Inhalt
- Rezent zugelassene Antibiotika und neue Entwicklungen – Füllt sich die Pipeline oder sitzen wir bald auf dem Trockenen?
- Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS): Stimulantien und Missbrauchsrisiko
- Niedrigere Blutdruck Zielwerte: Neue europäische Richtlinien der ESC/ESH für die Behandlung der arteriellen Hypertonie
- Osteoporosetherapie: Erhöhtes Frakturrisiko nach Absetzen von Denosumab (PROLIA)
- Salzarme Diät, Hypertonie und kardiovaskuläre Endpunkte: Frieden im Salzkrieg?
Rezent zugelassene Antibiotika und neue Entwicklungen - Füllt sich die Pipeline oder sitzen wir bald auf dem Trockenen?
Wenn ein neu entwickeltes Medikament effektiver als bestehende therapeutische Optionen ist, darf eine Firma üblicherweise auf raschen Einsatz und entsprechenden Umsatz hoffen. Nicht so im Bereich antimikrobieller Therapie, wo neu entwickelte Substanzen oft als Reservemedikamente dienen sollen, und der sparsame Einsatz die letztlich für jede Substanz unvermeidliche Resistenzentwicklung hintan halten soll. Dies hat dazu geführt, dass sich v. a. „Big Pharma“ aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen und lukrativeren Indikationen zugewendet hat (1). Neue Antibiotika werden aber gebraucht. War früher v. a. der Methicillinresistente Staphylococcus aureus (MRSA) der vielleicht wichtigste Problemkeim, hat sich das Spektrum zuletzt zu multiresistenten Gram-negativen Erregern verschoben. Vor allem das Auftreten von Erregern mit breiter Resistenz gegen Betalaktamantibiotika (ESBL für extended spectrum Betalaktamase Bildner) auch bei ambulant erworbenen Infektionen und das Vorkommen von Enterobakterien mit Resistenzen gegenüber Carbapenemen, haben hier den Ruf nach neuen Antibiotika laut werden lassen.
In den letzten Jahren sind allerdings nur eine überschaubare Zahl neuer Substanzen in Europa, allesamt über zentrale Zulassung durch die EMA, verfügbar geworden, die meisten Antibiotika kommen aus der Klasse der Betalaktame bzw. BetalaktamaseInhibitoren.
Mit Ceftolozan wurde ein neues Cephalosporin der 3. Generation mit sehr guter Aktivität gegen Pseudomonas eingeführt, das als Präparat in Kombination mit dem Betalaktamaseinhibitor Tazonam (CeftolozanTazobactam, Zerbaxa) im Jahre 2015 für die Indikationen komplizierte intraabdominelle Infektionen (in Kombination mit Metronidazol) und komplizierte Harnwegsinfektionen zugelassen wurde, wo das Präparat in einer Dosierung von 3 × 1,5 g v. eine Nichtunterlegenheit gegenüber Meropenem (intraabdominelle Infektionen) bzw. Levofloxacin (Harnwegsinfekte) nachweisen konnte (2). In vitro weist das Präparat eine gute Aktivität gegen multiresistente Gramnegative Erreger (ESBL und AmpCproduzierende Enterobacteriaceae) auf und besitzt eine hervorragende Wirksamkeit gegenüber Pseudomonas (auch Carbapenem bzw. multiresistent), allerdings keine Effektivität gegenüber Carbapenemaseproduzierenden Enterobacteriaceae (3, 4). Gegenüber letzteren Bakterien (Klebsiella pneumoniae Carbapenemase (KPC) und OXA48 Carbapenemaseproduzierende Klebsiella spp.) besitzt das 2016 zugelassene Kombinationspräparat des Drittgenerationscephalosporins Ceftazidim mit dem Betalaktamaseinhibitor Avibactam (Zavicefta) Wirksamkeit (5). Dieses Antibiotikum ist in den Indikationen komplizierte intraabdominelle Infektionen, komplizierte Harnwegsinfektionen, nosokomiale Pneumonie inklusive Beatmungsassoziierter Pneumonie (VAP) zugelassen (2). Es besteht auch hier eine gute Wirksamkeit gegen Gramnegative Erreger, insbesondere auch ESBL und KPCproduzierende Enterobacteriaceae sowie Pseudomonas, dagegen weisen beide Antibiotika eine schlechte Wirksamkeit gegenüber Grampositiven Erregern auf.
