Inhalt
- Mammakarzinom
- Blutdruckzielwerte: SPRINT Studie Therapeutika bei Psoriasis vulgaris
- Ovarialkarzinom und Hormontherapie
- Alkohol Entwöhnungsbehandlung (Nalmefen: Selincro)
- Ezetimib (Ezetrol, Inegy) revisited
- Conflict of interest bei Metaanalysen
- Phenylephrin in oralen Schnupfenmitteln
- Noch einmal: Asasantin
Mammakarzinom
Jede achte bis neunte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom. In Österreich sind das knapp 5.000 Erstdiagnosen pro Jahr. Das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, steigt ab dem 45. Lebensjahr stetig an, das mittlere Erkrankungsalter beträgt 63 Jahre. Durch organisierte Screening-Programme konnte in den letzten Jahren eine deutliche Verschiebung der Neudiagnosen zu frühen Stadien beobachtet werden. Bei nur etwa 5% der Patientinnen erfolgt die Primärdiagnose mit Fernmetastasen. In kontrollierten Studien wurde durch organisierte Screening-Programme eine Reduktion der Sterblichkeit am Mammakarzinom um ca. 20% beobachtet.
Operative Therapie
Diese spielt weiterhin eine zentrale Rolle in der Behandlung des Mammakarzinoms. Ihr Ziel ist die komplette Exstirpation des Tumors mit tumorfreien Resektionsrändern. Die brusterhaltende Therapie beim Mammakarzinom gilt heute als der Standardfür die Mehrheit der betroffenen Patientinnen. Eine Mastektomie ist nur mehr in einer Minderheit der Fälle notwendig. Als klassische Indikationen gelten multizentrischer Tumor, inflammatorisches Mammakarzinom, auch nach Nachresektion inkomplette Entfernung des Tumors, diffuse Präneoplasie (DCIS), Kontraindikationen zur postoperativen Strahlentherapie, Präferenz der Patientin für eine Mastektomie, Zustand nach Lokalrezidiv oder prophylaktische Mastektomie zur Risikoreduktion bei nachgewiesener Genmutation. Jede Patientin, bei der eine Mastektomie durchgeführt wird, sollte über die Möglichkeit einer sofortigen oder späteren Brustrekonstruktion aufgeklärt werden.
Nach brusterhaltender Therapie ist eine Strahlentherapie indiziert, da durch diese das Lokalrezidivrisiko signifikant gesenkt werden kann (Rezidivrisiko von 20% auf 3% reduziert). Damit werden sowohl die lokale Kontrolle als auch das Gesamtüberleben verbessert (9% Verbesserung des OS: Overall Survival nach 10 Jahren). Nach Mastektomie ist eine Strahlenbehandlung bei großen Tumoren (größer T3), nach Resektion nicht im Gesunden, bei fehlender Möglichkeit zur Nachresektion und bei Lymphknotenbefall indiziert.
Neoadjuvante/primär-systemische Therapie
Neben der primären operativen Therapie hat sich in den letzten Jahren diesogenannte neoadjuvante oder primär-systemische Therapie vor Durchführung der operativen Maßnahmen etabliert. Seit vielen Jahren ist diese bei der Behandlung des inflammatorischen und des lokal weit fortgeschrittenen Mammakarzinoms die Therapie der Wahl, um nach medikamentöser Tumorreduktion möglichst eine Operation in sano zu erreichen. Inzwischen konnte jedoch auch in mehreren Studien nachgewiesen werden, dass diese primär-systemische Therapie verglichen mit einer adjuvanten postoperativen Therapie bezüglich des Gesamtüberlebens gleich effektiv ist. Zusätzlich hat die neoadjuvante Therapie noch weitere Vorteile - sie ermöglicht eine Konversion eines primär inoperablen in ein operables Mammakarzinom. Die Rate an brusterhaltenden Operationen wird erhöht und damit die chirurgische Morbidität gesenkt. Das Erreichen einer pathologisch verifizierten kompletten Remission bedeutet zudem bei einigen Subtypen (HER2-positiv, Triple-negativ) eine besonders günstige Prognose.
Postoperative adjuvante Hormon- und adjuvante Chemotherapie
Seit ihrer Einführung haben sich die postoperative adjuvante Hormon- und die adjuvante Chemotherapie über die letzten 25 Jahre zu einem integralen und unverzichtbaren Bestandteil in der Therapie des Mammakarzinoms entwickelt. Die Wirksamkeit beider Therapieformen wurde in vielen randomisierten Studien untersucht und immer wieder bestätigt. Die Metaanalysen dieser Studien, die in der Early Breast Cancer Trials Collaborative Group (EBCTCG) in regelmäßigen Abständen ergänzt wurden, unterstreichen die Bedeutung der adjuvanten Systemtherapie für die Verhinderung von Rezidiven und Verbesserung des Gesamtüberlebens (1,2).
Adjuvante endokrine Therapie
Diese Therapie ist unabhängig von einer eventuell geplanten Chemotherapie und grundsätzlich dann indiziert, wenn der Steroid-Hormonrezeptorstatus positiv ist. Diese Behandlung hat für das Anti-Östrogen bzw. den selektiven Östrogenrezeptor-Modulator Tamoxifen (Nolvadex, Generika) eine Reduktion der jährlichen Mammakarzinom-Rezidivraten von 50% und der Sterblichkeit von 30% gezeigt. Dies bedeutet eine absolute Reduktion von 12 Rezidiven und 9 Todesfällen auf 100 Patientinnen in 15 Jahren (3).
Bei hormonrezeptor-negativen Tumoren (Östrogen- und Progesteronrezeptor-negativ, ca. 20% der Tumore) ist keine adjuvante endokrine Therapie indiziert.
Um die Möglichkeit einer Wirkungsabschwächung zu vermindern, sollte eine endokrine Therapie bei hormonrezeptor-positiven Tumoren erst nach Abschluss einer eventuellen Chemotherapie verabreicht werden. Die Art der adjuvanten endokrinen Therapie ist vom Menopausenstatus abhängig, vor allem der Einsatz von Aromatase-lnhibitoren stellt wegen deren Wirkmechanismus einen höheren Anspruch an die korrekte Festlegung der Ovarialfunktion.
i. Postmenopause: Bei Karzinomen mit positiven Hormonrezeptoren gilt heute ein Aromatase-lnhibitor, der die Umwandlung von Androgenen in Östrogene hemmt, im Rahmen der adjuvanten Therapie als Standard. Als Aromatase-lnhibitoren kommen Anastrozol (Arimidex, Generika), Letrozol (Femara, Generika) oder Exemestan (Aromasin, Generika) zum Einsatz. Aromatase-lnhibitoren werden entweder primär (up-front) oder aber sequentiell nach einer zwei- bis dreijährigen Tamoxifen-Therapie verabreicht. Die empfohlene Therapiedauer beträgt fünf Jahre, wobei die erweiterte adjuvante Therapie nach 5-jähriger Tamoxifen-Therapie mit Aromatase-lnhibitoren eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS)zeigen konnte. Der Wechsel von Tamoxifen auf einen Aromatase-lnhibitor resultierte in einer absoluten Reduktion von 2,7% der Rezidivrate in 5 Jahren. Bezüglich des Überlebensvorteils war der Unterschied in der überwiegenden Mehrzahl der Studien nicht signifikant (4,5).
ii. Prämenopause: Als Standard in der Therapie der prämenopausalen Patientin galt bisher die Gabe von Tamoxifen über einen Zeitraum von 5 Jahren. Eine Kombination mit GnRH-Analoga (Zoladex, Enantone-Gyn, Trenantone) zur ovariellen Suppression für 3-5 Jahre ist insbesondere bei Frauen, welche nach Chemotherapie keine permanente Amenorrhoe erreichen, empfehlenswert.
