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Aprepitant (Emend)
Dieses Antiemetikum hat eine zentrale europäische Zulassung erhalten. Es liegen daher eine ausführliche wissenschaftliche Evaluation (1) und auch eine gute Fachinformation vor. Die Indikation betrifft Prävention akuter und verzögerter Übelkeit bei hoch emetogener, auf Cisplatin basierender Chemotherapie. Emend wird als Teil einer Kombinationstherapie angewendet. In der Pharmainfo XVIII/1/2003 haben wir in der Besprechung der Antiemetika dargestellt, dass für die Akutphase des Erbrechens nach Chemotherapie Ondansetron (Zofran) und die Folgesubstanzen eine entscheidende Verbesserung brachten und heute zusammen mit Dexamethason (Dexabene, Dexamethason, Fortecortin) gegeben werden. In der Phase des verzögerten Erbrechens war die Wirkung dieser Substanzen weniger überzeugend, und Kombinationen mit Dexamethason, aber auch Metoclopramid (Gastrosil, Metogastron, Paspertin) ergaben noch die beste Wirkung.
Emend verbessert nun zusätzlich die Wirkung der Antiemetika-Kombination Ondansetron mit Dexamethason sowohl in der Akut- als auch in der verzögerten Phase.
Emend hat einen interessanten Wirkmechanismus, da es den NK1-Rezeptor des Polypeptides Substanz P blockiert. Substanz P, die besonders auch von den Grazer Pharmakologen in ihrer Wirkung definiert wurde (siehe 2), hat zahlreiche Effekte, u.a. auch im Bereich der Schmerzperzeption. Substanz P wirkt aber auch emetisch und die Rezeptoren dafür finden sich im Hirnstamm, wo Neurone lokalisiert sind, die das Erbrechen im ZNS regulieren.
Die klinische Wirkung von Emend (siehe 1;3-5) wurde an über 1000 Patienten/innen getestet. Wenn man die Resultate kombiniert (siehe 1), ergab sich folgendes: Ein kompletter Response (kein Erbrechen und keine Zusatzmedikation für Nausea notwendig) wurde mit der bewährten Kombination (Ondansetron und Dexamethason) für die akute Phase bei 73% der Patienten/innen erzielt. Dieses an sich schon gute Resultat wird durch Aprepitant-Zugabe auf 86% verbessert. Bei verzögertem Erbrechen war der Erfolg der alten Therapie, wie bekannt, mit 51% geringer und wurde durch Aprepitant auf 71,5% verbessert. Die Wirkung bei dieser speziellen Indikation ist daher gut belegt. Auch das Nebenwirkungsprofil erscheint günstig mit Schwindel, Diarrhoe, Schluckauf und Müdigkeit als die häufigsten Nebenwirkungen.
In den früheren Studien lag ein gewisser Hinweis auf vermehrtes Auftreten von Fieber und Infektionen vor, die Zulassungsbehörde sieht darin noch ein Phänomen, das weiter beobachtet werden muss ("constitutes a remaining concern").
Zusammenfassung: Aprepitant hemmt über einen neuen Mechanismus (Blockade eines Substanz P-Rezeptors) Erbrechen, ausgelöst durch Cytostatika, insbesondere Cisplatin. Es verbessert die antiemetische Wirkung von Ondansetron und Dexamethason sowohl in der Akutphase, insbesondere aber auch das verzögerte Erbrechen, wo die bisherige Therapie nur beschränkt erfolgreich war. Das Nebenwirkungsprofil erscheint günstig, eine endgültige Bewertung kann aber, wie immer, erst später erfolgen.
Literatur:
(1) EPAR: http://www.emea.eu.int
(2) Tachykinins: Hdb. exp. Pharmakol. 164,1-23, 2004
(3) Medical Letter 46, 27, 2004
(4) Cancer 97, 3090, 2003
(5) J Clin Onc 21, 4112, 2003
(6) Drugs 64, 777, 2004
Gibt es Indikationen für eine Selengabe?