Beide Präparate sind als Reserveantibiotika einzustufen und haben somit eine enge Indikationsstellung bei Infektionen mit spezifischen resistenten Erregern. Ein Einsatz dieser Präparate in der empirischen Therapie ohne Vorliegen eines Antibiogramms und ohne Freigabe durch InfektiologInnen oder klinische MikrobiologInnen sollte keinesfalls erfolgen.
Der Vollständigkeit halber seien hier noch zwei weitere Zulassungen erwähnt, die zur neuen 5. Generation der Cephalosporine gezählt werden. Diese Substanzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben eines Drittgenerationscephalosporinen vergleichbaren Wirkspektrums auch Aktivität gegenüber MRSA besitzen. Ceftarolinfosamil (Zinforo) ist in einer Dosis von 2 × 600 mg i. v. für die Behandlung von Haut und Unterhautinfektionen (inkl. MRSA) sowie für die ambulant erworbene Pneumonie (ohne MRSA) zugelassen. Die Basis dazu bildeten zwei Studien, CANVAS 1 und 2 (6). Dabei wurde eine Nichtunterlegenheit von Ceftarolinfosamil im Vergleich zu Vancomycin und Aztreonam in der Behandlung von komplizierten Haut und Unterhautinfektionen bzw. im Vergleich zu Ceftriaxon in der Therapie der hospitalisierungs aber nicht intensivpflichtigen Pneumonie nachgewiesen. Ceftobiprolmedocaril (Zevtera) ist in einer Dosis von 3 × 500 mg zur Behandlung der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP) und der im Krankenhaus entstandenen Pneumonie (HAP) zugelassen. Die Basis dafür bildeten zwei Studien in diesen Indikationen, die eine Nichtunterlegenheit von Ceftobiprol im Vergleich zu Ceftriaxon plus Linezolid bei der ambulant erworbenen Pneumonie bzw. zu Ceftazidim plus Linezolid bei der HAP zeigten (7). Im Gegensatz dazu war Ceftobiprol in der Therapie der VAP einer Kombination von Ceftazidim und Linezolid unterlegen, weshalb diese Substanz auch nicht für diese Indikation zugelassen ist (8).
Für beide Substanzen gilt, dass gegenüber multiresistenten Gramnegativen Erregern, aber auch gegenüber ESBL Enterobacteriaceae oder Pseudomonas keine (Ceftarolin) oder nur geringe Aktivität (Ceftobiprol) besteht (6, 9). Generell ist zu bemerken, dass bei der derzeitigen niedrigen Inzidenz von MRSA bei einer ambulant erworbenen Pneumonie in Österreich im Regelfall eine empirische Therapie für MRSA nicht indiziert ist, weshalb hier günstigere und mindestens gleich effektive Alternativen zum Einsatz kommen sollten (7). Weiters stellt sich gerade bei diesen beiden Substanzen die Frage, ob die zugelassenen Dosierungen nicht zu niedrig gewählt wurden, um zufriedenstellende klinische Resultate in der Behandlung von Infektionen vor allem bei kritisch kranken PatientInnen zu erzielen.
In Europa befinden sich zwei Kombinationspräparate aus altbekannten Carbapenemen mit BetalaktamaseInhibitoren ante portas, Imipenem-Relebactam und Meropenem-Vaborbactam (Vabomere). Die strukturell unterschiedlichen BetalaktamaseInhibitoren Relebactam und Vaborbactam weisen Stabilität gegenüber ESBL, KPC und AmpCproduzierenden Enterobacteriaceae auf. Durch die Kombination mit diesen Betalaktamaseinhibitoren wird die Aktivität der Carbapeneme gegenüber diesen multiresistenten Gramnegativen Bakterien, aber mitunter auch gegen Pseudomonas (nur Relebactam) erhöht, während gegenüber anderen Problemkeimen wie Acinetobacter oder Stenotrophomonas kein Benefit erzielt wird (10). Imipenem Relebactam wird derzeit in zwei PhaseIIIStudien in den Indikationen HAP und VAP im Vergleich zu Piperazillin Tazobactam untersucht (RESTOREIMI). In einer Phase III Studie zeigte MeropenemVaborbactam (2 g/2 g i. v. über drei Stunden) Nichtunterlegenheit im Vergleich zu PiperacillinTazobactam (3 × 4,5 g), in der Behandlung von komplizierten Harnwegsinfektionen (11). Auch für den Einsatz dieser neuen Medikamente gegen multiresistente Erreger gilt es, die Indikation eng zu stellen und deren Einsatz mittels Freigabe durch FachexpertInnen zu limitieren.