Für die Ovarablation, mit z.B. GnRH-Analoga, ergab sich in der EBCTCG- Metaanalyse nach 15 Jahren ein absoluter signifikanter Nutzen von 4% in der Rückfallrate und 3% im Gesamtüberleben. Man darf vermuten, dass bei prämenopausalen Patientinnen ein wesentlicher Anteil der Wirkung einer Chemotherapie durch eine permanente oder passagere chemotherapie-induzierte Ovarialsuppression verursacht wird.
Nun ergibt sich aus der Analyse der Daten von 4.690 prämenopausalen Frauen aus zwei Studien (TEXT und SOFT), dass eine 5-jährige Therapie mit dem Aromatase-Inhibitor Exemestan in Kombination mit einer medikamentösen Suppression der Ovarialfunktion (GnRH-Analoga) effektiver vor einem Rezidiv schützt als Tamoxifen und damit eine weitere Option in dieser Indikation ist (6). Des Weiteren scheint es offensichtlich so zu sein, dass besonders Frauen unter 40 Jahren und Patientinnen mit hohem Risiko von einer Ovarialsuppression (chirurgisch oder medikamentös) profitieren. Eine weitere rezente Studie stellte den Nutzen der Ovarialablation für Niedrigrisiko-Patientinnen in Frage (7): nach 5 Jahren waren in der Gruppe mit Ovarablation 87% der Patientinnen ohne Rezidiv, während in der alleinigen Tamoxifen-Gruppe diese Rate 85% betrug (n.s.).
Adjuvante Chemotherapie
Patientinnen mit hormonrezeptor-negativen Tumoren oder hohem Rezidivrisiko
wird eine adjuvante Chemotherapie empfohlen. Derzeit gelten bei nodal-positiven Mammakarzinom-Patientinnen aufgrund der übereinstimmenden Daten anthrazyklin- (diese hemmen die Topoisomerase lla und verursachen DNA- Doppelstrangbrüche) und taxanhaltige (Spindelgifte) Chemotherapien als Standardempfehlung. Aber auch drei rezente Metaanalysen lassen einen Benefit im adjuvanten Setting unabhängig vom Alter der Patientin, dem Lymphknotenstatus, Hormonrezeptor-Expression und HER-2-Status erkennen (8). . Dennoch wird die optimale Rolle der Taxane in der Adjuvanz weiterhin kontroversiell diskutiert.
HER-2-positive Tumore
Bei etwa 15% aller invasiven Mammakarzinome findet man eine Überexpression des Wachstumsfaktor-Rezeptors HER-2. Beim immunhistochemischen Nachweis einer Überexpression oder Nachweis einer Amplifikation mittels FISH-Technik ist der Einsatz von Trastuzumab (Herceptin i.v. oder subkutan) indiziert. Trastuzumab blockiert als Antikörper den Wachstumsfaktor-Rezeptor und aktiviert gleichzeitig die immunologische zellvermittelte Zytotoxizität. Basierend auf den Studienergebnissen der US-amerikanischen und der HERA-Studie ist die adjuvante Trastuzumab-Therapie seit dem Jahr 2006 zugelassen. Aufgrund der derzeitigen Datenlage ist die adjuvante einjährige Trastuzumab-Therapie nach primär systemischer oder adjuvanter Chemotherapie bei HER-2-positivem Mammakarzinom Standard (Zugewinn PFS 6% und OS 3%). Die Indikationsstellung sollte unabhängig vom Nodalstatus oder Alter der Patientinnen erfolgen. Als Therapie bieten sich momentan im Wesentlichen drei Alternativen an: (i) zum einen eine sequentielle Epirubicin- Cyclophosphamid-Taxan-Therapie mit Beginn der Trastuzumab-Behandlung gleichzeitig mit der Taxan-Therapie, gefolgt von einer Komplettierung auf eine einjährige Erhaltungstherapie mit Trastuzumab, oder (ii) eine einjährige Trastuzumab-Therapie nach Abschluss der Standard-Chemotherapie (analog dem HERA-Studienprotokoll) oder (iii) sechs Zyklen der Kombination einer anthrazyklinfreien-Chemotherapie bestehend aus Carboplatin (Generika), Docetaxel (Taxotere, Generika) plus Trastuzumab, gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit Trastuzumab für insgesamt ein Jahr. Bisher wurde Trastuzumab intravenös appliziert, allerdings gibt es jetzt auch eine subkutane Applikationsmöglichkeit. Für diese konnte eine ähnliche Wirksamkeit nachgewiesen werden. Patientinnen favorisieren die subkutane Applikation deutlich, vor allem aufgrund der kürzeren Aufenthaltsdauer im Krankenhaus, andererseits sind eine möglicherweise verstärkte Bildung von Antikörpern bei subkutaner Gabe sowie die höheren Kosten vor allem gegenüber demnächst zu erwartenden Biosimilars zu berücksichtigen.
Zugabe von Bisphosphonaten
In mehreren Studien konnte in der adjuvanten Situation gezeigt werden, dass das krankheitsfreie Überleben durch Zugabe von Bisphosphonaten zur endokrinen Therapie mit Aromatase-Inhibitoren (überwiegend Zoledronsäure: Zometa, Generika) signifikant verlängert werden kann. Allerdings zeigte sich dieser positive Effekt vor allem bei postmenopausalen Patientinnen oder bei prämenopausalen Patientinnen mit der Ausschaltung der ovariellen Funktion für drei Jahre (9,10). Jedenfalls werden das durch Aromatase-Inhibitoren gesteigerte Osteoporoserisiko und die damit verbundene erhöhte Frakturrate signifikant reduziert.
Dieser Effekt lässt sich auch mit dem Einsatz von Antikörpern gegen den Rank-Liganden (Denosumab: Xgeva) zeigen. Die Frakturraten konnten um 50% reduziert werden (11).
Jüngst konnte gezeigt werden, dass auch das krankheitsfreie Überleben durch die Zugabe von Denosumab zur endokrinen Aromatase-Inhibitor-Therapie bei postmenopausalen Frauen signifikant verbessert werden kann (12).
Lokoregionäre Rezidive
Diese treten nach brusterhaltender Operation und Bestrahlung in einer Frequenz von etwa 5-10% auf. In den letzten Jahren hat man aufgrund der intensivierten adjuvanten Therapie einen Rückgang dieser Lokalrezidive beobachten können. Die Früherkennung eines isolierten lokalen Rezidivs hat einen günstigen Einfluss auf das Gesamtüberleben. Damit ist die lokale Tumorkontrolle das wichtigste Ziel der Nachsorge, um einen erneuten kurativen Therapieansatz zu ermöglichen. Die Therapie des Lokalrezidivs besteht vor allem in der operativen Intervention in Kombination mit lokaler Strahlentherapie. Eine zusätzliche Chemotherapie kann das krankheitsfreie Intervall und Überleben entsprechend der randomisierten CALOR-Studie (5 Jahre PFS 69% vs. 57% und 5 Jahre OS 88% vs. 76%) vor allem in der Subgruppe hormonrezeptor-negativer Mammakarzinome verlängern (13).
Palliative Therapie
Liegen Fernmetastasen vor, ist nach heutiger Erkenntnis die Langzeitheilung nur in Einzelfällen möglich. Ein günstiger Verlauf ist bei solitären Fernmetastasen oder jenen, die ausschließlich Knochen oder die Haut betreffen, zu erwarten. Ziel der Behandlung ist der Erhalt einer möglichst hohen Lebensqualität und Symptomfreiheit.