Selen ist ein essentielles Spurenelement und hat daher so wie Vitamine im Organismus entscheidende Funktionen. Selen ist z.B. Bestandteil der Glutathion-Peroxidase. Dieses Enzym wirkt, zusammen mit Vitamin E und C und schwefelhaltigen Aminosäuren wie Methionin und Cystein, der Lipidperoxidation in Membranen von Zellen und Zellorganellen entgegen und soll so die Bildung zellschädigender Produkte des oxidativen Stoffwechsels verhindern. Darüberhinaus ist Selen sehr wahrscheinlich noch an weiteren Funktionen beteiligt, wie dem Stoffwechsel der Schilddrüsenhormone.
Selenmangelerscheinungen sind Kardiomyopathie (Keshan-Krankheit) und degenerative Osteoarthritis (Kaschin-Beck-Krankheit), Erscheinungen, wie sie in Nord-Ost-China, Nordkorea u.a. Ländern mit extremem Selenmangel beobachtet wurden. Die Beurteilung des Selenstatus erscheint angesichts großer Unterschiede in einzelnen Ländern sehr schwierig. Gebräuchliches Kriterium ist der Serum-Selengehalt. Da Selen im Blut in den Erythrocyten gebunden ist, ist der Vollblutwert etwa um den Faktor 1,3 höher als der Plasma-(Serum)-Wert. Die empfohlene Selenaufnahme beträgt laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung für Erwachsene etwa 55 µg/Tag, unabhängig vom Körpergewicht. Sie liegt in Europäischen Ländern unter der von Kanada, USA und Japan. Bei unserer Ernährung ist das Risiko einer Selen-Unterversorgung nur bei Frühgeborenen, parenteral ernährten Patienten/innen und Alkoholikern/innen relativ groß.
So wie bei Vitaminen ist auch für essentielle Spurenelemente die entscheidende Frage: Hat eine zusätzliche Selen-Zufuhr bei ernährungsmäßig normal versorgten Personen einen therapeutisch belegten Effekt und ist sie risikofrei?
Wir haben mehrfach darüber berichtet, dass nur kontrollierte, prospektive klinische Studien mit einer Placebogruppe verlässliche Aussagen über den therapeutischen Wert von Substanzen ergeben. So zeigte sich z.B., dass trotz zahlreicher positiver epidemiologischer Befunde für antioxidative Vitamine (A, C und E) prospektive Studien keinen therapeutischen Wert für eine zusätzliche Zufuhr dieser Vitamine fanden (Pharmainfo XII/4/1997; XV/1/2000; XIX/2/2004). Auch für Magnesium, das für zahlreiche Krankheiten angepriesen wird, sind nur wenige Indikationen belegt (Pharmainfo XVIII/1/2003). Wir besprechen im folgenden für Selen die diskutierten Indikationen um festzustellen, ob prospektive Studien eine positive Wirkung belegen. Wir konzentrieren uns auf diese Fragestellung und versuchen keine umfassende Diskussion von mehr als 15.400 Publikationen über Selenium.
Herz-Kreislauferkrankungen
Zu diesem Aspekt liegen nur widersprüchliche epidemiologische Daten über den Zusammenhang von Selenspiegeln und Herzinfarktfrequenz vor, wobei insbesondere große Studien negativ waren (1). Eine prospektive Studie zur Wirkung von antioxidativen Vitaminen und Spurenelementen (einschließlich Selen) brachte weder für die kardiovaskuläre Mortalität noch für die Struktur arterieller Gefäße einen positiven Effekt (1a,1b).
Asthma bronchiale
Ein Cochrane Review fand nur 1 Studie, in der über Verbesserung der klinischen Situation nach Selengabe bei Asthmatikern berichtet wurde. Die Messung der objektiven Lungenparameter ergab aber keinen positiven Effekt (2).
