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Inhalt

 

Editorial: Generika und Biosimilars

Generika: Wir haben uns in früheren Pharmainformationen (XX/1/2005 und XXI/3/2006) für die Verschreibung von Generika ausgesprochen, da sie einerseits eine gleichwertige Therapie erlauben und andererseits Einsparungen ermöglichen, die dazu beitragen, dass unser Gesundheitssystem finanzierbar bleibt - ein offensichtlich wichtiges Anliegen unserer ärztlichen Tätigkeit.

Wissenschaftliche Analysen unterstützen diese Empfehlung. So hat eine kürzlich publizierte Studie (1) 47 Arbeiten zusammengefasst, in denen die klinische Wirksamkeit und Sicherheit von Generika Präparaten, die im kardiovaskulären Bereich eingesetzt werden, untersucht wurden. Original Präparate und Generika, u.a. auch Medikamente mit geringer therapeutischer Breite wie Antiarrhythmika und Antikoagulantien, erwiesen sich in dieser Studie sowohl bezüglich ihrer Wirkungen als auch ihrer Nebenwirkungen als klinisch gleichwertig.

Es ist erfreulich festzustellen, dass es zwar in der Vergangenheit zahlreiche Versuche (manche Motive hierzu waren offensichtlich) gegeben hat, die Verschreibung von Generika generell zu diskriminieren, inzwischen aber doch eine breite nicht nur wissenschaftliche sondern auch ärztliche Akzeptanz gegeben ist.

Zwei Caveats erscheinen angebracht:

Die für die Zulassung vorgeschriebenen Bioäquivalenzstudien belegen für den Patientendurchschnitt (meist für eine Gruppe von 10 bis 20 Personen), dass Generika und Originator trotz manchmal etwas veränderter Galenik (Zusatzstoffe, Tabletten Zerfallsrate) zu weitgehend identischen Blutspiegeln und deshalb, da ja Originator und Generikum chemisch völlig ident sind, zu gleicher Wirksamkeit führen. Bei Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite, z.B. Antiepileptika oder Immunsuppressiva  nach Organtransplantation wie Cyclosporin (Cicloral Hexal, Neoimmun, Sandimmun) ist vorstellbar, dass selbst minimale Veränderungen der Galenik zu negativen Folgen (z.B. Anfallrezidive, Organabstoßungen) führen können. Wenn bei solchen Medikamenten eine Umstellung vom Originator auf ein Generikum durchgeführt wird, muss der weitere therapeutische Verlauf engmaschig kontrolliert (z.B. auch mit Blutspiegelmessungen) werden. Für eine Neueinstellung sind Originator und Generika auch bei Präparaten mit geringer therapeutischer Breitevöllig gleichwertig, weil diese Einstellung ja durch Dosistitrierung bis zur optimalen Wirkung (oder bis zum gewünschten Blutspiegel) erfolgt.

Generika werden von zahlreichen Firmen angeboten. Manche große Firmen produzieren sowohl Generika als auch Originatorprodukte, manche ausschließlich Generika, aber zahlreiche Produkte und manche kleinere Firmen nur ganz wenige Präparate. Es ist für eine kleine Firma möglich, ein Dossier mit den entsprechenden Unterlagen aufzukaufen, die Zulassung zu beantragen und für die Vermarktung zu sorgen. Ob solche kleine Firmen auch die laufenden Kontrollen, z.B. was die Qualität aller Vorgänge betrifft, ausreichend durchführen können, ist mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Allerdings liegen hierzu unseres Wissens nach keine Studien vor und wir bewegen uns hier im Vermutungsbereich. Aus Sicherheitsgründen dürfte es aber trotzdem bei der Generikaverschreibung zweckmäßig sein, bekannten und größeren Firmen den Vorzug zu geben.