Unter den NichtBetalaktamen wurden mit Dalbavancin (Xydalba) und Tedizolid (Sivextro) zwei ausschließlich im Grampositiven Bereich wirksame Antibiotika 2015 von der EMA (FDA 2014) für akute bakterielle Haut und Unterhautinfektionen zugelassen. Das Glykopeptid Dalbavancin zeichnet sich durch eine extrem lange Halbwertszeit (5-7 Tage) aus, wodurch eine einzige intravenöse Gabe pro Woche (erste Gabe 1 g, danach 500 mg) ausreicht. In den beiden Zulassungsstudien vs. Vancomycin (1 g oder 15 mg/kg alle zwölf Stunden, nach drei Tagen Switch zu oralem Linezolid) war der Therapieerfolg in beiden Gruppen vergleichbar, sodass als Vorteil die seltenere Gabe bleibt (12). Obwohl hierdurch auch das für Vancomycin übliche therapeutische Drug Monitoring wegfällt, wurde die Überlegenheit bezüglich Verträglichkeit nicht in kontrollierten Studien gezeigt, v. a. da anstatt der bei Vancomycin vorherrschenden Nephrotoxizität für Dalbavancin Hepatotoxizität beschrieben wurde (13).
Tedizolid gehört wie Linezolid zu den Oxazolidinonen, beide können sowohl i. v. als auch oral gegeben werden, was einen entsprechenden Switch bei Besserung des Zustands der PatientInnen ermöglicht, allerdings muss Tedizolid im Gegensatz zu Linezolid nur 1 × täglich (200 mg) verabreicht werden. Dieser Switch wurde auch in einer der beiden Zulassungsstudien (beide vs. Linezolid 600 mg 2 × täglich) angewendet, die Ansprechrate war in beiden Armen und beiden Studien gleich, die entsprechenden Nicht Unterlegenheitswerte wurden erreicht (14). Tedizolid zeigt Aktivität gegen eine bestimmte Form Linezolidresistenter Stämme und scheint bei Langzeitanwendung weniger myelodepressive Wirkung als Linezolid aufzuweisen, wobei die Daten für letzteres v. a. auf präklinischen Untersuchungen im Tierversuch beruhen (15).
Auch Delafloxacin (Baxdela) wurde in der gleichen Indikation entwickelt, die FDA erteilte bereits im Juni 2017 die Zulassung, während die Zulassung durch die EMA ausständig ist. Delafloxacin gehört zu den Fluoroquinolonen, wurde aber speziell in Hinblick auf die Behandlung von Gram-positiven Infektionen, insbesondere MRSA, entwickelt. Im Rahmen der beiden Zulassungsstudien wurde Delafloxacin 300 mg 2 × täglich (in einer Studie nur i. v., in der anderen erst i. v., dann oral) mit Vancomycin 15 mg/kg und Aztreonam 2 g, jeweils 2 × täglich, verglichen. Beide Studien zeigten Nichtunterlegenheit (16). Immerhin steht damit eine weitere Substanzgruppe für MRSA zur Verfügung.
Im Juni 2018 wurde schließlich Plazomicin (Zemdri), ein sogenanntes „next-generation“Aminoglykosid mit Wirksamkeit gegen Carbapenem-resistente Enterobacteriaceae sowie Fluoroquinolon-resistente Keime für PatientInnen mit akuten komplizierten Harnwegsinfektionen zugelassen, für die keine ausreichenden Alternativen bestehen. Basis für die Zulassung war eine Studie in 609 hospitalisierten PatientInnen mit akuten komplizierten Harnwegsinfektionen, die einmal täglich 15 mg/kg i. v. Plazomicin oder Meropenem (1 g alle 8 Stunden) erhielten (17). Die klinische Heilung war in beiden Gruppen mit etwa 90 % vergleichbar hoch, während die mikrobiologische Eradikation (89,5 vs. 74,6 %) für Plazomicin signifikant besser war. Auf die klassenspezifische oto- und nephrotoxische Wirkung von Plazomicin sollte acht gegeben werden. Eine Zulassung der EMA steht aus.
Aufgrund der geringen Anzahl neu entwickelter Antibiotika haben Behörden und WHO versucht, Empfehlungen für die Entwicklung von Antibiotika zu geben und deren Entwicklung schneller und effektiver zu gestalten. Einerseits wurden hierfür Listen besonderer weltweiter Problemkeime von WHO (18) und CDC (Center of Disease Control and Prevention) (19) erstellt. Hierzu zählen übereinstimmend etwa Carbapenemresistente Pseudomonas aeruginosa, Enterobacteriaceae und Acinetobacter baumannii, aber auch Vancomycinresistente Staphylokokken und Enterokokken.