Intensivmedizin
Bei Patienten/innen in Intensivstationen wurden niedere Selenspiegel gefunden (siehe 3). In zwei kleineren, allerdings nicht geblindeten, kontrollierten Studien (siehe 3) wurde die Wirkung einer Selengabe getestet. Einige klinische Parameter verbesserten sich, die Mortalität wurde allerdings nicht signifikant gesenkt. Eine Doppelblindstudie (n=31) bei post-traumatischen Patienten/innen in der Intensivstation fand keinen Einfluss von Selen auf die klinischen Resultate (4). Die angekündigte (siehe 3) große Follow-Up-Studie, die offensichtlich notwendig wäre, um diese preliminären Daten in die eine oder andere Richtung zu klären, ist bis jetzt nicht publiziert worden. Eine andere Studie (5), in der parenterale Ernährung mit einer enteralen angereichert mit Arginin, Vitamin E, Zink und Selenium verglichen wurde, fand sogar eine höhere Mortalität für die Patienten/innen, die eine "angereicherte" Ernährung erhielten.
Erst bei Vorliegen von verlässlichen Daten wäre eine Selensubstitution bei Intensivpatienten/innen zu rechtfertigen (siehe auch 5a).
Immunsystem
Ein kürzlich erschienener Review analysierte Studien, in denen Selen zur Verhinderung von Infektionen gegeben wurde (6). In keiner der 12 Studien wurde eine ausreichende Evidenz für einen positiven Effekt der Selenzufuhr gesehen.
Endokrines System
In zwei Studien (7) wurde die Wirkung von Selen bei autoimmuner Thyreoiditis studiert. In beiden Studien kam es zu einem Abfall der Thyreoidperoxidase Antikörper (TPOAb), eine eindeutige Auswirkung auf den Schilddrüsenhormonstoffwechsel wurde nicht beobachtet (siehe auch 8). Es bedarf daher weiterer Studien, um einen möglichen klinischen Nutzen von Selen bei Thyreoiditis sicherzustellen.
Infertilität des Mannes
Das in der Samenflüssigkeit gefundene Seleneiweiß Hydroperoxid-Glutathion-Peroxidase hat antioxidative Funktion, stellt aber auch ein Struktureiweiß in den reifen Spermatozoen dar (9). Offensichtlich ist Selen für die Entwicklung und Funktion der Spermatozoen wichtig. Auch hier ist die Frage zu stellen, was eine zusätzliche Zufuhr von Selen bei Männern mit gestörter Spermatogenese bewirkt? In Studien von bis zu 120 Tagen führte zusätzliche Selenzufuhr zu unterschiedlichen Resultaten: eine Studie berichtete keinen Effekt auf Spermatozoenzahl, Motilität und Morphologie (10); eine zweite einen statistisch schlecht abgesicherten positiven Effekt auf die Motilität (11), eine dritte (12) eine kleine Steigerung der Motilität, aber keinen Effekt auf Zahl, Vitalität und Morphologie und letztlich eine vierte (13) sogar ein Absinken der Motilität und damit sogar einen Hinweis für einen negativen Effekt. Offensichtlich geben diese Studien alles eher als eine Rechtfertigung, Selen bei Infertilität einzusetzen.
Behandlung von Frühgeburten
Ein Cochrane Review fand nur 3 kontrollierte, prospektive relevante Studien zu diesem Thema. Eine Analyse zeigte keinen Effekt von Selensupplementierung auf Überleben der Neugeborenen, auf Lungenerkrankungen und Retinopathie; die Sepsis-Frequenz wurde vermindert. Aber auch dieser positive Effekt könnte dadurch erklärbar sein, dass die größte dieser 3 Studien in einem Land mit niederer Selenversorgung (Neuseeland) durchgeführt wurde (14).
Mehrfache Fehlgeburten
Selenmangel wurde mit gehäuften Fehlgeburten in Verbindung gebracht. Eine Studie (15) fand keinen Zusammenhang zwischen Selenspiegeln im Serum und gehäuften Fehlgeburten, eine andere einen niederen Selenium-Gehalt in Erythrocyten von Frauen mit Fehlgeburten (16). Allerdings wurde letztere Studie in Indien durchgeführt, wo ein Selenmangel vorliegen könnte. Prospektive Studien fehlen.