Biosimilars: Biotechnologische Arzneimittel („Biologika“) sind Arzneimittel, die nicht durch chemische Synthese, sondern von Organismen (z.B. Bakterien, Hefen), meist mittels rekombinanter Technologien produziert werden (2). Neben dem komplexeren Herstellungsprozess zeichnen sich Biologika gegenüber synthetisch-chemisch hergestellten Arzneimitteln durch eine Reihe von Charakteristika, wie z.B. höheres Molekulargewicht, komplexe Tertiärstruktur, höhere Thermosensibilität, meist parenteral erfolgende Verabreichung  und höhere Immunogenität aus. Bereits vor über 25 Jahren wurde das erste biotechnologische Arzneimittel, rekombinantes Humaninsulin zugelassen. Heute sind über 100 Biologika, wie zum Beispiel Erythropoetine, Zytokine, G-CSF oder monoklonale Antikörper als Arzneimittel verfügbar.

Mittlerweile gehören die biotechnologischen Produkte Darbepoetin alpha (Aranesp), Epoetin alpha (Erypo) und Etanercept (Enbrel, Kineret) zu den 10 umsatzstärksten Arzneimitteln (3). Mit dem Auslaufen von Patenten für eine Reihe von Biologika (Somatotropin, Erythropoetine, Interferon, G-CSF) kam es, analog der Situation bei Generika, in den letzten Jahren zur Zulassung von Nachfolgepräparaten (4-6). In den USA alleine wird aufgrund von Patentabläufen von einem Einsparungspotential von bis zu 5 Milliarden Dollar ausgegangen (3). In der EU kam es 2006 zur Zulassung eines ersten biolotechnologischen Nachfolgeprodukts für Somatotropin (Omnitrope). In der Folge wurden auch für Erythropoetine (Abseamed, Binocrit, Epoetin alpha Hexal,) und G-CSF (Ratiograstim) Nachfolgeprodukte verfügbar.

Da biologische Nachfolgeprodukte technisch nicht völlig ident mit den Innovatorprodukten sind, wird nicht von „Biogenerika“ sondern von „Biosimilars“ gesprochen. Aufgrund der Komplexität des Herstellungsverfahrens unterliegt der Zulassungsprozess für Biosimilars auch anderen regulatorischen Anforderungen als jener für Generika. Im Gegensatz zu Generika, für die „lediglich“ Bioäquivalenz (d.h. gleiche Blutspiegel) bei Gesunden gezeigt werden muss, müssen für Biosimilars auch Wirksamkeitsdaten und erweiterte Sicherheitsdaten(therapeutische Äquivalenz) vorliegen (Guideline on Similar Biological Medicinal Products: CHMP/437/04). Der Zulassungsprozess ist daher aufgrund klinischer Erfahrung mit den Innovatorprodukten etwas erleichtert, aber weit aufwändiger als der Prozess für Generika.

Biosimilars waren mehrfach Gegenstand von Diskussionen, da bereits minimale Änderungen des Herstellungsprozesses zu Änderungen der Nutzen/Risikoeinschätzung führen könnten. Hintergrund dieser Diskussionen sind u.a. bereits vor 10 Jahren beschriebene Fälle von „Pure Red Cell Aplasia“ nach Gabe eines Erythropoetins nach Änderung des Herstellungsprozesses (6), eine Erfahrung die jedoch auch Anlass für entsprechende Vorsichtsmassnahmen der Behörden, wie verstärkte Pharmakovigilanz-Auflagen, war.   

Die Verfügbarkeit von Biosimilars ist primär aus ökonomischen Überlegungen wünschenswert. Biosimilars sollten jedoch auch dazu führen, dass in Zukunft mehr Patienten/innen mit innovativen biotechnologischen Arzneimitteln behandelt werden können.

