Kiefergelenkserkrankungen
Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist ein Überbegriff für strukturelle, funktionelle und psychische Fehlregulationen der Gelenk- oder Muskelfunktion der Kiefergelenke. Sie ist ein komplexes Krankheitsbild mit vielen Erscheinungsformen. Schmerzen im Kiefergelenk und im Kopf-, Nacken- und Schulterbereich, schmerzhafte Verhärtungen der Kaumuskulatur, Knackgeräusche im Kiefergelenk oder stressbedingtes „Zähneknirschen“ gehören genauso zu den Symptomen, wie Schwindelgefühl, Ohrensausen, Augenflimmern, Bissstörungen, Schluckbeschwerden oder psychosomatische Beschwerden.
Diesen Symptomen liegen Über- oder Fehlfunktionen der Kaumuskulatur, Verlagerungen der Knorpelscheibe (Discus) im Kiefergelenk, entzündliche oder degenerative Veränderungen der Kiefergelenke zugrunde.
Die genaue Diagnosestellung sollte nach international anerkannten Standards des „International Network for Orofacial Pain and Related Disorders Methology“ (INfORM) oder nach der deutschsprachigen Abwandlung der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und Therapie erfolgen. Es wird bei der Diagnose der CMD zwischen Störung der Kauflächen, der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke unterschieden.
Abhängig von der zugrundeliegenden Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung kommen individuell auf den Patienten abgestimmte Therapien zur Anwendung. Diese reichen von edukativen Ansätzen wie Patientenführung und Schmerzbewältigungsstrategien über physikalische und medikamentöse Schmerz- und Aufbissschienentherapien bis hin zu minimalinvasiven Verfahren wie Arthroskopie und Lavage der Kiefergelenke und offener Kiefergelenkchirurgie.
Die Basistherapie bildet die Patientenorientierung mit Selbstbeobachtung. Auch physikalische Maßnahmen wie Thermo-, Kryo-, Rotlicht- oder Mikrowellentherapie, sowie transkutane Nervenstimulation (TENS) oder Biofeedback sollten zusätzlich zur medikamentösen Schmerztherapie in der symptomatischen Therapie der CMD Einsatz finden.
Darüber hinaus gehend, besitzt insbesondere die Okklusionsschienentherapie aufgrund ihrer in der Regel vorliegenden Reversibilität ein weites Indikationsspektrum und stellt die zahnärztliche Standardmaßnahme in der Primärtherapie dar. Das Wirkprinzip der Okklusionsschienen basiert je nach ihrer Gestaltung auf unterschiedlichen neuromuskulären Mechanismen, wobei sie der Harmonisierung der Muskel- und Kiefergelenkfunktionen, der Ausschaltung okklusaler Interferenzen und Reduktion parafunktioneller Aktivitäten, wie Bruxismus sowie dem Schutz der Zahnhartsubstanz dienen.
Häufig findet sich bei CMD Patienten zugrundeliegender chronischer Stress oder das Bestehen psychischer Komorbiditäten. Diese können hierbei sowohl Auslöser als auch Folgeerscheinung der CMD sein. Das Vorliegen einer psychischen Komorbidität sollte besonders bei Patienten mit chronischen und langen, therapierefraktären Verläufen abgeklärt werden.
Bei funktionellen Erkrankungen der Kiefergelenke hat sich eine Stufentherapie bewährt. Irreversible subtraktive Maßnahmen wie zum Beispiel eine totale Kiefergelenkendoprothese und offene, interventionelle chirurgische Verfahren kommen heute möglichst spät zum Einsatz, während minimal-invasive chirurgische Verfahren wie Arthrozentesen oder Arthroskopien zur Vermeidung einer Schmerzchronifizierung bei vornehmlich Gelenkabhängigem Schmerz frühzeitig zum Einsatz kommen.
Eine Ausnahme bilden natürlich primäre Fehlbildungen oder auch Tumoren der Kiefergelenke, die nahezu immer eine offene Operation direkt im Bereich des Gelenkes erfordern.
Die Vielzahl der in der Behandlung kraniomandibulärer Dysfunktionen anwendbaren therapeutischen Mittel entspricht dabei der Vielgestalt der klinischen Verlaufsformen. Eine individuelle Auswahl der jeweils geeigneten Therapieverfahren ist daher unumgänglich. Aus diesem Grunde werden sämtliche Patientinnen und Patienten interdisziplinär zusammen mit den Nachbardisziplinen Prothetik, Kieferorthopädie, aber auch Neurologie und Schmerztherapie behandelt.