Krebs-Prophylaxe
Die Studie Nutritional Prevention of Cancer Trial (NPC-trial) wurde in einigen Arbeiten publiziert (17-19). Sie ist die einzige randomisierte Doppelblindstudie, um den Effekt von Selensupplementierung auf Krebs in einer westlichen Population zu untersuchen. Eingeschlossen waren 1312 Patienten/innen mit einem vorher diagnostizierten Nicht-Melanom-Hautkrebs. Die Patienten/innen erhielten Selenhefe (200 µg Selen/Tag) oder Placebo. Die Patienten/innen unter Selengabe zeigten nach 10 Jahren (1983-1993) ein leicht erhöhtes Risiko eines Basal-Zell-Karzinoms (Hazard Ratio: HR = 1,09, 95% Konfidenzintervall, CI: 0,94 - 1,26, also statistisch nicht signifikant), jedoch ein signifikant erhöhtes Risiko eines Plattenepithelkarzinoms (HR = 1,25, 95% CI = 1,03 - 1,51) und ein erhöhtes Gesamtrisiko eines Nicht-Melanom-Hautkrebses (HR = 1,17, 95% CI = 1,02 - 1,34). Die Autoren schließen daraus, dass Selenzufuhr ineffektiv ist, ein Basal-Zell-Karzinom zu verhindern, und andererseits das Risiko eines Plattenepithelkarzinoms erhöht (18).
In derselben Studie wurde der Einfluss von Selensupplementierung auf andere Krebsformen bewertet (19). Selen reduziert die totale Krebs-Inzidenz (HR = 0,75, 95% CI = 0,58 - 0,97) und insbesondere die Prostata-Krebs-Inzidenz signifikant (HR = 0,48, 95% CI = 0,28 - 0,80), auch die Inzidenz von Lungen- und Colorektalkrebs erschien, allerdings nicht signifikant, gesenkt. Laut Subgruppenanalyse reduziert sich der protektive Effekt einer Selensupplementierung auf Männer und bei diesen besonders auf Ex-Raucher.
Besonders betont wurde in diesen Publikationen der protektive und signifikante Effekt von Selen auf das Prostatakarzinom. Das ist verständlich, zumal die Inzidenz in USA fast 200.000 Erkrankungen und über 30.000 Todesfälle im Jahr (2001) beträgt. Besonders effektiv (siehe 19) ist die Prophylaxe bei Teilnehmern mit einem Serum-Selen unter 106 ng/ml (2 Fälle von Prostatakarzinom gegen 15 Fälle in der Placebogruppe) und in der Gruppe mit Serum-Selen bis 123 ng/ml (7 versus 16 Karzinome). In der Gruppe mit Selenspiegeln über 123 ng/ml waren die Werte allerdings 13 versus 11, also sogar mehr Tumore in der Selengruppe. Diese Daten sprechen für einen protektiven positiven Effekt von Selen bei Prostatakarzinomen, aber möglicherweise nur bei Patienten mit niederen Serum-Selenspiegeln. Auch das Risiko für Nicht-Melanom-Hautkrebs wird bei Patienten mit Serum-Selenspiegeln über 106 ng/ml erhöht (19).
Es könnte sich also nur um ein "protektives Fenster" handeln und daher Selen bei den einen Patienten nützen, bei anderen aber sogar schaden. Offensichtlich sind weitere Studien essentiell, um den Einsatz von Selen zur Krebsprävention möglicherweise für gezielte Patientengruppen zu definieren. Dies gilt insbesondere für Prostatakrebs, aber auch für gastrointestinale Krebsformen (1a,19a).
In der Negative Biopsy Study, die im August 1999 begann, werden Männer eingeschlossen, die wenigstens eine negative Prostata-Biopsie hinter sich haben. Patienten werden randomisiert und erhalten 200 µg oder 400 µg Selen (Selenhefe) pro Tag oder Placebo (20). Von den geplanten 700 Teilnehmern wurden bis jetzt 514 Personen aufgenommen. Die Studie läuft derzeit.