Literatur:
(1) JAMA 300,2514,2008
(2) Wien Klin Wochenschr 118,508,2006
(3) N Engl J Med 358,843,2008
(4) Clin Pharmacol Ther 84,633,2008
(5) Nat Rev Drug Discov 7,733,2008
(6) Nat Rev Drug Discov 7,479,2008
(7) Transfusion  48,1754,2008

 

Neue orale Antikoagulantien

Ansgar Weltermann (Krankenhaus der Elisabethinen, Linz)

Vitamin K-Antagonisten sind Mittel der Wahl zur Langzeitprävention venöser und verschiedener arterieller Thromboembolien. Aufgrund der engen therapeutischen Breite, zahlreichen Nahrungs- und Medikamentenwechselwirkungen und damit der Notwendigkeit regelmäßiger INR-Kontrollen wird vor allem seitens der Industrie seit Jahren nach einem pharmakologischen Ersatz für die Vitamin K Antagonisten gesucht. Zwei jeweils synthetisch hergestellte und oral verfügbare Antikoagulantien, Dabigatran und Rivaroxaban, haben kürzlich von der EMEA in der Indikation „Venöse Thromboembolieprophylaxe nach elektivem Knie- oder Hüftgelenksersatz“ die Zulassung erhalten. Diese orthopädische Indikation ist aus mehreren Gründen für eine erste, klinische Evaluierung eines neuen Antikoagulans ideal: (1) die Zahl der operierten Patienten/innen ist hoch (alleine in Österreich werden jährlich ca. 16.000 Hüftoperationen durchgeführt); (2) es kann zunächst Erfahrung mit einer prophylaktischen Dosierung gesammelt werden, bei welcher das Risiko einer schweren Blutung geringer ist als bei einer therapeutischen Dosierung, zumal es für keines der neuen oralen Antikoagulantien ein spezifisches Antidot gibt; (3) die Rate phlebographisch detektierbarer postoperativer Beinvenenthrombosen liegt trotz Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin bei 10 bis 20%. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass der Hauptteil dieser Thrombosen asymptomatisch verläuft (deutlich weniger als 2% der Patienten/innen erleiden eine symptomatische venöse Thromboembolie) und dass der überwiegende Teil auf den Unterschenkel beschränkt bleibt. Die klinische Bedeutung der asymptomatischen Unterschenkelvenen­thrombose ist jedoch sowohl in Bezug auf die Entwicklung einer symptomatischen Thromboembolie als auch auf das Auftreten eines postthrombotischen Syndroms nicht ausreichend untersucht. Aufgrund dieser Tatsache gibt es eine Empfehlung der EMEA Guideline (CPMP/EWP/ 707/98/Rev 1), bei Zulassungsstudien die „schwerwiegenden Venösen Thromboembolien“ als primären (Surrogat-) Endpunkt heranzuziehen, die neben den symptomatischen venösen Thromboembolien und Tod nur die asymptomatischen, proximalen Beinvenenthrombosen inkludieren. Entgegen dieser Leitlinie wurde jedoch in allen unten aufgeführten Zulassungsstudien in dem primären Studienendpunkt die asymptomatische Unterschenkelthrombose inkludiert. Der Endpunkt „Schwerwiegende venöse Thromboembolie“ wurde in allen Studien als sekundärer Hauptendpunkt untersucht. Es ist jedoch anzumerken, dass die Studien vor Veröffentlichung dieser Richtlinie geplant wurden.

Thrombininhibitor Dabigatran

Im März 2008 erhielt der Thrombininhibitor Dabigatran die EU-Zulassung (http://www.ema.europa.eu/humandocs/Humans/EPAR/pradaxa/pradaxa.htm). Die synthetische Prodrug Dabigatranetexilat (Pradaxa) wird im Blut und in der Leber in den aktiven Metaboliten Dabigatran (MW 472 Dalton) umgewandelt. Die Bioverfügbarkeit von Dabigatranetexilat beträgt 6%, nach oraler Einnahme wird nach bereits 2 bis 3 Stunden die Plasmaspitzenkonzentration erreicht. Bei Gesunden beträgt die Halbwertszeit 12-14 Stunden. Dabigatran wird vorwiegend ohne weitere Metabolisierung über die Niere (85%) eliminiert. Dabigatran ist ein Substrat des Transporters P-Glykoprotein. Daher können Inhibitoren des Transporters die AUC von Dabigatran deutlich erhöhen (z.B. Amiodaron). Umgekehrtes gilt für P-Glykoproteininduktoren wie Johanniskraut. Keine Wechselwirkungen sind bei Medikamenten zu erwarten, die über das Cytochrom P450 System metabolisiert werden. Auch wenn Dabigatran zu einem Anstieg verschiedener Gerinnungstests (aktivierte partielle Thromboplastinzeit, Prothrombinzeit) führen kann, gibt es derzeit keinen Routinegerinnungstest, bei welchem eine sensitive und standardisierte Dosis-Wirkungskurve besteht.