Palliative endokrine Therapie
Bei hormonrezeptor-positiven Tumoren zieht man in der palliativen Behandlung bei Patientinnen ohne besonders gravierende Symptome, wie z.B. schwere Atemnot, die endokrine und damit wenig belastende Therapieform vor. Insbesondere diejenigen Patientinnen, die ein langes krankheitsfreies Intervall hatten, deren Metastasen Knochen betreffen, oder auch Patientinnen mit wenigen asymptomatischen viszeralen Metastasen, profitieren von einer endokrinen Therapie. Spricht eine Patientin auf eine endokrine Therapie an, wird diese bis zur Progression durchgeführt. Bei Progression ist der Einsatz alternativer endokriner Substanzen in Sequenz indiziert und gerechtfertigt. Erst nach Ausschöpfen aller endokrinen Behandlungsmaßnahmen oder bei Nichtansprechen auf die endokrine Therapie soll auf eine zytostatische Therapie umgestellt werden.
i. Postmenopause: Erster endokriner Behandlungsschritt bei Metastasierung ist bei postmenopausalen Patientinnen der Einsatz eines Aromatase-lnhibitors (im Vergleich mit Tamoxifen PFS 6 vs. 9 Monate und 1-Jahr-OS 82% vs. 86%: 14). Weitere Schritte in der endokrinen Behandlungskaskade stellen je nach antihormoneller Vorbehandlung der Einsatz von Fulvestrant (Faslodex), Tamoxifen oder Gestagenen (Farlutal) dar. Mit der Zugabe des mTOR-Inhibitors Everolimus (Afinitor) gelingt es, eine Resistenz auf Hormontherapie, wie sie im Verlauf der Erkrankung entsteht, zu durchbrechen. Diese Resistenz wird über einen Signaltransduktionsweg vermittelt, der erst durch den vorhergehenden therapeutischen Hormonentzug aktiviert wird. Folglich stellt die Blockade von mTOR einen vielversprechenden Behandlungsansatz dar. Everolimus erhielt im Juli 2012 von der EMA die Zulassung für die Kombinationstherapie mit dem Aromatase-Inhibitor Exemestan in der Therapie des hormonrezeptor-positiven, HER-2-negativen, fortgeschrittenen Mammakarzinoms bei postmenopausalen Frauen ohne symptomatische viszerale Metastasierung, nachdem es zu einem Rezidiv oder einer Progression nach einem nicht-steroidalen Aromatase-lnhibitor gekommen ist (PFS 4,1 vs. 11,0 Monate, OS kein signifikanter Unterschied). Neben den belastenden Nebenwirkungen, wie Stomatitis, Infektionen, Hautausschlag, Müdigkeit, Durchfall und vermindertem Appetit, können vor allem Störungen des Glucose-Stoffwechsels und eine Pneumonitis auftreten. Aufgrund der unter Umständen auch aggravierenden Nebenwirkungen ist eine engmaschige Kontrolle der Kombinationsbehandlung mit Everolimus notwendig.
Eine weitere interessante Substanzklasse stellen die CDK-4/6-Inhibitoren dar. Aufgrund der Daten der Phase II-Studie PALOMA-1 hat die FDA im Februar 2015 Palbociclib in einem beschleunigten Verfahren zugelassen. Denn die postmenopausalen Patientinnen, die in der First-Line-Therapie zusätzlich zur Letrozol-Therapie auch Palbociclib erhielten, zeigten ein klar besseres progressionsfreies Überleben als jene, die Letrozol alleine erhielten (HR 0,488: 15). Die Phase III-Studie PALOMA-3 wurde nach einer Interimsanalyse aufgrund der hohen Effektivität vorzeitig abgebrochen (HR 0,422).
ii. Prämenopause: Bei prämenopausalen Patientinnen ist die Ausschaltung der Ovarfunktion mit GnRH-Analoga oder Ovarektomie in Kombination mit Tamoxifen die Therapie der ersten Wahl. In Folge kann eine Ovarialsuppression in Kombination mit einem Aromatasehemmer zum Einsatz kommen. Auch die Gabe von Fulvestrant stellt eine Alternative dar.
Palliative zytostatische Therapie
Bei Patientinnen mit hormonrezeptor-negativem Tumor, hormonresistenter Erkrankung oder bei multipler viszeraler oder symptomatischer Metastasierung muss eine zytostatische Therapie in Betracht gezogen werden. Nach Beginn einer Chemotherapie sollte eine Evaluation des Therapieeffektes mindestens alle drei Monate erfolgen. Eine Polychemotherapie kann gegenüber einer Monochemotherapie zu einem geringen Überlebensvorteil führen (verbessertes PFS 1-3 Monate, OS nicht signifikant), ist aber häufig mit einer deutlich höheren Rate an Toxizität verbunden (16). Dabei ist bei geringen Beschwerden und langsamem Tumorwachstum bzw. Ineffektivität einer endokrinen Therapie eine Monochemotherapie sinnvoll. Bei stärkeren Beschwerden und raschem Wachstum bzw. aggressivem Tumorverhalten, d.h. bei hohem Remissionsdruck, sollte eine Polychemotherapie durchgeführt werden.
Als Monotherapie kommen eine Reihe von Substanzen zum Einsatz, wie Anthrazykline, auch in liposomaler Form, Taxane, Alkylantien, Metaboliten und Vincaalkaloide. Seit Jänner 2008 wurde nab-Paclitaxel (Abraxane), das wie ein Taxan als Spindelgift wirkt, als Monotherapie für die Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms bei erwachsenen Patientinnen zugelassen, bei denen die Erstlinientherapie der metastasierten Erkrankung fehlgeschlagen ist und eine standardmäßige anthrazyklinhaltige Therapie nicht angezeigt ist. Dieses Medikament weist eine niedrige Rate an allergischen bzw. Hypersensitivitätsreaktionen auf. Rezente Studien lassen auch eine bessere Wirksamkeit als bei konventionellen Taxanen annehmen. Eribulin (Halaven), das die Mikrotubuli hemmt, wurde 2011 von der EMA als Monotherapie für die Behandlung von Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom zugelassen. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Neutropenie, Müdigkeit, Asthenie, Übelkeit und periphere Neuropathie. Da dieses Medikament auch einen Überlebensvorteil (OS 10,6 vs. 13,1 Monate) zeigen konnte, wird es nicht nur als Drittlinientherapie, sondern bereits auch in früheren Linien eingesetzt (17).
Zielgerichtete Therapien
HER-2-Inhibitoren (Trastuzumab, Pertuzumab: Perjeta, T-DM1 = Trastuzumab-Emtansin: Kadcyla, Lapatinib: Tyverb) spielen in der Behandlung des HER-2-positiven Mammakarzinoms eine große Rolle. Für Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom, die HER-2/neu überexprimieren, verlängert Trastuzumab sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit einer Chemotherapie die Überlebenszeit (1 Jahr OS 68% vs. 79%). Kombinationen mit Anthrazyklinen und anderen potentiell kardiotoxischen Substanzen sollten vermieden werden. Pertuzumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der die Dimerisierung des HER-2-Rezeptors mit anderen Rezeptoren der HER-2-Familie verhindern soll. Pertuzumab ist damit ein sogenannter „HER-2-Dimerisierungshemmer". Das Besondere am Konzept ist, dass gleichzeitig mit der HER-2-Blockade auch eine gewisse HER-3- und EGFR-Blockade erfolgt. Aktuelle Daten zeigen, dass die Kombination von Pertuzumab, Trastuzumab und Docetaxel das Gesamtüberleben signifikant steigern konnte (OS 40,8 Monate vs. 56,5 Monate: 18). Die häufigsten Nebenwirkungen, die bei der Kombination mit Pertuzumab beobachtet wurden, sind Durchfall, febrile Neutropenien, Müdigkeit sowie Hautausschläge. Offensichtlich spielt die duale Blockade eine zentrale Bedeutung für die Verbesserung der Ansprechraten bzw. des therapeutischen Erfolges. Auch die Kombination von Lapatinib und Trastuzumab ist wirksam. Eine Weiterentwicklung der HER-2-basierten Therapie ist das Trastuzumab-Zytostatikum-Konjugat T-DM1. Dabei wird das Prinzip einer Internalisierung eines an einen Antikörper gekoppelten hochtoxischen Zytostatikums ausgenutzt. Für Patientinnen, die bereits mit Trastuzumab vorbehandelt waren, konnte durch T-DM1 gegenüber Lapatinib und Capecitabin (Xeloda, Generika) ein deutlicher Zugewinn an progressionsfreiem Überleben und auch Gesamtüberleben belegt werden (PFS 6,4 vs. 9,6 Monate, OS 25,1 vs. 30,9 Monate: 19). Unter T-DM1 traten wenige, schwerwiegende Nebenwirkungen auf und es gilt daher als neuer Standard in der Zweitlinientherapie des HER-2-positiven metastasierten Mammakarzinoms.