In der "Selenium und Vitamin E Cancer Prevention Trial" ("SELECT"-Studie) sollen 32.400 Männer über 12 Jahre hinsichtlich einer protektiven Wirkung von Selen und Vitamin E auf die Entstehung von Karzinomen untersucht werden (21,22). Durchgeführt wird die Studie vom National Cancer Institute (NCI) und der Southwest Oncology Group (SWOG). Ein Ende dieser Studie wird 2013 erwartet.
Zusammenfassung:
Die bisher vorliegenden kontrollierten, prospektiven Doppelblindstudien belegen für eine zusätzliche Selenzufuhr bis jetzt keine Indikation. Die Prophylaxe von Krebserkrankungen (insbesondere Prostatakarzinom) erscheint möglich (siehe auch 23). Es ist aber andererseits nicht klar, ob gewisse Krebsformen gefördert werden und höhere Blutspiegel von Selen mit erhöhter Krebsinzidenz einhergehen. Mögliche Langzeitrisiken einer Zufuhr sind ebenfalls zu wenig belegt.
Literatur:
(1) Amer J Ther 8, 255, 2001
(1a) Arch Intern Med 164, 2335, 2004
(1b) Arterioskler Thromb Vasc Biol 24, 1485, 2004
(2) Cochrane Database Syst Rev 2004,2: CD003538
(3) Biofactors 14,199, 2001
(4) Int Care Med 27,91, 2001
(5) Int Care Med 29,834, 2003
(5a) Cochrane Database Syst Rev 2004,4:CD003703
(6) Int J Hyg Environ Health 207,1, 2004
(7) J Clin End Med 87,1687, 2002
(8) J Nutr 133,3443, 2003
(9) Science 285,1393, 1999
(10) J Androl 16,441, 1995
(11) Brit J Urology 82,76, 1998
(12) Arch Androl 49,83, 2003
(13) J Androl 22,764, 2001
(14) Cochrane Database Syst Rev 2003,4: CD003312
(15) Br J Gyn 106,1188, 1999
(16) J Obstet Gyn 22,181, 2002
(17) BJU Int 91,608, 2003
(18) J Nat Canc Inst 95,1477, 2003
(19) Canc Epid Biom Prev 11,630, 2002
(19a) Cochrane Database Syst Rev 2004,4:CD004183
(20) Anti Cancer Drugs 14,589, 2003
(21) World J Urol 21,21, 2003
(22) Urol Clin North Am 30,227, 2003
(23 ) J Nutr 135,354, 2005
Nicht steroidale Antirheumatika
COX-2-Hemmer
Für die COX-2-Hemmer (siehe auch Pharmainfo XVI/4/2001 und XIX/4/2004) ist derzeit die Situation so: Nach Rofecoxib (Vioxx) wurde jetzt auch Valdecoxib (Bextra) vom Markt genommen. Neben kardiovaskulären Nebenwirkungen war diese Substanz mit Sulfonamidstruktur auch durch schwere Nebenwirkungen an der Haut (z.B. Lyell-Syndrom) belastet. Die weitere Entwicklung ist unklar. Sicher ist, dass eine Verwendung der COX-2-Hemmer bei Personen mit kardiovaskulärem Risiko nicht zu vertreten ist. Damit fällt weitgehend jene Patientengruppe aus, die bislang diese Präparate erhielt und zwar Patienten/innen mit osteoarthritischen Beschwerden über 60 Jahren. Ein kardiovaskuläres Risiko ist für diese Gruppe wohl nur selten auszuschließen.