Das Phase-III-Studienprogramm für Dabigatran in der Indikation „Primäre Thrombose­prophylaxe nach elektiver Hüft- bzw. Kniegelenksersatzoperation“ beinhaltete 2 Non-Inferiority-Studien (randomisiert, kontrolliert, doppelblind, double-dummy, Parallelgruppendesign), in denen Dabigatran mit der in Österreich zugelassenen Enoxaparindosierung (Lovenox) verglichen wurde. Die Studien führten zu folgender Zulassung: Die Behandlung mit Dabigatranetexilat sollte 1 – 4 Stunden postoperativ begonnen werden (1 Kapsel á 110 mg), die empfohlene Dosis ab dem 1. postoperativen Tag beträgt einmal täglich 220 mg Dabigatranetexilat (2 Kapseln á 110 mg Dabigatranetexilat). Für Patienten/innen, die älter als 75 Jahre sind oder eine moderate Niereninsuffizienz aufweisen, ist eine reduzierte Dosis empfohlen.

In der RE-MODEL-Studiezur Thromboseprophylaxe nach Kniegelenksersatz betrug die Behandlungsdauer nur 6-10 Tage und war damit kürzer als die empfohlene Dauer von mindestens 10 Tagen. Die von der EMEA zugelassene Therapiedauer beträgt 10 Tage. Es fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Dabigatrandosierungen (220 mg bzw. 150 mg) und Enoxaparin in Bezug auf die Gesamtrate venöser Thromboembolien (inklusive asymptomatischer Unterschenkelthrombosen), auf die Rate schwerwiegender venöser Thromboembolien (s.o.), auf die Frequenz schwerer Blutungen sowie anderer Nebenwirkungen, insbesondere Hepatotoxizität (1). In der RE-NOVEL-Studiezur Thromboseprophylaxe nach Hüftgelenksersatz betrug die Behandlungsdauer 28 bis 35 Tage. Es fand sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Dabigatrandosierungen und Enoxaparin in Bezug auf alle primären und sekundären Studienendpunkte (2).

Faktor Xa Inhibitor Rivaroxaban

Im September 2008 erhielt der synthetische Faktor Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto) die EU-Zulassung (http://www.emea.europa.eu/humandocs/Humans/ EPAR/xarelto/xarelto.htm). Die ohne weitere Metabolisierung aktive Substanz hat ein MW von 436 Dalton, die Bioverfügbarkeit beträgt mindestens 80%. Die Plasmaspitzenkonzentration wird 2 bis 4 Stunden nach oraler Einnahme erreicht. Bei Gesunden beträgt die Halbwertszeit 7-11 Stunden. Rivaroxaban wird zu 66% über die Niere und zu 28% hepatobiliär über die Fäzes eliminiert. Es besteht daher nur eine moderate Akkumulation bei Patienten/innen mit Niereninsuffizienz. Eine gleichzeitige Behandlung von Rivaroxaban und Azol-Antimykotika oder HIV-Proteaseinhibitoren ist nicht empfohlen, da diese starke Inhibitoren von CYP3A4 und von P-Glykoprotein sind und die Plasmakonzentration von Rivaroxaban in einem klinisch relevanten Ausmaß erhöhen können. Auch wenn Rivaroxaban zu einem Anstieg verschiedener Gerinnungstests (aktivierte partielle Thromboplastinzeit, anti-Faktor-Xa-Aktivität) führt, gibt es derzeit nur einen spezifischen Routinegerinnungstest, bei welchem eine standardisierte Dosis-Wirkungskurve besteht: Die Prothrombinzeit unter Verwendung von Neoplastin als Reagenz wird dosisabhängig beeinflusst, zu anderen Reagenzien bestehen keine validierten Dosis-Wirkungskurven. Eine Korrelation zwischen der Prothrombinzeit (Neoplastin) und dem Auftreten von Blutungen konnte in den Phase-III-Studien nicht detektiert werden.

