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Inhalt

 

Editorial

Wir möchten dieses Mal Frau Dr. Rosa Bellmann-Weiler danken, die in den letzten Jahren als Mitarbeiterin des Pharmakologischen Instituts die jeweiligen Pharmainformationen u.a. auf die Korrektheit der chemischen und registrierten Namen durchgesehen hat. Diese Fehlersuche war offensichtlich sehr erfolgreich. Dr. Bellmann-Weiler setzt nun ihre berufliche und wissenschaftliche Tätigkeit an der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin fort.

 

Neu registriert:

Die Bewertung neu registrierter Präparate hat wie immer ein weites Spektrum: von der "Klassifikation therapeutischer Fortschritt" bis "fraglicher Nutzen". Bei zwei Präparaten zeigt sich, daß Erkenntnisse der pharmakologischen Grundlagenforschung (neuer Wirkmechanismus oder Rezeptorunterklassen) zu wichtigen klinischen Erfolgen führen können. Bei den Rezeptoren ist es nicht nur für den Pharmakologen verwirrend, wenn aus alpha schon aplha1, alpha2 und alpha3, aus Dopaminrezeptoren zumindest D1, D2 und D3 geworden sind. Auch bei den Serotoninrezeptoren (siehe unten) findet eine ähnliche Differenzierung statt. Experimentell und klinisch zeigt sich aber, daß erst diese Subklassifizierung die Entwicklung noch spezifischerer Präparate ermöglicht; Ondansetron ist ein gutes Beispiel dafür. Eine weitere Substanz mit spezifisch agonistischer Wirkung (Sumatriptan) auf einen anderen Serotoninrezeptor (5-HT1) erscheint bei der Migränetherapie, die wir demnächst besprechen werden, vielversprechend.

 

Ondansetron (Zofran)

Diese Substanz ist ein spezifischer Antagonist des Serotonins (5-Hydroxytryptamin = 5-HT) an einer Untergruppe der Rezeptoren für dieses biogene Amin, den 5-HT3 Rezeptoren. Die Rezeptormoleküle bilden in der Zellmembran einen Kationenkanal, über den Serotonin u.a. auf Nervenendigungen depolarisierend wirken kann. Warum wirkt nun ein Antagonist dieser Rezeptoren insbesondere bei Zytostatikatherapie und bei Röntgenbestrahlung antiemetisch (1)? Experimentelle Daten sprechen dafür, daß es im Rahmen der Gabe zytostatischer Substanzen bzw. bei Bestrahlung im Abdominalbereich zur Freisetzung von Serotonin aus den enterochromaffinen Zellen des Darms kommt. Dieses Serotonin kann nun einerseits vagale afferente Nerven über 5-HT3 Rezeptoren depolarisieren und damit reflektorisch Erbrechen auslösen, andererseits zum Zentralnervensystem gelangen und in der sogenannten chemosensitiven Triggerzone über die gleichen Rezeptoren letztlich dann das Brechzentrum in der Area postrema stimulieren. Dieses Konzept könnte erklären, warum Ondansetron relativ spezifisch auf diese Erbrechensform wirkt und zum Beispiel bei Seekrankheit, wo die Stimulation des Brechzentrums über andere Mechanismen erfolgt, nicht effektiv ist (1). Im Vergleich zu Metoclopramid (Imperan, Paspertin, Gastronerton, Gastrosil, Hexaclamid), das bisher als Antiemetikum für Zytostatika-Erbrechen zur Verfügung stand, hat Ondansetron eine spezifischere Wirkung. Bei Metoclopramid hielt man zuerst die antidopaminerge Wirkung als für die Antiemesis entscheidend, aber auch diese Substanz wirkt antagonistisch auf die HT3 Rezeptoren, sodaß heute die antidopaminerge Wirkung, die zu den bekannten extrapyramidalen Nebenwirkungen führen kann (siehe Pharmainfo VI, 1, 1990), eher als unerwünscht angesehen wird.
Wie ist nun die klinische Wirkung von Ondansetron
 (siehe 1)? Eine Studie sei repräsentativ zitiert (2): Bei Cisplatinchemotherapie kommt es in den ersten 24 hrs praktisch bei allen Patienten zum Erbrechen. Nach Metoclopramid erbrachen von 76 Patienten noch 58%, unter Ondansetron nur mehr 25%. Dies wurde auch in einer anderen Studie (3) bestätigt, allerdings zeigte sich, daß für die Tage 2 bis 6 dann kein Unterschied zu Metoclopramid mehr vorlag. Ähnliche Resultate, d.h. besondere Wirksamkeit von Ondansetron für das akute Erbrechen, wurden auch bei hochdosierter Strahlentherapie gefunden (siehe 4). Ein endgültiges Urteil darüber, ob Ondansetron gegenüber Metoclopramid nur beim akuten Erbrechen deutlich überlegen ist, erscheint aufgrund unterschiedlicher Daten aber noch verfrüht (1). Zusatz von Dexamethason verstärkt die Wirkung von Ondansetron (5).
Auf jeden Fall belegen die klinischen Studien in überzeugender Weise eine gute antiemetische Wirksamkeit 
von Ondansetron. Zu den bisher beschriebenen Nebenwirkungen zählen Kopfschmerz, Diarrhoe, trockener Mund und Sedierung. Extrapyramidale Symptome wurden - wie aufgrund der Rezeptorspezifität zu erwarten - nicht beobachtet. In Einzelfällen wurde eine vorübergehende Erhöhung der Leberenzyme beschrieben.
Zusammenfassung: Ondansetron stellt in seiner guten antiementischen Wirksamkeit bei Zytostatika- und Strahlentherapie-Erbrechen einen therapeutischen Fortschritt dar. Insbesondere beim akuten Erbrechen im Rahmen dieser Therapie ist es den bisher verwendeten Substanzen überlegen. Das Nebenwirkungsprofil erscheint derzeit günstig, eine endgültige Bewertung ist aber noch nicht möglich.