Für die Therapie bei Osteoarthrose sei daran erinnert (Pharmainfo XVI/4/2001), dass vor allem in den angelsächsischen Ländern Paracetamol (ben-u-ron, Mexalen, Momentum, Paracetamol Präparate, Parakapton, Perfalgan), das weder zu Magen/Darm-Ulcera noch zu kardiovaskulären Nebenwirkungen führt, zuerst versucht wird. Wenn dieses Mittel nicht zum Erfolg führt, sind die klassischen NSAID Mittel erster Wahl, gegebenenfalls zur Prävention gastrointestinaler Nebenwirkungen in Kombination mit Protonenpumpenblockern.
Im Folgenden werden 2 Präparate besprochen, die derzeit keine primären Alternativen darstellen: das eine Präparat wegen nicht belegter Wirkung, das andere Präparat wegen einer derzeit nicht sicher zu bewertenden Lebertoxizität.
Diacerein (Verboril)
Diese Substanz ist zur Behandlung der Osteoarthrose zugelassen. Diacerein, das im Organismus zum aktiven Metabolit Rhein umgewandelt wird, ist ein Anthrachinon-Derivat, und dies erklärt seine häufigste Nebenwirkung, nämlich Durchfälle.
Zahlreiche in vitro Effekte, wie Hemmung der Kollagenase und NO-Produktion von Chondrocyten und Senkung ihrer Urokinase-Rezeptoren, Hemmung der Protease-Sekretion von Leukozyten und von proteolytischen Enzymen etc. wurden beschrieben (1,1a). Allerdings zeigte Diacerein keine Hemmung der Prostaglandinsynthese über die COX-Enzyme. Wohl im Hinblick auf die Bedeutung von Interleukin 1 bei der rheumatoiden Arthritis, aber auch bei Osteoarthrose, wird für Diacerein vor allem eine Beeinflussung dieses Cytokins, und zwar Hemmung einerseits der Sekretion von Interleukin 1 und andererseits der Wirkung von Interleukin 1 auf verschiedene Zellen, betont (2,3,3a,3b). Im Gegensatz zum neu zugelassenen Anakinra (Kineret), das ein spezifischer Rezeptorantagonist für Interleukin 1 ist (siehe Pharmainfo XVIII/4/2003), ist für Diacerein unklar, ob unter den vielen beschriebenen Wirkungen der Interleukin-Beeinflussung eine zentrale Rolle zukommt und über welchen molekularen Mechanismus diese abläuft. Wesentliche Fortschritte für neue Pharmaka in den letzten Jahren waren aber meist durch sehr potente Wirkungen auf definierte Rezeptoren oder andere molekulare Mechanismen erzielbar. Dies gilt auch bei Rheumatherapie, wo neben Anakinra die gezielte Beeinflussung des Tumor Nekrosis Faktors a (Infliximab: Remicade; Etanercept: Enbrel) zu wichtigen neuen Medikamenten führte (siehe Pharmainfo XV/2/2000). Trotz dieser skeptischen Bemerkungen entscheidet die Qualität der veröffentlichten klinischen Studien und ihrer Ergebnisse über die Bewertung von Diacerein.
In der ersten größeren veröffentlichten Studie (n=280; 4) war für Diacerein weder für die Schmerzskala, für einen funktionellen Parameter (Lequesne Index), für Analgetikaverbrauch noch für die Bewertung durch die Patienten/innen nach 8 Wochen ein statistisch signifikanter (p<0,05) Unterschied zu Placebo zu finden, während ein nicht-steroidales Antiphlogistikum signifikante Effekte ergab. In einer zweiten Studie (5) wurde Diacerein in der Dosis von 50, 100 und 150 mg gegenüber Placebo an insgesamt 484 Patienten/innen getestet. Nach der Versuchsdauer von 16 Wochen waren nur mehr 66% der Patienten/innen in der Studie, eine sehr hohe Ausfallsrate. Diese Studie mit den hohen Ausfallsraten und der mangelnden Dosis/Wirkungsbeziehung (höhere Dosis von 150 mg weniger gut wirksam als 100 mg) ergibt zwar etwas bessere Daten als die obige Studie, ist aber auch ohne Beweiskraft.