Für Bevacizumab (Avastin) wurde nach anfänglicher Euphorie doch eine nunmehr nüchterne Positionierung in der Therapie vorgenommen. Es verbleibt nur mehr der primäre Einsatz von Bevacizumab in Kombination mit Paclitaxel oder Capecitabin, der beim metastasierten Mammakarzinom im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie das Ansprechen verbessert und die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung verlängert.
Zusammenfassung
In der Therapie des Mammakarzinoms steht weiterhin die operative Therapie im Zentrum der Behandlung. Allerdings haben Ergebnisse mit zahlreichen - auch rezent eingeführten - biologischen Medikamenten zu einer deutlichen Verbesserung des Ansprechens von Tumoren geführt, weshalb primär systemische und adjuvante Therapieformen ihren Platz gefunden haben. Insgesamt ist die Therapie des Mammakarzinoms heute mehr denn je interdisziplinär und erfordert umfassende Kenntnis auch der neuesten Leitlinien. Aus diesem Grund wird die Behandlung von Patientinnen mit Mammakarzinom in zertifizierten Brustgesundheitszentren empfohlen. In Deutschland ist dies bereits nahezu vollständig umgesetzt. Auch in Österreich werden heute etwa zwei Drittel aller Patientinnen mit Mammakarzinom an zertifizierten Brustgesundheitszentren behandelt.
Literatur
(1) Lancet 386,1341,2015
(2) Lancet 379,432,2012
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(5) Lancet Oncol 11,1135,2010
(6) NEJM 371,107,2014
(7) Lancet 381,805,2013
(8) Nat Rev Clin Oncol 7,22,2010
(9) Ann Oncol 26,313,2015
(10) Lancet Oncol 15,997,2014
(11) Lancet 386,433,2015
(12) SABCS 2015,Abstract
(13) Lancet Oncol 15,156,2014
(14) Endocrine-Related Cancer 21,R31,2014
(15) Lancet Oncol 16,25,2015
(16) Breast Care 4,367,2009
(17) Lancet 377,914,2011
(18) NEJM 372,724,2015
(19) NEJM 367,1783,2012
Blutdruckwerte bei Hochdrucktherapie “SPRINT Starts the Marathon”
So lautet der Titel eines Editorials (1) zur SPRINT (Systolic Pressure Intervention Trial) Studie (2). Was steckt dahinter?
Bei unserer rezenten Diskussion (Pharmainfo XXIX/3/2014) zur Hochdrucktherapie stellten wir fest, dass mehrere Guidelines (Kanada, USA, Europa: 3-6) weniger rigorose Richtwerte zur Blutdrucksenkung bei Hochdruck-PatientInnen angeben: Generell zwar 140/80 mm Hg, für ältere PatientInnen (über 60: 3, über 80: 4-6) aber 150/90 und für DiabetikerInnen 140/90, und nicht wie bisher 130/80. Diese Empfehlungen beruhten unter anderem auf der Accord Studie (7), in der eine stärkere Blutdrucksenkung keine statistisch signifikanten Vorteile brachte.
Die neue Studie SPRINT (2) dürfte nun aber zu einer weiteren Neubewertung führen. In dieser Studie wurde bei 9.361 nicht-diabetischen PatientInnen mit erhöhtem Blutdruck (> 130 mm Hg) und kardiovaskulärem Risiko eine Senkung des RR entweder auf weniger als 120 mm Hg (intensive Therapie) bzw. weniger als 140 mm Hg angestrebt (tatsächlich erreicht 121,5 versus 134,6). Um diese stärkere Senkung zu erzielen, waren im Mittel 2,8 versus 1,8 Medikamente notwendig. Einschlusskriterien waren: klinische oder subklinische kardiovaskuläre Erkrankungen (nicht Schlaganfall), chronische Nierenerkrankung, ein 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen von zumindest 15% laut Framingham oder ein Alter über 75 Jahre. Der primäre Endpunkt war die Rate an Ereignissen eines zusammengesetzten Parameters aus Herzinfarkt, akutem Koronarsyndrom, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und kardiovaskulärem Tod. Nach 3,26 Jahren wurde die Studie vorzeitig beendet, da der primäre Endpunktparameter für die intensive Therapie bereits signifikant bessere Ergebnisse brachte, nämlich 5,2% versus 6,8% für die weniger intensive Therapie (HR = 0,75; CI 0,64 – 0,89), was eine NNT für 3 Jahre von 60 ergibt. Für PatientInnen über 75 Jahren, die 28% der Gesamtpopulation (Durchschnittsalter: 67,9 Jahre) repräsentierten, betrug die NNT nur 45. Von den Einzelkomponenten des Primärparameters waren alle mehr oder weniger (HR 0,57 - 0,89) gesenkt außer dem akuten Koronarsyndrom (HR 1,0). Auch die Gesamtmortalität war niedriger (HR = 0,73; CI 0,6 – 0,9).
Die intensive Blutdrucksenkung führte zu einer erhöhten Rate von einigen Nebenwirkungen: zu Hypotension (2,4% versus 1,4%), Synkopen (2,3% versus 1,7%), aber nicht orthostatischer Hypotension und Stürzen, zu Hyponatriämie und Hypokaliämie (HR 1,76 bzw. 1,5). Auch akutes Nierenversagen war häufiger (4,4% versus 2,6%; HR 1,71).
Bei PatientInnen, die am Beginn der Studie keine chronische Nierenerkrankung hatten, sank die glomeruläre Filtrationsrate ab (30% Senkung der eGFR bei 1,21% versus 0,35%), bei PatientInnen mit chronischer Nierenerkrankung war dies nicht der Fall.
Insgesamt also sehr klar positive Resultate für eine intensivere RR-Senkung, die allerdings im Widerspruch zur Accord Studie zu stehen scheinen, die eine analoge Frage untersuchte, aber keinen statistisch signifikanten Unterschied fand. In dieser Studie wurden 4.733 PatientInnen (mit Diabetes, in der SPRINT Studie ausgeschlossen, Durchschnittsalter: 62,2 Jahre) für 4,7 Jahre behandelt. Nach einem Jahr war der Blutdruck nach Intensivtherapie 119,3 mm Hg, in der anderen Gruppe 133,5 mm Hg. Der Primärparameter bestand aus Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulärem Tod. Die jährliche Rate in der Intensivgruppe war 1,87% versus 2,09% in der anderen. Dies ergibt eine statistisch nicht unterschiedliche HR von 0,88 (CI 0,73 – 1,06). Für die Einzelkomponenten war Herzinfarkt numerisch (0,87; CI 0,68 – 1,2), Schlaganfall signifikant (HR 0,59; CI 0,39 – 0,89) gesenkt. Für kardiovaskuläre und totale Mortalität war die HR 1,07 bzw. 1,06, für Herzinsuffizienz 0,94 (CI 0,79 – 1,12).
Auf den ersten Blick ist zwischen SPRINT und Accord keine klare Übereinstimmung zu sehen. Aber analysieren wir die Daten etwas genauer. In beiden Studien kommt es für Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall zu einer Senkung mit der intensiven Therapie, für Herzinsuffizienz signifikant in der SPRINT Studie, für Schlaganfall signifikant in der Accord Studie. Wenn man diese Daten der beiden Studien im Sinne einer Metaanalyse kombiniert (siehe 1), dann sind Schlaganfall und Herzinsuffizienz signifikant, Herzinfarkt deutlich numerisch gesenkt. Zu einer Senkung kommt es auch in beiden Studien für den Primärparameter, der allerdings in der Accord Studie Herzinsuffizienz nicht einschloss. In der Accord Studie war der Primärparameter um 12% reduziert (HR 0,88; CI 0,73 bis 1,06). Dieses Konfidenzintervall schließt die 25% Reduktion des Primärparameters der SPRINT Studie noch mit ein.