Literatur:
(1) Drugs 41, 574, 1991
(2) New Engl. J. Med. 322, 816, 1990
(3) Ann. Int. Med. 113, 834, 1990
(4) Arzneitelegramm 1991, S.27
(5) Medical Lett. 33, 63, 1991
(6) Lancet 338, 483 und 487, 1991

 

Omeprazol (Losec)

Diese Substanz greift über einen neuen Wirkort in die Salzsäureproduktion ein. Bis jetzt konnte die Magensaftsekretion über die Blockade von cholinergen Rezeptoren (Pirenzepin: Gastrozepin) und von Histamin-H2-Rezeptoren (Cimetidin: Cimetag, Cimetidin, Neutromed, Neutronorm, Tagamet, Ranitidin: Ulsal, Zantac; u.a.) gesenkt werden. Omeprazol wirkt auf den entscheidenden letzten Schritt der Salzsäureproduktion im Magen ein, einer Protonenpumpe in den Parietalzellen (1, 3). Omeprazol erreicht nach Resorption diese Zellen über das Blut, kann sie als ungeladene Verbindung passieren und in die Sekretionskanälchen dieser Zellen gelangen, wo es bei dem dort vorhandenen niederen pH geladen und angereichert und in eine aktive Verbindung umgewandelt wird. Diese hemmt irreversibel die in der Zellmembran eingelagerte H+/K+-ATPase, die für die Akkumulation von H+ in den Sekretionskanälen verantwortlich ist. Die irreversible Hemmung kann nur durch neusynthetisierte ATPase Moleküle aufgehoben werden, dementsprechend hat die Substanz eine sehr lange Wirkung (> 24 Stunden) auf die Säuresekretion, der Magen-pH kann auf über 5 ansteigen (2, 3). Die klinische Wirkung dieser Substanz ist durch sehr einheitliche Studien ausgezeichnet belegt und wir können uns daher auf die wesentlichen Ergebnisse konzentrieren. Wichtig erscheint vor allem der Vergleich mit der bisher erfolgreichsten Therapie, den H2-Blockern. Beim Duodenalulcus führt Omeprazol (O) verglichen mit H2-Blockern (H) zu einer etwas schnelleren Heilung: Nach zwei Wochen (42% bis 83% Heilung bei O versus 34% bis 65% bei H), nach 4 Wochen war der Unterschied schon geringer (82% bis 97% für O versus 63% bis 96% bei H), und zwar im Mittel nur mehr 8,7%, nach 6 bis 8 Wochen 5,9%. Entsprechend diesen Zahlen findet sich auch bei Omeprazol etwas früher Symptomfreiheit. Duodenalulcera, die auf Behandlung mit H2-Blockern schlecht oder nicht mehr ansprechen, können bei Omeprazol eine hohe Heilungsrate haben. Zusammenfassend können wir feststellen (1), daß Omeprazol bei Duodenalulcera gegenüber H2-Blockern etwas schneller die Schmerzen lindert und zur Abheilung führt, daß bei längerer Therapie die Heilungsraten bei beiden Substanzen über 90% liegen und sich nur mehr gering unterscheiden. H2-resistente Ulcera können aber von Omeprazol noch geheilt werden. Leider ist aber die Rückfallrate nach beiden Behandlungen nach 6 Monaten mit 41% bis 72% gleich hoch (besonders hoch bekanntermaßen bei Rauchern).
Beim Magenulcus liegen die Resultate sehr ähnlich, allerdings sind die Unterschiede gegenüber H2-Blockern eher noch geringer. Nach 6-8 Wochen heilten 86% bis 96% Ulcera nach Omeprazol und 78% bis 90% nach H2-Blockern ab, in den meisten Studien kam es nicht zu einem schnelleren Abklingen der Symptome. Auch hier waren H2-resistente Ulcera durch Omeprazol heilbar, die Rückfallrate (nach 6 Monaten) war für beide Substanzgruppen in zwei Studien 35% bzw. 47%. Zusammenfassend findet man für Omeprazol beim Magenulcus gegenüber H2-Blockern nur einen minimalen Unterschied. H2-Blocker-resistente Ulcera können aber effektiv behandelt werden.
Bei Refluxoesophagitis ist Omeprazol deutlich überlegen, da es, verglichen mit H2-Blockern, erhöhte Symptomfreiheit (62% bis 74% für O versus 12% bis 33% für H) bewirkt und zu besserem Abheilen der Schleimhautschäden führt (78% bis 87% für O versus 28% bis 56% für H). Trotz dieser beeindruckenden Heilungsraten waren nach 6 Monaten 86% bis 90% Rückfälle zu verzeichnen, unter einer Dauertherapie mit Omeprazol nur mehr 19%.

Beim Zollinger-Ellison Syndrom ist Omeprazol effektiver und kann für einige Patienten, die durch eine operative Therapie nicht geheilt werden können, das einzig wirksame Medikament darstellen.

Omeprazol erscheint relativ nebenwirkungsarm, mit Auftreten von Kopfschmerz, Übelkeit und Durchfällen. Als Wechselwirkung kann in der Leber der Stoffwechsel anderer Substanzen verzögert werden. Insbesondere eine Therapie mit Antiepileptica oder Antikoagulantien muß daher genau überwacht werden. EinUnsicherheitsfaktor ist derzeit die Möglichkeit der Induktion von Carcinoidtumoren im Magen. Bei Ratten kommt es bei Substanzen, die den Gastrinspiegel erhöhen zu Hypertrophie von enterochromaffinen Zellen und zu Carcinoidtumoren. Auch am Menschen führt Omeprazol zur Hypergastrinämie, allerdings nicht so stark wie bei der Ratte. Am Menschen wurde bis jetzt noch kein vermehrtes Auftreten dieser Tumoren beobachtet, Langzeittherapien sind bis jetzt aber selten und waren vor allem auf das Zollinger Ellison Syndrom beschränkt, wo Carcinoide an sich häufiger auftreten (1, 3).
Zusammenfassung
: Omeprazol ist ein Medikament mit einem neuen Wirkungsmechanismus und stellt einen therapeutischen Fortschritt dar. Bei Refluxoesophagitis ist diese Substanz deutlich wirksamer als bisherige Therapien (z.B. H2-Blocker) und auch beim Zollinger-Ellison Syndrom ist Omeprazol für viele Patienten Mittel der Wahl.