In einer weiteren Studie an Osteoarthrose-Patienten/innen wurde der Effekt von Diacerein auf die Gelenkstruktur (Schmälerung der Gelenkspalte im Hüftgelenk) und die klinische Symptomatik an 255 Patienten/innen mit Diacerein und 252 mit Placebo für 3 Jahre untersucht (6). Nahezu die Hälfte der Patienten/innen beendete die Studie nicht. Eine Verschmälerung des Gelenkspalts um mehr als 0,5 mm trat bei 51% der Diacerein-Patienten/innen und bei 60% der Placebo-Patienten/innen auf (p=0,036). Die Verschmälerung (joint space narrowing) pro Jahr zeigte für die Per Protocol (PP)-Analyse 0,18 versus 0,23 (p=0,042), aber keinen Unterschied in der Intention To Treat (ITT)-Analyse (0,39 versus 0,39). Diese geringen und nicht einheitlichen Unterschiede sind nicht überzeugend. Für Infliximab (Remicade), das wir als wirksames Mittel bei rheumatoider Arthritis besprochen haben (Pharmainfo XV/2/2000), waren Effekte auf die Gelenkschäden viel deutlicher (EPAR: http://www.emea.eu.int). So hatten 52% in der Remicade-Gruppe versus 20% in der Placebo-Gruppe überhaupt keine Verschlechterung (Gelenkspalt und Erosion gemessen). Besonders bedenklich in der Diacerein-Studie aber ist, dass für die klinischen Parameter (Schmerz, Lequesne Index als funktioneller Parameter, Analgetikaverbrauch) in dieser großen und 3 Jahre dauernden Studie kein signifikanter Effekt von Diacerein gefunden wurde. Dies stellt die Daten der früheren Studie (5) in Frage und ergibt folgendes Problem: Wenn Diacerein tatsächlich die Gelenkschäden reduzieren sollte, warum zeigt sich dann bei 3jähriger Therapie für den/die Patienten/in keine merkbare Verbesserung des Krankheitsgeschehens? Die Autoren der Studie stellen selbst fest: "The clinical relevance of these findings requires further investigation". Andererseits ist mit 46% Durchfällen die Nebenwirkungsrate hoch.
Eine weitere größere (Gesamt: 301 Patienten/innen) Doppelblindstudie bestätigt die skeptische Evaluierung der obigen Studie. Patienten/innen mit Osteoarthritis des Knies wurden mit intramuskulärer Hyaluronsäure, oralem Diacerein und Placebo (i.a. und oral) behandelt (7). Keines der beiden Medikamente veränderte im Verlauf eines Jahres das Krankheitsgeschehen (Schmerz und andere Kriterien) und die Gelenkschäden im Vergleich zu Placebo.
Zusammenfassung: Diacerein entfaltet komplexe Wirkungen, ob eine Hemmung des Interleukin 1 einen klinisch relevanten Mechanismus darstellt, ist unklar. Studien an Osteoarthrose-Patienten/innen haben bezüglich klinischer Symptomatik (Schmerz, funktionelle Parameter, Analgetikaverbrauch) widersprüchliche Resultate ergeben. In einer Studie wurde über Hinweise auf eine Verzögerung von Gelenkschäden bei Osteoarthrose des Hüftgelenkes berichtet, die Effekte waren aber gering und nicht sehr gut abgesichert. Bis zur Hälfte der Patienten/innenhatten als Nebenwirkung Durchfälle. Eine kürzlich publizierte große Studie fand nach 1 Jahr weder für die Krankheitssymptomatik noch für Gelenkschäden am Knie einen positiven Effekt. Die Wirkung von Diacerein bei Osteoarthritis ist also nicht belegt, andererseits hat die Substanz häufig Nebenwirkungen.