Eine Rolle könnte auch das höhere Alter der PatientInnen in der SPRINT Studie (28% über 75 Jahre, Durchschnittsalter 67,9 versus 62,2 in Accord) gespielt haben. So war der Primärparameter bei den PatientInnen über 75 Jahren um 33% versus 20% unter 75 Jahren gesenkt. Ähnliches gilt auch für die Mortalität (32% versus 23%). Es gibt keine Hinweise dafür, dass der Ausschluss von Diabetes-PatientInnen in der SPRINT Studie die Daten beeinflusst haben könnte. Diese Argumente relativieren (siehe auch 1) die Unterschiede zwischen beiden Studien. Auf jeden Fall ist zu betonen, dass der SPRINT Studie mit doppelt so hohen PatientInnenzahlen (9.361 versus 4.733) eine höhere Verlässlichkeit zugeschrieben werden kann.
Schlussfolgerungen
Einige Diskussionspunkte für die nun zu adaptierenden Leitlinien zur Hochdrucktherapie seien angeführt.
Die erst kürzlich propagierten höheren Blutdruckzielwerte (150 mm Hg) für ältere PatientInnen sind nicht mehr vertretbar.
Die vorliegenden Daten sprechen sogar dafür, dass für ältere PatientInnen (ab 75 Jahren) aber auch für alle Hypertoniker mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko (siehe SPRINT Studie) eine Blutdrucksenkung unter 140 mm Hg anzustreben ist. Da Diabetes-PatientInnen ebenfalls ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben, gibt es keinen zwingenden Grund sie auszuschließen.
Die Formulierung „eine Senkung unter 140 mm Hg ist anzustreben“ wurde bewusst gewählt und nicht die Forderung für eine Senkung auf 120 mm Hg (siehe auch 8-10). Zumindest zwei Argumente unterstützen derzeit eine gewisse Zurückhaltung:
(i) Die gesamten vorliegenden Daten sind nach wie vor heterogen (11), sodass ein völliger Wechsel von relativ hohen Blutdruckzielwerten (150/140) zu stark erniedrigten Werten (120) derzeit kontroversiell erscheint. Zum Beispiel kann man nicht Resultate retrospektiver Studien als nicht existent betrachten. So fand eine rezente Auswertung von Daten von 398.419 PatientInnen (siehe 12) neuerlich, dass eine Blutdrucksenkung auf 120 mm Hg und darunter mit einer höheren Mortalität als eine Senkung auf 130/140 mm Hg verbunden war. Hingegen fand die rezenteste Analyse (13) von 123 randomisierten prospektiven Studien (einschließlich SPRINT) mit über 600.000 PatientInnen, dass eine jeweilige Senkung des systolen Blutdrucks um 10 mm Hg linear zur Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte führt und dies unabhängig vom Ausgangsblutdruck erfolgte, daher auch bis unter 120 mm Hg.
Derzeit ist auch nicht abzusehen, welche praktisch klinische Relevanz die in der SPRINT Studie beobachtete höhere Rate (immerhin 4,4%) für akutes Nierenversagen hat (die wohl primär als Konsequenz von Arzneimittelnebenwirkungen durch Verwendung von mehr Präparaten in intensivierten Therapieformen zu sehen ist).
(ii) Bei unserer rezenten Diskussion (Pharmainfo XXIX/3/2014) der Hochdrucktherapie haben wir betont, dass die Compliance der PatientInnen einen entscheidenden Faktor für den Erfolg einer Therapie darstellt. Eine stärkere RR-Senkung kann zu subjektiven Beschwerden wie Müdigkeit, Schnwindel und Synkopen, insgesamt zu einem reduzierten Wohlbefinden führen. Es dürfte daher bei PatientInnen mit problematischer Compliance besser sein, den RR nur auf 130 oder 140 mm Hg abzusenken, als durch eine Reduktion auf 120 mm Hg eine schlechtere Compliance mit der Folge von letztlich viel höheren RR-Werten auszulösen. Diese kurze Diskussion soll zeigen, dass offensichtlich noch weitere Studien notwendig sind, um das Ausmaß einer Senkung der jetzigen empfohlenen RR-Zielwerte festzulegen.
Ein schneller SPRINT reicht offensichtlich nicht aus. Jetzt beginnt der langwierige Marathon mit weiteren notwendigen Studien, mit einer ausführlichen Diskussion der Fachgesellschaften für die Verfassung neuer Guidelines und mit einer individuellen, noch intensiveren als bisher notwendigen Führung der PatientInnen und damit sind wir beim eingangs (1) zitierten Editorial „SPRINT starts a marathon effort“.
Literatur
(1) NEJM 373,2175,2015
(2) NEJM 373,2103,2015
(3) JAMA 311,507,2014
(4) Can J Card 29,528,2013
(5) J Hypert 31,1281,2013
(6) J Clin Hyp 16,14,2014
(7) NEJM 362,1575,2010
(8) NEJM 373,2093,2015
(9) Hypertension 67,266,2016
(10) Hypertension 67,261,2016
(11) PLOS Med 9,e1001293,2012
(12) J Am Coll Cardiol 64,588,2014
(13) Lancet 23 Dez.2015 online (D. Ettehad)
Ovarialkarzinom und postmenopausale Hormontherapie (HT)
Seit längerem (siehe Pharmainfo XVII/3/2002) ist bekannt, dass eine kombinierte HT mit Östrogenen und Gestagenen neben kardiovaskulären Komplikationen das Mammakarzinomrisiko erhöht, und zwar kommt es zu 8 zusätzlichen Tumoren bei 10.000 Frauen pro Jahr. Als Folge dieser Erkenntnis kam es zu einem starken Abfall der Verschreibung dieser Hormone und parallel dazu auch zu einem reduzierten Auftreten von Mammakarzinomen (z.B. minus 9,6% in Kanada: siehe Pharmainfo XXVI/3/2011). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die alleinige Gabe von Östrogenen, die allerdings nur bei Hysterektomie-Patientinnen wegen des Risikos des Endometriumkarzinoms möglich ist, zu keiner Erhöhung des Mammakarzinomrisikos führt.
Auch für ein erhöhtes Ovarialkarzinomrisiko liegen seit längerem für die kombinierte HT Daten vor (1). Rezente Studien haben dies aktualisiert. Eine Analyse (2) von 52 epidemiologischen (davon 17 prospektive) Studien (12.100 postmenopausale Frauen) ergab für current HT user (< 5 Jahre) ein Risiko von 1,43 (CI 1,11 – 1,56) und zwar für die serösen und endometroiden Tumortypen. Nach Beendigung der Therapie sank das erhöhte Risiko nur langsam ab, auch nach 10 Jahren betrug es noch 1,25 (CI 1,07 – 1,46). Nach 5 Jahren HT war ein zusätzlicher Fall eines Ovarialkarzinoms für 1.000 Frauen zu verzeichnen. Ein relativ geringes Risiko - für eine Betroffene mit einem zusätzlichen Tumor (mit einer leider noch immer hohen Mortalität) ist diese statistische Aussage nicht hilfreich.
Auch für das Ovarialkarzinom zeigte sich parallel mit der Abnahme der HT-Verschreibung eine Senkung des Auftretens dieses Tumors (3). Auch diese neuen Daten bestätigen die Empfehlung für eine strenge Indikationsstellung zur HT und für eine möglichst kurze Therapiedauer.