Beim Duodenalulcus bewirkt Omeprazol etwas schneller Symptomfreiheit und Abheilung als H2-Blocker, bei längerer Therapie gleicht sich dieser Unterschied aber aus. Dies ist auch deutlich bei Magenulcus. Für eine primäre Therapie dieser Ulcera bleibt daher derzeit die Gabe der lang bewährten H2-Blocker die Therapie erster Wahl, bei Versagen von H2-Blockern ist Omeprazol aber erfolgversprechend. Rückfallraten sind bei beiden Therapieformen hoch und nicht unterschiedlich. Hier bietet sich eine längere präventive Therapie mit H2-Blockern an oder, wenn Ulcera auftreten, eine Kurzzeittherapie mit Omeprazol. Da derzeit nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß Omeprazol auch beim Menschen Carcinoide auslöst, ist grundsätzlich Zurückhaltung am Platze, auf jeden Fall sollte derzeit eine Dauertherapie nur beim Zollinger-Ellison Syndrom und bei schweren Fällen von Refluxoesophagitis in Betracht kommen.

Literatur:
(1) New Engl. J. Med. 324, 965, 1991
(2) Drug und Ther. Bull. 28, 49,1990
(3) Drugs 42, 138, 1991

 

Acarbose (Glucobay)

Acarbose ist ein unverdaubares mikrobielles Pseudotetrasaccharid, welches die alpha-Glucosidasen an den Dünndarmzotten reversibel hemmt. "Alpha-Glucosidasen" ist ein Sammelbegriff für jene Enzyme, welche Stärke, Dextrine, Maltose und Saccharose in resorbierbare Monosaccharide spalten. Acarbose verzögert also die Freisetzung von Glucose aus komplexen Kohlehydraten. Bei Diabetes mellitus besteht der wesentliche klinische Effekt in einer Abflachung des postprandialen Blutglucoseanstieges um bis zu 58% (1). In der Folge fällt beim Typ II Diabetiker die endogene postprandiale Insulinsekretion um bis zu 61% ab. Diese Effekte konnten bei Patienten mit Typ II Diabetes und schlechter Einstellung sowohl unter alleiniger Diättherapie als auch unter Therapie mit Diät und Sulfonylharnstoffen (3) gezeigt werden.
Acarbose bietet im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen die prinzipiellen Vorteile, daß keine Hypoglykämien ausgelöst werden und daß keine Gewichtszunahme auftritt. Die Wirkstärke entspricht etwa den Biguaniden und den Nahrungsfasern in Ballaststoffen und ist damit geringer als bei Sulfonylharnstoffen. Ähnlich wie bei Sulfonylharnstoffen und Biguaniden zeigt sich keine strikte Dosis-Wirkungs-Beziehung. Acarbose wird zu jeder Mahlzeit (d.h. 3x täglich) verabreicht. Die Wirkung von Acarbose ist 2 Tage nach Absetzen abgeklungen. 
Bei Typ I Diabetes senkt Acarbose den postprandialen Blutglucosespiegel um ca. 25%, in einer Studie wurde ein Anstieg auf maximal 125 statt 160 mg/dl beschrieben (4). Acarbose (5), welches fast nicht (<2%) resorbiert wird, und Miglitol (6), ein resorbierbarer alpha-Glucosidase-Hemmer, bremsten in Kombination mit Insulin den postprandialen Glucoseanstieg stärker als Insulin alleine; nach den Erfahrungen aus diesen beiden Studien (5, 6) kann dank der Verzögerung des postprandialen Glucoseanstiegs Insulin unmittelbar vor der Mahlzeit injiziert werden. So kann die - gegenüber der natürlichen Freisetzung aus dem Pancreas - verzögerte Resorption von Insulin aus dem Subkutangewebe kompensiert werden. Damit besteht eine zusätzliche Option für jene Patienten unter intensivierter Insulintherapie, die eine besonders langsame Insulinresorption aufweisen. Klinische Langzeitdaten fehlen hier allerdings noch. Weiters können nächtliche Hypoglykämien bei einigen Diabetikern durch Acarbose teilweise verhindert werden. Dies kann durch die verzögerte und daher verlängerte intestinale Freisetzung von Glucose erklärt werden.
