine kürzlich publizierte Studie (1) untersuchte die Wirksamkeit von Elektroakupunktur bei Rauchern/innen. Raucher/innen wurden auf 2 Gruppen aufgeteilt. Ein Akupunkturfachmann (14 Jahre Erfahrung) führte in der einen Gruppe eine "korrekte" Akupunktur durch, in der anderen Gruppe eine Placeboakupunktur. Diese wurde am Tag 1,3 und 7 wiederholt. Über 14 Tage wurde hierauf die Intensität der Entzugssymptome untersucht. Zwischen beiden Gruppen konnte kein Unterschied festgestellt werden. Nach 14 Tagen rauchten in der Akupunkturgruppe 39% nicht mehr, in der Placebogruppe 42%.
Diese Studie zeigt, daß Akupunktur keine Wirkung auf die Entzugssymptome hat und steht im Einklang mit einer in dieser Arbeit zitierten Metaanalyse von kontrollierten Studien über Akupunktur, die für diese Methode keine Wirkung belegen konnte. Über die Wirksamkeit von Nikotinersatz-Kaugummi haben wir bereits berichtet (Pharmainfo VII/1/1992).
Literatur:
1. Arch.Int. 158,2252,1998
P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 10. Januar 2000
Pharmainformation
Kontakt:
em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler
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