Das Phase-III-RECORD-Studienprogramm für Rivaroxaban in der Indikation „Primäre Thrombose­prophylaxe nach elektiver Hüft- bzw. Kniegelenksersatzoperation“ beinhaltete drei Studien (randomisiert, kontrolliert, doppelblind, double-dummy), in denen jeweils einmal täglich 10 mg Rivaroxaban (Beginn 6-10 Stunden postoperativ) mit Enoxaparin in der in Österreich zugelassenen Dosierung (s.o.) verglichen wurde. Alle Studien waren primär als Non-Inferiority-Studien geplant, eine „Superiority“-Analyse war vordefiniert, falls „Non-Inferiority“ gegeben war.

In der RECORD-3-Studiezur Thromboseprophylaxe nach Kniegelenksersatz betrug die vorgesehene Behandlungsdauer für Rivaroxaban bzw. Enoxaparin 14 Tage. Sowohl die Gesamtrate venöser Thromboembolien (inklusive asymptomatischer Unterschenkelthrombosen) als auch die Rate schwerwiegender venöser Thromboembolien (1,0% versus 2,6%) waren signifikant niedriger bei Patienten/innen, die Rivaroxaban erhalten hatten, als bei Patienten/innen, die mit Enoxaparin behandelt wurden (3). In der RECORD-1-Studie zur Thromboseprophylaxe nach Hüftgelenksersatz betrug die Behandlungsdauer für Rivaroxaban bzw. Enoxaparin 35±4 Tage. Auch hier waren die Gesamtrate venöser Thromboembolien (1,1% versus 3,7%) wie auch die Rate schwerwiegender venöser Thromboembolien (0,2% versus 2,0%) signifikant niedriger im Rivaroxabanarm (4). In Bezug auf die primären und sekundären Sicherheitsendpunkte, insbesondere der Rate schwerer Blutungen gab es in beiden Studien keinen signifikanten Unterschied zwischen Rivaroxaban und Enoxaparin.

Bewertung

Es liegen nun erste klinische Erfahrungen für zwei neue orale Antikoagulantien in der Indikation „Venöse Thromboembolieprophylaxe nach großer, elektiver Hüftoperation“ vor.Dabigatran war in Bezug auf Effektivität und Sicherheit nicht schlechter als Enoxaparin, Rivaroxaban zeigte im Vergleich zu Enoxaparin eine signifikant niedrigere Rate schwerwiegender venöser Thromboembolien ohne signifikant erhöhtes Blutungsrisiko. Ein Head-to-Head Vergleich beider Substanzen liegt jedoch nicht vor. Für den klinischen Alltag ist die einheitliche Dosierung von Rivaroxaban unabhängig von Alter und Kreatininclearance als günstig anzusehen.

Wie beide Substanzen bei postoperativer Nausea bzw. Emesis angewendet werden sollen, ist nicht klar.

Die orale Gabe ohne Notwendigkeit eines regelmäßigen Labormonitorings könnte für Indikationen, in denen derzeit eine Dauertherapie mit Vitamin K Antagonisten erforderlich ist (z.B. Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern), ein praktischer Vorteil sein. Erste Phase III-Studienergebnisse zu Rivaroxaban bzw. Dabigatran in diesen Indikationen werden bereits in den kommenden 2 Jahren erwartet. Wenn sich eine klinische Überlegenheit nachweisen lassen sollte und keine neuen, relevanten Nebenwirkungen bekannt werden, stellen die neuen Substanzen einen entscheidenden Fortschritt in der Antikoagulantientherapie dar.