Insgesamt ist Acarbose bei etwa 55% aller untersuchten Typ I und Typ II Diabetiker zur postprandialen Blutglucosesenkung wirksam (1). In der Praxis ergeben sich wegen des Nebenwirkungsprofils von Acarbose (Flatulenz, Meteorismus und Diarrhoe) aber wenig Verwendungsmöglichkeiten. Die gastrointestinalen Symptome kommen durch bakterielle Fermentation unverdauter Kohlenhydrate im Darm zustande und führen zu einer sehr schlechten Compliance. Die initiale Nebenwirkungsrate betrug bei 3061 Patienten 58% (1). Acarbose ist daher eine der wenigen Substanzen, die eine höhere Rate an Nebenwirkungen (58%) als an erwünschten Wirkungen (55%, s.o.) aufweist. Eine einschleichende Therapie kann die gastrointestinalen Beschwerden vermindern und die Compliance verbessern. Wenn die Patienten trotz Nebenwirkungen die Therapie fortsetzen, nehmen die unangenehmen, aber ungefährlichen gastrointestinalen Beschwerden nach etwa 4 Wochen an Intensität und Häufigkeit deutlich ab (7); allerdings ist auch eine Wirkungsabschwächung nach 4 Wochen beobachtet worden (8). In einer Langzeitstudie über ein Jahr führten gastrointestinale Nebenwirkungen zu einem Therapieabbruch in 5% (4), insgesamt setzten 15% Acarbose ab (1).
Eine weitere, praktisch weniger bedeutende Nebenwirkung ist eine Glucosemalabsorption bei höheren Dosen. Es ist aber bei adipösen Diabetikern durch Acarbose keine Gewichtsreduktion zu erwarten (1). 
Acarbose senkt über die Verminderung postprandialer Blutglucosespiegel auch die hepatische Einbaurate von Glucose in Triglyzeride. Dadurch wird die Produktion und Sekretion von very low density lipoproteins (VLDL) vermindert (9). Die Plasmatriglyzeride werden nüchtern gering, postprandial aber stärker gesenkt. Erste Anwendungen von Acarbose in der Therapie von Hyperlipämien mit vermehrten VLDL (sogenannter Typ IIb und IV) wurden erprobt, lassen aber noch keine schlüssige Beurteilung zu.
Weitere mögliche Indikationen für Acarbose sind Dumping Syndrom und reaktive Hypoglykämie. 
Die Langzeitsicherheit bei Acarbose ist beim Menschen nur für 5 Jahre belegt. In diesem Zeitraum wurde keine chronische Toxizität beobachtet.
Zusammengefaßt ist Acarbose also nur bei einem Teil der Diabetiker und nur schwach wirksam und löst bei einem noch größeren Teil Nebenwirkungen aus. Damit ist die Substanz weder bei Typ I noch bei Typ II Diabetes zur Standardtherapie geeignet. Derzeit ist lediglich bei ungewöhnlich starkem postprandialen Blutglucoseanstieg ein Therapieversuch gerechtfertigt. Das zuständige Komitee der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) lehnte die Zulassung überhaupt ab (10).

Literatur: 
(1) Drugs 35, 214, 1988
(2) Diabetes Care 14, 732, 1991
(3) Diabet. Med. 3, 155, 1986
(4) Hormon metabol. Res. 18, 153, 1986
(5) Metabolism 34, 261, 1985
(6) Diabetes Care 14, 393, 1991
(7) Drug Res. 33, 1314, 1983
(8) Diabetologia 20, 586, 1981
(9) Metabolism 30, 417, 1981
(10) Arzneitelegramm 1991, S.70

 

Terodilin (Mictrol): Neu zugelassen und schon im Rückzug

Die Geschichte der folgenden Substanz zeigt die vielfach und auch von uns immer wieder betonte Problematik neu zugelassener Substanzen auf. Seltenere und oft gefährliche Nebenwirkungen, werden manchmal erst nach Zulassung der Substanz erfaßt. Bei Verwendung neuer Substanzen ist daher immer eine gewisse Zurückhaltung am Platz, natürlich insbesondere dann, wenn sie keinen entscheidenden Fortschritt darstellen.

