Neue Wege mit RNomics
Nichtkodierende RNAs gelten als Hoffnungsträger in der molekularbiologischen Forschung. An der Medizinischen Universität wird in der Division für Genomics and RNomics des Biozentrums unter der Leitung von Prof. Alexander Hüttenhofer und Dr. Norbert Polacek an den Grundlagen dieses relativ neuen Zugangs geforscht. Neue Werkzeuge für die Forschung und Targets für die Therapie sind das Ziel.
Galten die kleinen RNA Moleküle in den Forschungslabors lange noch als Abfall, so werden sie seit einigen Jahren als große Hoffnungsträger für die Medizin gehandelt. Während beim Menschen nur ein ganz kleiner Teil der genetischen Information in der DNA über Boten-RNAs in Proteine übersetzt wird (ca. 1.4%), wird der größte Teil des Genoms (ca. 50%) in so genannte nichtkodierende RNAs (ncRNAs) überschrieben; der Rest des Genoms kodiert weder für Proteine noch für ncRNAs. Die ncRNAs werden nicht in Eiweiße umgesetzt und wurden deshalb bislang eher vernachlässigt. Heute wissen die Forscher aber, dass die teilweise nur 21 bis 23 Nukleotide großen Moleküle wichtige Funktionen in der Zelle übernehmen. So sind sie in der Lage die Expression einzelner Gene zu regulieren und damit bestimmte Funktionen ein- oder auszuschalten. Für Forschung und Therapie bietet das einen viel versprechenden Ansatz, können Zielgene auf diese Weise doch erstmals in Säugetierzellen nach Belieben abgeschaltet werden. Für HIV- und Hepatitis-Infektionen werden entsprechende Studien in Tiermodellen bereits durchgeführt. Nicht-kodierende RNAs können auch als Antikörper fungieren. "Es lassen sich damit bestimmte Stoffe in der Zelle einfach blockieren und die entsprechenden Funktionen abschalten, erläutert Prof. Hüttenhofer. Eine weit verbreitete Netzhaut-Erkrankung, die altersabhängige Makuladegeneration, wird zum Beispiel seit kurzem mit einem ncRNA-Medikament behandelt, welches das Wachstumshormon VEGF blockiert und damit die Gefäßneubildung hemmt. Dass ncRNAs aber auch selbst Auslöser von Krankheiten sein können, ist bekannt. So kann die Telomerase, ein Enzym im Zellkern, das aus einem Protein- und einem langen RNA-Anteil besteht und die Endstücke der Chromosomen wiederherstellt, zur Entstehung von Krebs beitragen. Auch die Alterung der Zelle kann dadurch beeinflusst werden.
Forschen an Fossilen
In einem aktuellen Review-Beitrag in der Zeitschrift Trends in Genetics haben Alexander Hüttenhofer und Norbert Polacek gemeinsam mit ihrem amerikanischen Kollegen Peter Schattner das wissenschaftliche Potential dieser nichtkodierenden RNAs ausgelotet. Besonders interessant ist dabei auch der Blick auf die Evolution. Da die RNA sowohl Erbinformation speichert als auch enzymatisch aktiv sein kann, gehen die Forscher davon aus, dass die RNA evolutionsgeschichtlich lange vor der DNA gebildet wurde und die Grundlage für die Mechanismen der Evolution darstellt. Wir arbeiten also mit den Fossilen der biologischen Evolution. Die ncRNA sind quasi ein Relikt aus der grauen Vorzeit, betont Prof. Hüttenhofer, der in seinem Labor selbst ein wenig Evolution spielt. In der so genannten in vitro Selektion (SELEX) können wir Evolution in 20 Tagen spielen. Spezifische Nukleinsäuren mit hervorragenden Bindungseigenschaften werden durch wiederholte Selektion und Vermehrung hergestellt, so Hüttenhofer weiter. Die Bedeutung der RNAs lässt sich auch an der Genstruktur ablesen. Während bei sehr einfachen Organismen fast das gesamte Genom transkribiert und in Proteine umgesetzt wird, sind es bei Menschen gerade 1,4%. Die Wissenschaftler glauben daher, dass die restlichen 98,6% des Genoms nicht irgendein evolutionärer Müll sind, sondern vielmehr erst die Komplexität des menschlichen Organismus überhaupt möglich machten. Nur so kann die große Komplexität höherer Lebewesen erklärt werden, ist sich Norbert Polacek sicher.
Aufwändige Suche
Die Forscher um Prof. Hüttenhofer arbeiten zum einen an der Suche nach den winzigen ncRNAs, die über herkömmliche Bioinformatik nicht möglich ist. Sie gehen aber auch einen Schritt weiter und untersuchen die Funktion bestimmter ncRNAs in der Zelle. So forschen Prof. Hüttenhofer und Dr. Norbert Polacek in Kooperation mit Prof. Heribert Stoiber von der Division für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie über die Rolle dieser RNAs in von HIV oder dem Epstein-Barr-Virus infizierten Zellen. Eine enge Zusammenarbeit gibt es darüber hinaus mit Prof. Ronald Micura vom Institut für Organische Chemie der Leopold-Franzens-Universität. Unterstützt werden die Forschungen unter anderem vom FWF und dem Tiroler Wissenschaftsfonds.