Literatur
(1) Lancet 369,1703,2007
(2) Lancet 385,1835,2015
(3) J Clin Onc 31,2146,2013
Update: Arzneitherapie der Entwöhnungsbehandlung bei Alkoholabhängigkeit (Neu: Nalmefen: Selincro)
Für die arzneitherapeutische Unterstützung einer Alkoholentwöhnung in der Postakutphase nach Detoxifikation in Form eines Gesamtkonzepts (kombiniert mit psychosozialen therapeutischen Maßnahmen) stehen vor allem Naltrexon (Revia, Dependex, Ethylex, Naltrexon Hexal), Acamprosat (Campral) und Disulfiram (Antabus) zur Verfügung. Aufgrund der Neuzulassung von Nalmefen (Selincro) zur Therapie Alkoholabhängiger fassen wir den Stellenwert dieser Therapieoptionen zusammen.
Im Vordergrund einer pharmakologischen Therapie steht jedenfalls der Erhalt kontinuierlicher Abstinenz und Reduktion von Alkoholkonsum als intermediäres Ziel auf dem Weg zu voller Abstinenz (EMA Guideline on alcohol dependence, 2010).
Acamprosat vermindert den Anstieg des Neurotransmitters Glutamat im Gehirn während des Alkoholentzugs im Tier und beim Menschen, vermutlich durch antagonistische Wirkung an metabotropen Glutamatrezeptoren (mGluR5: 1).
Naltrexon und Nalmefen (chemisch geringfügig modifiziertes Naltrexon) wirken als Opioidrezeptorantagonisten und hemmen damit die Aktivierung von Opioidrezeptoren durch Endorphine, welche erwünschte und euphorisierende Wirkungen von Alkohol vermitteln und im dopaminergen mesolimbischen System Belohnungs- und Reinforcementmechanismen kontrollieren.
Die im Rahmen der Zulassungsstudien berichtete Wirksamkeit bezüglich Erreichung von Abstinenz durch Acamprosat und Naltrexon (siehe Pharmainfo XII/3/1997) wurde in weiteren Placebo-kontrollierten Studien untersucht und in rezenten Metaanalysen bestätigt. In den Acamprosat-Studien (16-18 randomisierte, kontrollierte Studien; > 4800 PatientInnen mit begleitender psychosozialer Intervention; Studiendauer > 12 Wochen: 2,3) wurde in der Placebo-Gruppe in etwa 20% der PatientInnen abstinentes Trinkverhalten beibehalten, der Rest wurde rückfällig oder brach die Studie ab. Acamprosat steigerte den Anteil abstinenter PatientInnen um etwa 10%. Somit betrug die Anzahl zu behandelnder Abstinenter, die behandelt werden müssen, um einen zusätzlichen Rückfall zu verhindern (number needed to treat: NNT) 9 – 12 (2,3). Die reduzierte Rückfallrate bestand auch 3 – 12 Monate nach Absetzen der Medikation (NNT 12,5: 2). Diarrhoe und vermehrte Angst (number needed to harm: NNH = 7 - 12) waren die wichtigsten Studienmedikation-bedingten unerwünschten Wirkungen (2,3).
In Metaanalysen derselben AutorInnen von ähnlich konzipierten Studien mit Naltrexon (3,4) war der Effekt auf Abstinenzerhaltung geringer (NNT = 20 bzw. in einer Studie nicht signifikant: 3,4). Rückfälle zu schwerem Trinken wurden allerdings von Naltrexon besser verhindert (NNT 9 – 12) als von Acamprosat (3,4). Auch diese Wirkung von Naltrexon ließ sich über den Behandlungszeitraum hinaus nachweisen (4). Insgesamt scheint daher Naltrexon besser auf Verhinderung von schwerem Trinkverhalten und Craving zu wirken (5). Die unerwünschten Wirkungen von Naltrexon waren gastrointestinale (wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen) und zentralnervöse Beschwerden (wie Müdigkeit, Schlafstörungen, Libidoverlust). Diese Metaanalysen belegen auch die hohen, nicht durch die Studienmedikation bedingten Drop-out-Raten in solchen Studien (30-50%).
Metaanalysen der wenigen direkten Vergleichsstudien lassen keine therapeutisch relevanten Unterschiede zwischen Acamprosat und Naltrexon erkennen (2-4). Acamprosat ist bei schwerer Niereninsuffizienz kontraindiziert, Naltrexon bei akuten und chronischen Störungen der Leberfunktion und gleichzeitiger Opioidtherapie oder Abusus (cave: Auslösung einer Entzugssymptomatik).
Insgesamt besteht somit eine gute Evidenz für eine bescheidene therapeutische Wirkung von Acamprosat und Naltrexon zusätzlich zu psychosozialer Intervention.
Nalmefen (Selincro) ist seit Februar 2013 in der EU registriert. Im Gegensatz zu einer Behandlung mit Acamprosat und Naltrexon, welche hauptsächlich auf eine Aufrechterhaltung einer Abstinenz bzw. eine Reduktion des Rückfallrisikos abzielt, soll Nalmefen die Reduktion der Alkoholaufnahme unterstützen. Entsprechend der in den Zulassungsstudien untersuchten PatientInnenpopulation wird es verwendet für die Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen PatientInnen mit Alkoholabhängigkeit, deren Alkoholkonsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet, bei denen keine körperlichen Entzugserscheinungen vorliegen und für die keine sofortige Entgiftung erforderlich ist. Laut Fachinformation sollte Nalmefen nur in Verbindung mit kontinuierlicher psychosozialer Unterstützung, die auf Therapieadhärenz und eine Reduktion des Alkoholkonsums zielt, verschrieben werden. Die Behandlung mit Nalmefen sollte nur bei PatientInnen eingeleitet werden, deren Alkoholkonsum sich 2 Wochen nach einer initialen Untersuchung weiterhin auf einem hohen Risikoniveau befindet. Im Gegensatz zu Acamprosat und Naltrexon wird Nalmefen bei Bedarf gegeben, nur an Tagen, an denen die PatientInnen den Drang verspüren Alkohol zu trinken, und möglichst 1-2 Stunden vor Alkoholkonsum.
Die Zulassung erfolgte aufgrund von drei randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien mit begleitender psychosozialer Unterstützung. Zwei der Studien untersuchten die Wirksamkeit nach 24 Wochen. Co-primäre Endpunkte waren die Anzahl der Tage schweren Trinkens und Alkoholkonsum über 28 Tage. In der gesamten Studienpopulation waren die Ergebnisse aber von fraglicher klinischer Relevanz und von nicht-konsistenter statistischer Signifikanz zwischen den beiden Studien. Erst aufgrund einer post-hoc Subgruppenanalyse (6) mit Hinweisen robusterer Wirkungen bei PatientInnen mit hohem oder sehr hohem Risiko für Alkoholkonsum, anerkannte die Mehrheit (aber nicht alle) der Mitglieder des CHMP der EMA einen ausreichenden therapeutischen Nutzen. Die klinische Relevanz des beobachteten Nutzens nach 6 Monaten (Reduktion der Anzahl der monatlichen Tage mit schwerem Trinken von ca. 22 Tagen um etwa 12,5 mit Nalmefen und um etwa 9 in der Placebo-Gruppe; Alkoholkonsum entsprechend etwa 1 kleines Bier pro Tag weniger im Vergleich zu Placebo) ist jedoch unklar (7). Es gibt auch keine Daten, dass etwas weniger Alkoholkonsum zu einer relevanten Verbesserung der sozialen und gesundheitlichen Situation führt. Für Nalmefen wurde bisher auch nicht nachgewiesen, dass die dadurch erreichte Reduktion des Alkoholkonsums bei diesen schweren TrinkerInnen mittelfristig eine erfolgreiche Abstinenz begünstigt. Letztlich sollte aber einer abstinenzorientierten Therapie der Vorzug gegeben werden.
Wie bei Naltrexon treten unerwünschte gastrointestinale und ZNS-Wirkungen auf (EMA: EPAR, Selincro), obwohl Langzeitsicherheitsdaten für Nalmefen noch fehlen.