Terodilin hat anticholinerge and Calcium-antagonistische Wirkungen und wirkt dadurch auf die Blasenwandmuskulatur entspannend (1). Es soll daher bei Pollakisurien und Harninkontinenz bei Detrusorinstabilität wirksam sein (1), die Resultate sind aber nicht einheitlich (1,2), und eine jüngst publizierte Studie fand keinen Vorteil gegenüber Placebo (3), sodaß über die klinische Wirksamkeit noch kein endgültiges Urteil gefällt werden konnte. Jetzt sind aber in England schwere Herzarrhythmien (Torsades de pointes) mit diesem Mittel in Verbindung gebracht worden (2). Das Arzneitelegramm (2) betrachtet dies nicht als überraschend, da Terodilin chemisch dem Prenylamin (früher Segontin) nahesteht, bei welchen auch bedrohliche Herzrhythmusstörungen beschrieben wurden. Wir haben auf die negative Risiko/Nutzenbewertung von Segontin in der Pharmainfo III/1/1988 hingewiesen und dieses Präparat ist inzwischen zurückgezogen worden. Inzwischen wurde Mictrol in einer erfreulich schnellen Reaktion auch bereits vom Markt genommen (4).

Literatur:
(1) Drugs 40, 748, 1990.
(2) Arzneitelegramm 1991, S.72
(3) Brit. Med. J. 302, 994, 1991
(4) DAZ Nr. 36, S.1, 1981

 

Geriatrica und Nootropica

Wir führen die Besprechung dieser Substanzen hiemit weiter fort:

 