Zudem wurden aber auch neue regulative Entwicklungspfade ermöglicht. Die EMA erlaubt beispielsweise sogenannte Pathogen-gezielte Zulassungen, so kann ein Antibiotikum anstatt für Indikationen wie Pneumonie, Harnwegsinfekte und Weichteilinfektionen für etwa multiresistente Enterobacteriaceae, unabhängig von der Klinik und der Lokalisation des Infekts, zugelassen werden (20). Anstatt von großen klinischen Studien werden diese Entwicklungen v. a. von klinisch-pharmakologischen Studien und von pharmakokinetisch/pharmakodynamischen (PK/PD) Simulationen gestützt. Hierbei wird die Empfindlichkeit des Keims (meist durch die minimale Hemmkonzentration, MHK, ausgedrückt) mit den Spiegeln des Medikaments in Tierversuchen und klinischen Phase I-Studien verglichen, um die Effektivität in der Klinik abzuschätzen. Werden für die klassische Zulassung meist zwischen 500 und 1500 StudienpatientInnen benötigt, sind es durch diese innovativen Methoden eher 100 bis 200 PatientInnen, entsprechend niedriger sind die Kosten. Mehrere hunderte Millionen schwere Förderinitiativen wie die europäische Innovative Medicines Initiative unterstützen zusätzlich finanziell die Entwicklung neuer Antibiotika (21). Hierdurch konnte die Pipeline der Antibiotikaentwicklung in den letzten drei Jahren maßgeblich verstärkt werden (22).
Man darf hoffen, dass durch diese neuen Entwicklungswege auch die wenig aussagekräftigen Nichtunterlegenheitsstudien in der Indikation akute Haut- und Unterhautinfektion weniger häufig durchgeführt werden. Beispiele für Entwicklungen über diesen neuen Entwicklungsweg und Überlegenheitsstudien in Erregerspezifischen Indikationen sind etwa das Siderophor-Cephalosporin Cefiderocol (Studie vs. beste Therapie nach Ermessen der PrüfärztInnen bei Carbapenemresistenten Keimen) oder die Kombination von Imipenem/Cilastatin mit dem BetalaktamaseInhibitor Relebactam, die bei Imipenemresistenten Keimen zur Anwendung kommen soll.
Fazit: Obwohl in den letzten Jahren Pharmafirmen, nicht zuletzt unterstützt durch öffentliche Bemühungen, die Entwicklung neuer Antibiotika wieder aufgenommen haben, bleibt die Anzahl der neuen Substanzen überschaubar, insbesondere im multiresistenten Gramnegativen Bereich. Mittelfristig stellen eine rationale Anti-Infektiva-Verordnung (Antibiotic Stewardship), strenge Indikationsstellung und rationale Dosierung der verfügbaren Antibiotika in Zeiten zunehmender antimikrobieller Resistenz effektive Maßnahmen dar.
Literatur
(1) Cooper, M. A. & Shlaes, D. Nature, 472, 32, 2011
(2) van Duin, D. & Bonomo, R.A. Clin Infect Dis, 63, 234, 2016
(3) Zhanel, G. G.et al. Drugs,74,31,2014
(4) Lee,Y.R. et al. Drugs,75,2097,2015
(5) Gonzalez, M.D. et al. AnnLabMed,37,174,2017
(6) Frampton, J.E. Drugs,73,1067,2013
(7) Liapikou, A. et al. Drug Des Devel Ther, 9, 4565, 2015
(8) Montravers, P. et al.AdvTher,33,151,2016
(9) Farrell, D.J. et al. Antimicrob Agents Chemother, 58,3882,2014
(10) Zhanel, G.G. et al. Drugs, 78,65,2018
(11) Kaye, K.S. et al. Jama, 319,788,2018
(12) Boucher, H.W. et al. N Engl J Med, 370, 2169, 2014
(13) Van Bambeke, F. Drugs, 75, 2073, 2015
(14) Prokocimer, P. et al. Jama, 309, 559, 2013
(15) Zhanel, G. G. et al. Drugs, 75, 253, 2015
(16) Pullman, J. et al. J Antimicrob Chemother, 72, 3471, 2017
(17) US National Library of Medicine. clinicaltrials.gov, NCT02486627
(18) WHO. http://www.who.int/news-room/detail/27-02-2017-who-publishes-list-of-bacteria-for-which-new-antibiotics-are-urgently-needed
(19) CDC. https://www.cdc.gov/drugresistance/biggest_threats.html
(20) EMA. http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Scientific_guideline/2016/07/WC500210982.pdf