Literatur:
(1) J Thromb Haemost 5,2178,2007
(2) Lancet 370,949,2007
(3) N Engl J Med 358,2776,2008
(4) N Engl J Med 358,2765,2008

 

Probiotika: ohne Nebenwirkungen?

Wir haben in der Pharmainfo XXI/2/2006 Probiotika besprochen und festgestellt, dass sie in vielen Indikationen verwendet werden, aber nur bei Durchfallserkrankung bei Kindern, bei der Prävention Antibiotika-induzierter Durchfälle und bei Colitis ulcerosa eine positive Wirkung möglich erscheint. Jetzt wurde bei 298 Patienten/innen mit akuter schwerer Pankreatitis (1) eine Probiotikamischung (Lactobazillen und Bifidobakterien enteral verabreicht) gegen Placebo getestet. Es kam zu keiner signifikanten Änderung der Häufigkeit infektiöser Komplikationen (30 versus 28%), allerdings zeigt sich bei den mit Probiotika behandelten Patienten/innen überraschenderweise ein Anstieg der Mortalität (15%) auf das 2,5fache gegenüber den mit Placebo behandelten Patienten/innen (6%). Letzteres scheint auf Aggravierung einer intestinalen Ischämie zurückzuführen zu sein, die mit einem vermehrten Sauerstoffdefizit durch zugeführte probiotische Bakterien in Zusammenhang gebracht wird.

Die Hoffnung, dass die bakteriellen Komplikationen der Pankreatitis (Infektion des nekrotisierten Gewebes) sich durch Probiotika verändern lassen, hat sich nicht bestätigt, die erhöhte Mortalität war sicher unerwartet. Es zeigt sich aber immer wieder, dass jeder Eingriff in das komplexe System unseres Organismus auch negative Folgen haben kann.

Zur Frage, ob die Zufuhr lebender, fakultativ pathogener Bakterien zu systemischen Erkrankungen führen kann, sei folgendes angeführt: Seit über 30 Jahren gibt es Berichte über vereinzelte Fälle von Bakteriämien durch "probiotische" Bakterien wie Lactobacillus spp., Bifidobakterien oder Eubakterien (2-4). Eine Finnische Studie, die insgesamt 89 Patienten/innen mit Lactobacillus-Bakteriämie untersuchte, konnte feststellen, dass diese Infektionen vor allem bei multimorbiden Patienten/innen auftreten (82%). Risikofaktoren waren eine Immunsuppression, ein prolongierter Krankenhausaufenthalt und vorhergehende chirurgische Eingriffe (5). Da Lactobacillus spp. als fakultativ anaerobe Bakterien Teil der endogenen Darmflora sind erhebt sich die Frage, inwieweit es sich hier ausschließlich um endogene Infektionen handelt oder ob exogen - mittels Probiotika zugeführte Bakterien - auch als Erreger in Frage kommen. Eine retrospektive Analyse, die nach der Einführung von Lactobacillus rhamnosus als Zusatz bei probiotischen Lebensmitteln durchgeführt wurde, untersuchte diese Fragestellung. Die Inzidenz einer Bakteriämie mit L. rhamnosus lag bei 0.3/100.000/Jahr in Finnland und zeigte keine Änderung der Bakteriämiehäufigkeit im Vergleich zum Zeitraum vor Einführung der angereicherten Probiotika (6). Ähnliche Beobachtungen wurden in einer schwedischen Studie gemacht (7). Demgegenüber konnten einige Studien zeigen, dass probiotisch zugeführte Erreger der Spezies Saccharomyces boulardii und cerevisiae als Erreger von Septikämien bei immunsupprimierten Patienten/innen auftraten (8-10). Auch wenn schwere Infektionen mit "pro-biotischen" Bakterien selten auftreten und einige Studien über deren Sicherheit bei verschiedenen Patienten/innengruppen vorliegen (11), ist doch ein Restrisiko beim Einsatz dieser Erreger in Form von Probiotika vor allem bei immunsupprimierten Patienten/innen aufgrund der derzeitigen Datenlage nicht völlig auszuschließen.