Dihydroergotoxin

Es handelt sich bei dieser Substanz um ein Gemisch von Mutterkornalkaloiden: Dihydroegocristin, -cryptin, -cornin, Aramexe, Dorehydrin, Ergomed, Eutergin, Hydergin; z.T. auch als Einzelsubstanz: Dihydroergocristin: Diertina, Nehydrin) . Ursprünglich ging man vom Konzept aus, daß dieses Substanzgemisch einen durch Gefäßerweiterung positiven Effekt auf das Gehirn hätte, dann wurden aber Wirkungen insbesondere auf Aminrezeptoren in den Vordergrund gestellt und zwar auf die alpha-, Dopamin- und Serotoninrezeptoren. Diese Substanzen können als partielle Agonisten/Antagonisten dualistisch wirken, also einerseits die Rezeptoren stimulieren bzw. sie gegen wirksamere Agonisten dämpfen. Die Vorstellung ging also dahin, daß die Substanz einerseits Defizite ausgleichen, andererseits überschwengliche Reaktionen bremsen könnte. Solche Konzepte klingen zwar sehr gut, verbleiben aber bei unserer mangelnden Kenntnis über geriatrische Veränderung des Gehirns oder über die Pathogenese der Alzheimer Erkrankung rein spekulativ. 
Im Tierversuch sind für diese Substanzen - sowie für andere Nootropica - Effekte z.B. auf das Lernverhalten der Ratten beschrieben (1). Im klinischen Bereich wurde diese seit langem verwendeten Substanz eingehend untersucht. 26 frühere Studien wurden von McDonald im Jahre 1974 zusammengefaßt und besprochen (3). Nur fünf der Studien dauerten länger als 12 Wochen. Bei 13 Symptomen (von 32 bewerteten) zeigte sich in 50% der Studien eine signifikante Besserung. Auffällig in dieser Zusammenstellung ist, daß keines der Symptome in allen Studien gebessert wurde (am besten 7 von 10 für Konfusion) und daß die Daten zum Teil widersprüchlich sind. So war nur in 1 von 9 Studien die Gleichgültigkeit gegenüber der Umgebung reduziert, andererseits wurde in 8 von 13 Studien über verbesserte Sozialisierung berichtet. All diese Studien konnten aufgrund ihrer kurzen Dauer und aufgrund der Heterogenität der Ergebnisse keinen eindeutigen Beweis für die Wirkung von Dihydroergotoxin liefern und so wurde der therapeutische Nutzen auch noch 1984 als kontroversiell betrachtet (3).
Zwei später publizierte Studien seien daher herausgegriffen, weil sie besonders gut geplant erscheinen: 
Eine Studie (4) wurde an 99 Probanden (pensionierte Angestellte der Firma, die Hydergin produziert) im durchschnittlichen Alter von 63 Jahren durchgeführt.Es handelte sich global gesehen um gesunde Personen ohne spezielle Zeichen von zentralnervösen Problemen. Diese Studie war also gut geeignet, um den Effekt von Dihydroergotoxin auf altersbedingte Verschlechterungen (insbesondere von zentralnervösen Funktionen) zu testen. Ein weiteres Positivum dieser Studie war die lange Dauer von 3 Jahren. Gerade von einer solchen Studie müßte man deutlichere Effekte von Dihydroergotoxin erwarten als bei Studien an deutlich geschädigten oder gar dementen Patienten (siehe 2). Positiv hat diese Studie bestätigt, daß Dihydroergotoxin frei von problematischen Nebenwirkungen ist. Bezüglich der psychometrischen Tests war z.T. bei allen Patienten Verbesserungen (Lerneffekte!) festzustellen, es trat aber kein signifikanter Unterschied zwischen Placebo und Dihydroergotoxin auf.Damit kann Dihydroergotoxin offensichtlich keine prophylaktisch positiv nootropen Effekte bei alten Patienten bewirken. Nur im Bereich von subjektiven Klagen über Müdigkeit, Schwindel, Ohrensausen und Sehstörungen war Dihydroergotoxin nach 1 bis 2 Jahren, aber nicht mehr nach 3 Jahren signifikant besser als Placebo. Solche subjektiven "Verbesserungen" können vielleicht erklären, warum sich bei manchen kurzen Versuchsserien bei erwachsenen Patienten, wie oben diskutiert, positive Effekte zeigten. 
Eine weitere Studie (5) befaßte sich mit der Wirkung dieser Substanz auf 80 Patienten mit Alzheimer Erkrankung und damit bei der Erkrankung, die heute als größtes Problem der Geriatrie betrachtet wird. Die Untersuchung wurde doppelblind über 6 Monate durchgeführt. Die Diagnose Alzheimer wurde nur klinisch gestellt, wobei dies aber heute zu 90% verläßlich ist (d.h. auch pathologisch-anatomisch bestätigt werden kann). Dihydroergotoxin führte in keinem der psychosomatischen Tests zu einer Verbesserung, in zwei Tests war sogar eine signifikante Verschlechterung festzustellen. Daraus also den Schluß zu ziehen, daß Dihydroergotoxin für Alzheimer-Patienten schädlich ist, schiene uns genauso voreilig, wie in anderen Untersuchungen (s.o.) aufgrund der Verbesserung einzelner Parameter der Substanz eine positive Wirkung zuzusprechen. Auf jeden Fall hat diese sorgfältige und über einen langen Zeitraum durchgeführte Untersuchung deutlich gezeigt, daß bei Vorliegen einer Alzheimer Demenz Dihydroergotoxin keinen positiven Effekt entfaltet.
Zusammenfassend können wir feststellen
: Dieses Mutterkornalkaloidgemisch ist eingehend experimentell und klinisch untersucht worden. Am Menschen konnte eine einheitliche Wirkung bei cerebraler Insuffizienz nicht festgestellt werdenSowohl zur Prophylaxe dieser Störungen als auch bei Alzheimer Erkrankung wurden in 2 neueren, gutgeplanten Langzeitstudien keine positiven Effekte gesehen. Möglicherweise tritt bei manchen Patienten eine subjektive Besserung im Sinne eines gesteigerten Wohlbefindens sein. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Literatur:
(1) J. Pharmacol. 16, suppl.III, 1-143 (1985)
(2) Pharmacopsychiatrie 12, 407 (1979)
(3) Lancet II, 1313 (1984)
(4) Gerontology 30, 3 (1984)
(5) New Engl. J. Med. 323, 445 (1990)

 

Nicergolin (Ergotop)

Hier handelt es sich ebenfalls um ein Derivat von Mutterkornalkaloiden, dem neben der Rezeptorwirkung auch eine Hemmung der Thrombozytenaggregation zugesprochen wird (1). Bezüglich der Wirkung bei cerebraler Insuffizienz liegen für diese Substanz wenig auswertbare Unterlagen (einschließlich der von der Firma vorgelegten) vor. Meist wurden offene Studien durchgeführt, keine Placebogruppen getestet, die Resultate wurden nie publiziert bzw. wurde darüber nur in Vorträgen berichtet.
Verglichen mit dem oben diskutierten Co-dergocristin Gemisch ist Nicergolin wenig untersucht. Die vorliegenden Daten können eine Wirkung bei cerebraler Insuffizienz nicht belegen.