(21) IMI. https://www.combacte.com/
(22) ID-Hub. https://www.id-hub.com/2017/11/13/infographic-summary-antibacterial-agents-clinical-development
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS): Stimulantien und Missbrauchsrisiko
Stimulantien wie Amphetamine und Methylphenidat (Concerta, Medikinet, Ritalin) sind klassische, zur Kokain-gruppe gehörende Suchtmittel. Für ihre therapeutische Verwendung war die Frage nach einem erhöhten Suchtrisiko für ADHS-PatientInnen relevant und wurde seit langem diskutiert - siehe z.B. (1) und Pharmainfo XXII/3/2007. Eine verlässliche Aussage erwies sich deshalb als schwierig, weil ADHSPatientInnen unabhängig von einer bestimmten Therapie bereits im Rahmen ihrer Krankheitssymptomatik ein erhöhtes Suchtrisiko haben und dementsprechend zu Drogenmissbrauch neigen (2-4). In einer gut geplanten Studie (5) scheint eine relativ verlässliche Antwort gefunden worden zu sein. Register-Daten von ADHS-PatientInnen (> 38.000 in Schweden, davon ca. die Hälfte unter Stimulantien Therapie) wurden über vier Jahre auf Drogenmissbrauch (Hospitalisierung wegen einschlägiger Symptome oder krimineller Registrierung) analysiert. Bei ADHS-PatientInnen lag die Inzidenz für Missbrauch bei 6,2 %, bei nichtkranken Kontrollen bei 0,5 %. Diejenigen ADHS-PatientInnen, die mit Stimulantien behandelt wurden, hatten ein geringes Risiko für Missbrauch (HR 0,52; CI 0,42–0,66) und zwar nicht nur für Stimulantien (HR 0,66), sondern auch für andere Drogen wie Alkohol und Opioide. Die AutorInnen haben versucht, „confounding“-Faktoren, wie sie bei Beobachtungsstudien auftreten können, zu eliminieren. Die wahrscheinlichste Erklärung der Daten ist, dass eine Therapie mit Stimulantien das Krankheitsbild verbessert und damit auch das erhöhte Missbrauchsrisiko reduziert, das bei dieser Erkrankung zu finden ist (siehe auch 6, 7).
Diese Diskussion spricht dafür, dass für das Gesamtkollektiv der ADHS-PatientInnen Stimulantien das Suchtrisiko nicht generell erhöhen bzw. sogar im Sinne eines Therapieerfolgs reduzieren. Trotzdem ist für das Individuum das Vorliegen eines erhöhten Risikos bei dieser Erkrankung zu bedenken. Für PatientInnen mit belegtem Suchtrisiko stehen primär das nichtstimulierende Atomoxetin (Strattera, Generika), das allerdings eine etwas schwächere Wirkung hat (siehe Pharmainfo XXII/3/2007), oder auch Guanfacin (Intuniv) zur Verfügung. Letzteres wird aufgrund seines Nebenwirkungsprofils (wie Somnolenz, Sedation, Gewichtszunahme, Clonidin-ähnliche kardiovaskuläre Wirkungen) und hoher Drop-out Raten in vielen Studien jedoch kritisch bewertet (8, 9). Methylphenidat sollte in seiner Retardform verwendet werden, da diese weniger zu Missbrauch führt (10, 11).
Im Rahmen der Therapie sollte auf Missbrauch, z. B. durch Dosissteigerung, geachtet werden. Dosissteigerungen können auch auf eine Weitergabe des Mittels an andere Personen (diversion) hinweisen. Auch sollte die medikamentöse Behandlung von ADHS-PatientInnen mit bekanntem Substanzmissbrauch oder Substanzabhängigkeit durch SpezialistInnen mit Kenntnissen in der Behandlung von ADHS und Sucht erfolgen (12).
Literatur
(1) Kaye, S. & Darke, S. Addiction, 107, 467, 2012
(2) Wilens, T. E. et al. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry, 50, 543, 2011
(3) Huntley, Z. & Young, S. J Atten Disord, 18, 82, 2014
(4) Simon, N. et al. Curr Pharm Des, 21, 3359, 2015
(5) Chang, Z. et al. J Child Psychol Psychiatry, 55, 878, 2014
(6) Bihlar Muld, B. et al. J Subst Abuse Treat, 51, 82, 2015
(7) Humphreys, K. L. et al. JAMA Psych, 70, 740, 2013
(8) EMA. European Public Assessment report - INTUNIV.