Im Gegensatz zu den anderen Wirkstoffen beeinflusst Disulfiram nicht das Alkoholverlangen, sondern erzeugt Alkoholunverträglichkeit bei gleichzeitiger Gabe (Akkumulierung von Acetaldehyd mit entsprechend unangenehmen vegetativen Symptomen). Es wirkt somit über die Erwartung der aversiven Alkoholwechselwirkung und nicht über einen von Alkohol unabhängigen Effekt. Dies erschwert die Quantifizierung seines Nutzens in verblindeten Studien ("Erwartung" auch in der Placebo-Gruppe). Seine klinisch relevante Wirkung gilt vor allem bei supervidierter Einnahme (Compliance!) als gesichert (8). Aufgrund seines Risikoprofils (individuell ausgeprägte Unverträglichkeitssymptomatik, selten schwere toxische Hepatitiden, Stevens-Johnson-Syndrom und Laktatazidose) eignet sich Disulfiram zur Zweitlinientherapie vor allem bei PatientInnen mit gesicherter Abstinenz und hoher Motivation, diese aufrecht zu erhalten, nach genauer Aufklärung über seine Wirkung und gesicherter Compliance (supervidierte Therapie).
Fazit: Für Naltrexon und Acamprosat ist eine bescheidene, aber klinisch relevante Wirkung zur Aufrechterhaltung von Abstinenz als Unterstützung psychosozialer Maßnahmen durch unabhängige Metaanalysen zahlreicher Studien gut belegt. Naltrexon ist möglicherweise besser geeignet zur Behandlung von PatientInnen, bei denen hauptsächlich die Verhinderung der Rückkehr zu schwerem Alkoholkonsum angestrebt wird, während Acamprosat zum Erreichen völliger Abstinenz vorteilhafter scheint. Disulfiram eignet sich bei ausgewählten PatientInnen als Zweitlinientherapie.
Das Therapiekonzept mit Nalmefen scheint höchstens zur Therapie von PatientInnen geeignet, die trotz wiederholten Bemühens Abstinenz nicht erreichen und eine abstinenzorientierte Therapie ablehnen. Eine klinisch relevante Wirkung erscheint derzeit aber fraglich.
Bei der Alkohol- sowie bei der Nikotinsucht (siehe Pharmainfo XXVIII/3/2013) handelt es sich um Erkrankungen mit hoher Mortalität. Wenn es gelingt, mit Naltrexon und Acamprosat einige PatientInnen davon zu befreien, ist dies zu begrüßen, auch wenn bessere Medikamente für diese Volkskrankheiten dringend benötigt werden.
Literatur
(1) Brit J Clin Pharmacol 77,315,2014
(2) Cochrane Database Syst Rev CD004332,2010
(3) JAMA 311,1889,2014
(4) Cochrane Database Syst Rev CD001867,2010
(5) Addiction 108,275,2013
(6) Alcohol Alcohol 48,570,2013
(7) Drug Ther Bull 52,54,2014
(8) Alcohol Alcohol 43,53,2008
Ezetimib (Ezetrol, Inegy) revisited
Wir haben für diese Substanz berichtet (Pharmainfo XXX/1/2015), dass erst viele Jahre nach der Zulassung eine kardiovaskuläre Endpunktstudie durchgeführt wurde. In dieser Improve-it Studie (1) wurde Simvastatin mit oder ohne Ezetimib verglichen. Die Kombination senkte den LDL-Cholesterinspiegel von 69 mg/dl auf 54 mg/dl. Für den Primärparameter kardiovaskulärer Ereignisse kam es zu einer Senkung von 34,7 auf 32,7 (NNT = 50 für 7 Jahre), aber nur durch Senkung von Schlaganfällen und Herzinfarkten, aber nicht von kardiovaskulärer Mortalität. Wir stellten zu diesen Daten fest, dass bei nicht ausreichender Wirkung von Simvastatin (Generika, Zocord) ein Wechsel zu stärker wirksamen Statinen wie Atorvastatin (Generika, Sortis) und Rosuvastatin (Crestor) zweckmäßig ist, da dadurch kardial eine günstigere Wirkung einschließlich Mortalitätssenkung zu erwarten ist. Nur wenn diese stärker wirksamen Statine nicht ausreichend wirken, könnte eine zusätzliche Ezetimib-Gabe vertretbar sein. Allerdings gilt festzuhalten, dass die Reduktion der Primärereignisse durch die Kombinationstherapie nur bei PatientInnen mit Diabetes festzustellen war (relative Reduktion nach sieben Jahren um 5,5%), während dieser Effekt für PatientInnen ohne Diabetes nicht nachweisbar war (relative Reduktion 0,7%: 1). Es hat aber auch Kommentare gegeben, die die Resultate dieser Studie sehr positiv bewerteten (2).
Vor kurzem hat hingegen die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft Folgendes festgestellt (3):
Zum primären Endpunkt der Improve-it Studie: „Er bestand aus der Ereigniskombination von kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall, stationärer Aufnahme aufgrund von instabiler Angina, Koronarinterventionen sowie Herzinfarkt. In der Ezetimib-plus-Simvastatin-behandelten Gruppe war die Rate kardiovaskulärer Ereignisse in sieben Jahren um 2% niedriger (32,7% vs. 34,7%) als unter Simvastatin alleine. Damit ist das Ausmaß des Effekts bescheiden: 50 Patienten müssen sieben Jahre Ezetimib einnehmen, damit bei einem von ihnen ein kardiovaskuläres Ereignis weniger auftritt (number needed to treat: NNT = 350/Jahr). Noch bedenklicher: Als Infarkte wurden auch reine Enzymanstiege nach koronaren Revaskularisationen gewertet, was nach aktueller Definition nicht als sicherer Herzinfarkt zu werten ist (3). Und ausgerechnet nur diese unsichere Einzelkomponente des kombinierten Endpunkts zeigte in der differenzierten Auswertung der Einzelkomponenten des primären Endpunktes eine signifikante Verringerung durch Ezetimib (13,1% vs. 14,8%; NNT = 412/Jahr). So ist es nicht verwunderlich, dass weder die gesamte noch die kardiovaskuläre Mortalität durch zusätzliches Ezetimib beeinflusst wurden (15,4% vs. 15,3% bzw. 6,9% vs. 6,8%). Zur Zeit ist weiter vom Einsatz der teuren und in ihrem therapeutischen Stellenwert unklaren Substanz Ezetimib abzuraten“.
In den USA sprach sich ein Beratungsgremium für die FDA dagegen aus, dass die Firma für Inegy eine Senkung der Herzinfarkte und Schlaganfälle propagieren könnte: „The evidence did not demonstrate a clinically significant effect“ (4).
Literatur
(1) NEJM 372,2387,2015
(2) DMW 140,761,2015
(3) Arzneiver i. d. Praxis 42,176,2015
(4) DIA Daily Dez 15,3,2015
Conflict of interests bei Metaanalysen
Wir haben uns dafür ausgesprochen (Pharmainfo XXVIII/3/2013, XXX/3/2015), dass Metaanalysen zu Medikamenten, bei denen subjektive Kriterien, z.B. bei der Auswahl der Studien, eine Rolle spielen können, nur von AutorInnen aus firmenunabhängigen Institutionen und ohne conflict of interests verfasst werden sollten. Wie relevant diese Forderung ist, zeigt eine rezente Studie (1), deren Titel schon das Resultat skizziert: Metaanalyses with industry involvement are massively published and report no caveats for antidepressants. In Zahlen ausgedrückt: In Metaanalysen für Antidepressiva von einem/einer firmenangestellten Autor/Autorin finden sich negative Aussagen über diese Medikamente 22mal seltener als in unabhängigen Metaanalysen (1 von 54: 2%, versus 57/131: 44%).