Literatur:
(1) Wiener Med. Wschr. 22, 513 (1987)

 

In Kürze:

Das Deutsche Bundesgesundheitsamt ist aufgrund von wissenschaftlichen Unterlagen zu folgender Bewertung gekommen:

 

Azintamid

"Die choleretische Wirksamkeit ist belegt, nicht jedoch die klinische Wirksamkeit bei den beanspruchten Indikationsgebieten." In Österreich in Ora-Gallin Dragees und in Ora-Gallin compositum oder purum Dragees.

 

Butetamat

"Butetamat ist als basisch substitutierter Phenylessigsäureester den nicht narkotischen Antitussiva zuzuschreiben. Da aussagefähige klinische Studien über Indikationen und therapeutische Wirksamkeit fehlen sowie keine Daten über toxikologische, mutagene, kanzerogene und teratogene Risiken am Patienten vorliegen, ist die Anwendung von Butetamat nicht vertretbar."
In Österreich in mehreren Mischpräparaten enthalten: Butylonyl (nicht mehr lieferbar), Hydrovegeton Dragees, Influbene, Panax, Pectoral-Hustentropfen, Ridolan.

 

Etafenon

Als Mittel bei Koronarinsuffizienz: "Wegen des fehlenden klinischen Wirksamkeitsnachweises, der unzureichenden pharmakologischen und pharmakokinetischen Daten sowie der unerwünschten Wirkungen, die auch im bisher empfohlenen Dosisbereich auftreten, gibt es für Etafenon kein Anwendungsgebiet. Bei fehlendem Nutzen kommt die Risiko-Abwägung für Etafenon zu einem negativen Ergebnis."
In Österreich als Baxacor und in Baxanitrat und Seda Baxacor (in Kombination mit Meprobamat: Wir haben bereits mehrfach betont, s.a. Pharmainfo V,4,1990, daß solche Kombinationen mit Tranquilizern wegen der Gefahr der Abhängigkeit nicht vertretbar sind).

So wie das bereits besprochene Salicylamid (Pharmainfo VI/1/1991) wurden auch weitere Salicylverwandte negativ beurteilt.

 

Carbasalat-Calcium

"Angesichts der fehlenden Daten zur Wirksamkeit (z.B. Wirksamkeitsnachweis, Dosisfindungsstudie), zur Pharmakokinetik sowie zur Toxikologie (insbesondere auch für die Harnstoffkomponente) kann Carbasalat-Calcium in den beanspruchten Indikationsgebieten nicht empfohlen werden." In Österreich als Iromin-Kindersuppositorien, Supp. und Tabletten, und in Irocopar, Irocophan und in Iromin Chinin C-Kapseln (ein Chininzusatz ist ebenfalls als obsolet zu betrachten).

 

Ethenzamid

"Weder für Ethenzamid noch für seine Metabolite ist eine analgetische Wirkstoffdefinition erfolgt. Ausreichende Studien zur Pharmakokinetik des Wirkstoffes fehlen. Ferner wurden Untersuchungen zur therapeutischen Dosis nicht durchgeführt. Ausreichende Untersuchungen zur Toxikologie, Mutagenität, Kanzerogenität und zur Reproduktionstoxikologie fehlen. Das Nebenwirkungsprofil ist durch wissenschaftliches Erkenntnismaterial nicht umrissen und zu Wechselwirkungen liegen keine Daten vor. 
Da vertretbare Daten sowohl zur klinischen Wirksamkeit als auch zur Unbedenklichkeit von Ethenzamid fehlen, kann Ethenzamid in den beanspruchten Indikationen nicht empfohlen werden." In Österreich in Neuro Europan Dragees, Ridolan und Ultrapyrin.

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Dienstag, 26. November 1996

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