Literatur:
(1) Drugs 53, 98, 1997
(1a) Clin Exp Rheum 21, 171, 2003
(2) J Rheumatol 25, 2417, 1998
(3) J Rheumatol 25, 753, 1998
(3a) Eur J Pharm 448, 81, 2002
(3b) Arthritis Res Ther 6, R65, 2004
(4) Arthr & Rheum 37, 529, 1994
(5) Arthr & Rheum 43, 2339, 2000
(6) Arthr & Rheum 44, 2539, 2001
(7) Ann Rheum Dis 63, 1611, 2004
Nimesulid (Aulin) in Diskussion:
Dieses Präparat ist wegen Fällen von schwerer Lebertoxizität in Diskussion geraten. Wir möchten aus 3 Informationen zitieren, um eine gewisse Relativität der Aussagen zu charakterisieren.
Die für Aulin zuständige Firma teilt in der ÖÄZ vom 25. Feb. 2005 (S.66) u.a. mit: "Mit dieser behördlichen (Europa Behörde EMEA vom 7. Mai 2004) Bestätigung des unverändert positiven Nutzen/Risiko-Profile von Nimesulid (Aulin) ist dieses Arzneimittel uneingeschränkt verkehrsfähig. Das Risiko schwerer hepatischer Nebenwirkungen ist gering und demjenigen der anderen NSAID vergleichbar." Unter Beachtung der in der Fachinformation angeführten Anwendungsempfehlung ist das Risiko schwerer hepatischer Nebenwirkungen unter Nimesulid sehr gering. Unter Berücksichtigung der besseren gastrointestinalen Verträglichkeit "steht mit Nimesulid eine besonders rasch und effektiv wirkende und gut verträgliche Therapie zur Verfügung."
Im EMEA Bericht vom 7. Mai 2004 steht u.a.: In Finnland wurden 66 Fälle von Lebertoxizität, darunter schwere Fälle (auch 2 Lebertransplantationen) berichtet. "Daten aus Spanien und Finnland sprechen für ein höheres Risiko von Nimesulid verglichen mit anderen NSAID. Dies wurde aber in anderen EU-Staaten nicht bestätigt. Eine pharmakoepidemiologische Studie spricht für ein geringfügig größeres Risiko an Lebertoxizität für Nimesulid, im Gesamten erscheint sie aber ähnlich wie die anderer NSAID." Nimesulid hat ein mit anderen NSAID vergleichbares gastrointestinales Sicherheitsprofil. Nimesulid Tabletten von 200 mg haben kein positives Risiko/Nutzenverhältnis und wurden bereits vom Markt (in Österreich waren sie nicht registriert) genommen. Es sind alle 6 Monate Periodic Safety Update Reports (PSUR) mit genauer Evaluierung der Lebertoxizität von der Firma den Behörden zur Verfügung zu stellen. In der Fachinformation wird auf die Lebertoxizität hingewiesen und es werden zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen aufgenommen.
Die österreichische Behörde (Erlass vom 16.12.2004) hat u.a. mitgeteilt: "Dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen wurden insgesamt 6 Fälle hepatischer Nebenwirkungen, die unter der Einnahme von Nimesulid auftraten, gemeldet: In 4 Fällen wurde ein Leberversagen, in 2 weiteren Fällen über erhöhte Leberparameter berichtet. Nach Absetzen von Nimesulid und stationärer Behandlung kam es in 4 Fällen zu einer Normalisierung der Leberparameter, ein Fall ist noch nicht abgeschlossen. In einem Fall war eine Lebertransplantation erforderlich.
In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit der Meldung aller vermuteten Nebenwirkungen (UAW-Meldepflicht) hingewiesen."
Offensichtlich liegt in Österreich für andere NSAID keine vergleichbare Anzahl von Meldungen vor.
Diese 3 je nach Interessenlage unterschiedlichen Stellungnahmen zeigen, wie schwierig es ist, sich aus Informationen ein Bild zu machen. Aus den behördlichen Meldungen ziehen wir den Schluss, dass bei dieser Datenlage (bis weitere PSUR vorliegen) derzeit eine Verabreichung von Aulin nur als Mittel zweiter Wahl zu rechtfertigen ist.
P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 25. Juli 2005
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