Ein konkretes Beispiel von 2 Metaanalysen zur gleichen Substanz (Hydroxyethylstärke: HES 130/0,4) sei im Folgenden analysiert:
In einer 2014 veröffentlichten Metaanalyse (2) von randomisierten, kontrollierten Studien stand als Schlussfolgerung: „HES hat im Vergleich zu anderen Volumentherapeutika keine nachteiligen Wirkungen auf Blutverlust, Transfusionsbedarf und Krankenhausaufenthaltsdauer“. Wie entstand diese Metaanalyse?
Wie am Textende dieser Publikation angeführt ist, war ein HES-Hersteller der Frage nach unerwünschten Wirkungen seines HES-Produktes auf die Blutgerinnung im perioperativen Einsatz nachgegangen, um für den Pharmakovigilanz-Ausschuss für Risikobewertung (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) Auflagen nach Artikel 31 und Artikel 107i des Verfahrens zu erfüllen. Zuvor hatte die EMA den breiten Einsatz von HES in der Volumentherapie stark eingeschränkt und die Herstellerfirmen verpflichtet, zusätzliche Sicherheitsbeweise für die verbliebenen Indikationen zu erbringen. Die Metaanalyse war dafür im Auftrag des Herstellers von einer wissenschaftlichen Beraterfirma (M.A.R.C.O.) erstellt und der EMA vorgelegt worden. Die AutorInnen der publizierten Metaanalyse schreiben: „The statistical analysis conducted by M.A.R.C.O. was provided by the company to the authors, who have written this manuscript independently” (2). Die AutorInnen verwendeten also eine Datenanalyse der Firma, um dann “unabhängig” ein Manuskript zu verfassen.
In einer früheren Metaanalyse zur Verwendung von HES als Volumentherapeutikum in der Herzchirurgie war 2012 hingegen gezeigt worden, dass allen HES-Produkten eine Steigerung des postoperativen Blutverlusts, des Bedarfs an transfundierten Blutprodukten und der Notwendigkeit von Reoperationen zugeschrieben werden muss (3). Die US Food and Drug Administration (FDA) hatte deswegen unter Berufung unter anderem auf diese Metaanalyse eine Sicherheitswarnung wegen exzessiver Blutungen als Klasseneffekt aller HES-Lösungen herausgegeben (boxed warning for the use of hydroxyethyl starch solutions: 4). Die AutorInnen der Metaanalyse aus 2012 sind der Frage nachgegangen, wie es sein konnte, dass die oben diskutierte Metaanalyse bei gleicher Fragestellung zu gegensätzlichen Ergebnissen kommt. Die Antwort waren nicht etwa neu erschienene Studienpublikationen, sondern dass grobe methodische Mängel für das Verschwinden der Sichtbarkeit stärkerer Blutverluste unter HES 130/0,4 verantwortlich gemacht werden müssen (5). Aus den verschiedenen Mängeln sticht besonders hervor, dass eine Studie ausgeschlossen worden ist, welche die Herstellerfirma selbst durchgeführt und der FDA für die Erstzulassung ihres Produkts in den USA vorgelegt hatte (zitiert in 3). Die unveröffentlichte Studie könnte bewusst ausgelassen worden sein, obwohl sie ja den AutorInnen bekannt gewesen sein muss, war sie doch an deren Institution durchgeführt worden und nicht nur in der vorhergehenden Metaanalyse (3), sondern auch in einer früheren Metaanalyse zur Verwendung von HES in der großen Bauchchirurgie enthalten [6, darin Studiennummer HS-13–24-DE].
Die zwangsläufige Folge von derart selektiver Datenanalyse und -präsentation ist, dass potentielle Nebenwirkungen von HES in der perioperativen Verwendung verharmlost wurden.
Zusammenfassung
Die obige Diskussion zeigt, dass Metaanalysen je nach Firmen-Ab- bzw. -Unabhängigkeit konträre Resultate bringen können. Aufgrund dieser und ähnlicher Daten in der Literatur muss man bei firmenabhängigen Metaanalysen nicht von einer Unschuld, sondern Schuldvermutung ausgehen.
Literatur
(1) J Clin Epid 70,155,2016
(2) Crit Care 18,656,2014
(3) J Thorac Cardiovasc Surg 144,223,2012
(4) FDA safety communication 2013
(5) Crit Care 19,187,2015
(6) Anesth Analg 107,382,2008
Phenylephrin in oralen Schnupfenmitteln
Der Medical Letter (1) berichtet über 2 Studien, die im Auftrag der FDA zur Frage der Wirksamkeit von oralem Phenylephrin bei „verstopfter Nase“ durchgeführt wurden. In beiden Studien war Phenylephrin bei PatientInnen mit allergischer Rhinitis in Dosen von bis zu 60 mg auf den Primärparameter („subjective nasal congestion score“) nicht besser wirksam als Placebo (2,3). Signifikante Steigerungen des Blutdrucks traten nicht auf, hierzu sind offensichtlich höhere Dosen notwendig. Eigentlich sagt bereits der pharmakologische Hausverstand, dass oral gegebene gefäßverengende Mittel, wenn sie die Nasengefäße effektiv verengen, über andere Gefäßgebiete den Blutdruck steigern müssten (tun sie letzteres nicht, ist auch keine Wirkung auf die Nasengefäße zu erwarten). Eine lange Liste von Phenylephrin-bestimmten Anwendungseinschränkungen, einschließlich häufiger Erkrankungen wie Hypertonie, Prostatahypertrophie, organische Herz- und Gefäßverengungen und Therapie mit Betablockern ist Ausdruck dieser möglichen systemischen Wirkungen. In diesem Fall bestätigt die wissenschaftliche Evidenz diese Annahme. Der Medical Letter stellt lapidar fest: „Oral phenylephrine is not effective for treatment of nasal congestion“. In den USA wird die FDA jetzt orale Phenylephrin-Präparate wohl vom Markt nehmen.
In Österreich sind Mexalen Complex 500 mg/12,2 mg Pulver (Paracetamol plus Phenylephrin), Influbene Erkältungsgetränk (mit Paracetamol, Phenylephrin und Guaifenesin) und Neocitran Pulver für Erwachsene (mit Paracetamol, Pheniramin und Phenylephrin) registriert. Die empfohlenen Dosen ergeben pro Tag eine Gabe von 30 - 40 mg Phenylephrin. Auch ein vielversprechender Name („bene“) kann nicht die klinische Evidenz ersetzen.
Literatur
(1) Medical Letter 57,174,2015
(2) J All Clin Imm Pract 3,702,2015
(3) Ann Allergy Asthma Immunol 116,66,2016
Noch einmal: Dipyridamol plus Acetylsalicylsäure (Asasantin)
Wir haben für dieses Kombinationspräparat zur sekundären Prävention von Schlaganfällen berichtet (Pharmainfo XXVIII/3/2013), dass es verglichen mit Acetylsalicylsäure (ASS) nicht besser wirkt, aber zu mehr Nebenwirkungen (schwere Blutungen) und Therapieabbrüchen (vor allem wegen Kopfschmerzen) führt (siehe auch Stellungnahme des Deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit: IQWIG). Im Jahre 2013 ist in Deutschland die Verabreichung dieses Präparats um 8,5% zurückgegangen (siehe Pharmainfo XXX/1/2015). Im Jahre 2014 hat in Deutschland der Gemeinsame Bundesausschuss einen Verordnungsausschluss von Dipyridamol mit ASS beschlossen, da gegenüber ASS der Zusatznutzen fehlt und ein Beleg für einen größeren Schaden vorliegt (siehe Arzneiverordnungsreport, U. Schwabe, 2015). Demzufolge nahmen in Deutschland 2014 die Verordnungen für die Kombination um 53% ab. Das Monopräparat ASS wird nahezu 50mal häufiger verschrieben (siehe Arzneiverordnungsreport). Es wird interessant sein zu sehen, was sich für Konsequenzen in Österreich ergeben?
P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien
Montag, 7. März 2016
Pharmainformation
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em.Univ.Prof.Dr.
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