Literatur:
(1)  Lancet 371,651,2008
(2)  Yale J Biol Med 51,505,1978
(3)  Clin Infect Dis 23,773,1996
(4)  Eur J Clin Microbiol Infect Dis 24,31,2005
(5)  Clin Infect Dis 38, 62,2004
(6)  Clin Infect Dis 35,1155,2002
(7)  Scand J Infect Dis 38,327,2006
(8)  Clin Infect Dis 27,222,1998
(9)  J Clin Microbiol 41,5340,2003
(10) Support Care Cancer 8,504,2000

 

Medikamentöse Behandlung von Hämorrhoiden

Hämorrhoiden stellen eine häufige Erkrankung dar mit 4% Frequenz in der Gesamtbevölkerung und 30% in der allgemeinen Praxis (1).

Seit langem werden als konservative Maßnahmen Vermeidung von Obstipation, Analhygiene und Sitzbäder (offensichtlich eine Maßnahme österreichischen oder deutschen Ursprungs, da auch im Englischen als "sitz bath" bezeichnet) empfohlen; 2,3). Für die Vermeidung der Obstipation spielen offensichtlich Ballaststoffe und eine reichliche Flüssigkeitsaufnahmeeine Rolle. Eine kürzliche Metaanalyse hat den Effekt von Faserstoffen (wie Kleie und Flohsamen: Agiocur, Laxans Roha, Mucivital, Pascomucil, Plantaben) auf die Hämorrhoidensymptomatik untersucht (4). Sieben Studien mit 378 Patienten/innen konnten evaluiert werden. Faserzugabe führte zu einer deutlichen Verbesserung der Gesamtsymptomatik und des Blutungsrisikos, und verbesserte auch (allerdings heterogen) Schmerz, Jucken und Prolapsentstehung. Dies war auch nach 3 Monaten noch zu beobachten. Die Reduzierung der Prolapsentstehung würde darauf hinweisen, dass die Progredienz der Hämorrhoiden reduziert wird, detaillierte Studien dazu scheint es nicht zu geben. Gabe von Faserstoffen ist also eine empfehlenswerte Maßnahme, insbesondere auch weil bei Aufnahme vernünftiger Mengen praktisch keine Nebenwirkungen (außer gastrointestinalen Symptomen wie Völlegefühl etc.) zu erwarten sind.

Venotonica (Flavonoide) werden vor allem in Europa seit langem verwendet. Eine Metaanalyse einer Cochrane Gruppe (1) hat diese Therapie evaluiert. Letztlich waren 14 Studien mit 1514 Patienten/innen geeignet und die Analyse ergab eine signifikante Besserung durch Venotonica (insbesondere mikronisierte Flavonoide und Hydroxyethylrutoside) für die Gesamtsymptomatik und insbesondere für Schmerz, Jucken und Blutungen. Allerdings wurde aufgrund der Qualität und der Heterogenität der Studien betont: "the quality of the evidence is moderate at best". Die Autoren sehen aber trotzdem einen Platz für diese Therapie. In Österreich sind Daflon 500 mg (mikronisierte Flavonoide) und Venoruton (Hydroxyethylrutoside) 500 mg Dragees, 1000 mg Granulat für diese Indikation zugelassen.

Topische Präparate: Diese vielfach verwendeten Medikamente haben komplexe Zusammensetzungen. Die in Österreich registrierten Präparate enthalten antiseptische Stoffe (Carvacrol:Hädensa, Dichlorbenzylalkohol: Sulgan 99), gefäßverengende (Hydrastin: Hämanal) und gefäßerweiternde (Nikotinsäuremethylester: Mucotherm), sowie antiphlogistische Stoffe (Trichlorisobutylalkohol: Sulgan 99) und in Sperti Preparation H Bierhefe und Haifischleberöl (soll über Vitamin B- und A-Gehalt wirken). Schon theoretisch-pharmakologisch ist es schwierig, für diese heterogenen Substanzen positive Effekte zu erwarten. Auf jeden Fall liegen in der internationalen Literatur keine kontrollierten Studien vor, die die Wirksamkeit solcher Präparate, insbesondere was Blutung und Prolaps betrifft, zweifelsfrei belegen würden (siehe 2). Am ehesten dürften diese Medikamente dazu beitragen, die lokale Hygiene zu verbessernund kurzzeitig die lokalen Reizsymptome zu reduzieren. Eine Langzeitverwendung ist nicht zweckmäßig (2,3).

In einigen topischen Präparaten (Delta-Hädensa, Doloproct, Scheriproct) sind Cortisone zugesetzt, die durch ihre entzündungshemmende Wirkung positiv wirken sollen (3). Cortison kann sicher akut lokale Symptome lindern, es kann aber auch Infektionen begünstigen und nach längerem Gebrauch zu Hautatrophie und Schäden wie Ulcera führen (2,3). Es sollte daher höchstens für kurzzeitige (d.h. mehrtägige) symptomatische Therapie verwendet werden. Gerade bei einem chronischen Leiden muss der Patient/die Patientin über die Risiken dieser Präparate wirksam aufgeklärt werden.

Zusammenfassung:

Ob Medikamente auf Dauer Hämorrhoiden bessern können, ist zu wenig untersucht. Am ehesten ist dies aber für Ballaststoffe (Vermeidung von Obstipation) zu erwarten. Die Wirkung von Venotonica erscheint ebenfalls, allerdings nicht durch Studien hoher Qualität, belegt. Lokale Präparate wirken möglicherweise symptomatisch; wenn Cortison enthalten ist, sollen sie nur kurzzeitig (Tage) verwendet werden.

Literatur:
(1) Br J Surg 93,909,2006
(2) BMJ 336,380,2008
(3) J Am Coll Surg 204,102,2007
(4) Am J Gastroent 101,181,2006

 

Vitamine zur Krebsprävention

Für Vitamin E haben wir bereits früher über mangelnde Wirkung zur Prophylaxe von Karzinomen und kardiovaskulären Erkrankungen berichtet und dies gilt auch für die Vitamine A und C (Pharmainfo XXII/2/2007). Für Vitamin D zur Karzinomprophylaxe liegen, so wie für die anderen Vitamine, positive epidemiologische Studien vor (Pharmainfo XXII/2/2007), zwei prospektive Studien (1,2) haben aber für Colon- und Mammakarzinom negative Daten erbracht, sodass sich auch für dieses Vitamin möglicherweise zeigt, dass epidemiologische Studien prospektiv nicht bestätigt werden können. Für ein endgültiges Urteil zu Vitamin D sollten allerdings noch laufende Studien abgewartet werden.

Für Folsäure hat es sowohl Hinweise auf eine positiv präventive Wirkung als auch auf ein möglicherweise erhöhtes Colonkarzinomrisiko gegeben (3). Eine neue, große prospektive Studie (n = 5442 Frauen, 7,3 Jahre: Folsäure, Vitamin B6 und B12 (4)) fand keinen Effekt von Folsäure auf das Krebsrisiko, so wie inzwischen auch gezeigt wurde (siehe Pharmainfo XXII/2/2007), dass Folsäure das kardiovaskuläre Risiko durch Senkung des Homocysteinspiegels nicht verbessert.

Langsam verliert der Milliardenumsatz mit Vitaminpräparaten jede rationale Basis, diese war schon bis jetzt dürftig, aber man konnte zumindest argumentieren, dass für Patienten/innen mit normaler Ernährung eine Wirkungslosigkeit einer Vitamingabe zur Prävention, insbesondere von Karzinomen und kardiovaskulären Erkrankungen, nicht sicher belegt ist. Dieses Argument wird nun immer hinfälliger.

Literatur:
(1) J Nat Care Inst 100,1581,2007
(2) NEJM 354,684,2006
(3) Am J Clin Nutr 87,517,2008
(4) JAMA 300,2012,2008

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 18. Mai 2009

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
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