(9) Drug Ther Bull, 54, 56, 2016
(10) Cortese, S. et al. CNS drugs, 31, 149, 2017
(11) Bright, G. M. Medscape J Med, 10, 111, 2008
(12) S3 Leitlinie – Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, 2018 (AWMF Registernummer 028–045).
Niedrigere Blutdruck-Zielwerte: Neue europäische Richtlinien der ESC/ESH für die Behandlung der arteriellen Hypertonie
In der Pharmainfo XXXI/1/2016 haben wir die Bedeutung der vielbeachteten SPRINT-Studie (1) in Hinblick auf eine Neubewertung der Richtwerte für eine Blutdrucktherapie diskutiert. Unsere daraus gezogenen Schlussfolgerungen finden sich nun weitgehend auch in den im August publizierten neuen „2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension“ der Task Force der European Society of Cardiology (ESC) und der European Society of Hypertension (ESH) (2). Sie ersetzen die ESC/ESH-Guidelines von 2013 und folgen damit mit etwas Verzögerung neuen Blutdruckzielen in den Leitlinien der USA (2017; 3) und Kanada (2016, Update 2017; 4), was den Einschluss wichtiger sehr rezenter Studien in die Bewertung ermöglichte.
Die in den ESC/ESH-Guidelines erwähnten Richtwerte beziehen sich auf in der ärztlichen Praxis mittels konventioneller Blutdruckmessung mit auskultatorischer oder oszillometrischer semiautomatischer (oder automatischer) Sphygmomanometrie erhobene Werte. Zurückhaltend beurteilt werden (etwa im Gegensatz zu kanadischen Empfehlungen) automatisierte Blutdruckmessungen unbeobachteter PatientInnen in der ärztlichen Praxis (AOBPM, automated office blood pressure measurement). Es wird geschätzt, dass diese Methode durch Minimierung der „white coat hypertension“ bei den meisten PatientInnen zu etwa 5-15 mm Hg niedrigeren Werten führt als bei konventioneller Messung durch ärztliches Personal (5). Sämtliche bisher durchgeführte Outcome-Studien wurden mit konventioneller Messung durchgeführt. Einzige Ausnahme war die SPRINT-Studie, was zu kontroversieller Interpretation der Ergebnisse führte. In der Erstellung der neuen (niedrigeren) Blutdruckziele wurden daher die in der SPRINT-Studie berichteten Blutdruckwerte entsprechend „hochgerechnet“. Die Diagnose kann durch Heim (HBPM) und Langzeitblutdruckmessungen unterstützt werden, z.B. bei PatientInnen mit Grad-1-Hypertonie (Abklärung möglicher „white coat hypertension“), mit hoch-normalem Blutdruck (Abklärung von „masked hypertension“) oder stark schwankenden Werten. Die Definition der Hypertonie liegt dabei bei Tageswerten ≥ 135/85 mm Hg.
Im Gegensatz zu den USA-Leitlinien, welche nun Hypertonie ab einem Wert 130/80 mm Hg definieren, wodurch schlagartig 30 Millionen US-AmerikanerInnen (davon die Hälfte in der Altersgruppe der 20-44 Jährigen) zu HypertonikerInnen wurden (6), bleibt die bisherige Definition der Hypertoniegrade 1 bis 3 in der ESC/ESH-Guideline unverändert (Hypertonie Grad 1 definiert als 140–159/90–99 mm Hg). Werte von 130-139/85-89 mm Hg gelten weiterhin als hoch-normal.
Bereits in den bisherigen Guidelines von 2013 war die Indikation für Beginn einer Behandlung mit Antihypertensiva bei Grad-1-Hypertonie und hohem kardiovaskulären Risiko unumstritten. Unsicher war bisher hingegen der Nutzen einer arzneitherapeutischen Intervention bei Grad-1-Hypertonie mit niedrigmoderatem kardiovaskulären Risiko, bei älteren PatientInnen (> 60 Jahre) mit Grad-1-Hypertonie oder bei Personen mit hoch-normalen Werten. Neue Metaanalysen und randomisierte kontrollierte Studien (RCT), unter anderem die SPRINT-Studie (1, 7-14) führten zu folgenden Empfehlungen.
1. Ab welchem Schweregrad soll eine medikamentöse Therapie erfolgen?
Unbehandelte Grad-1-Hypertonie mit niedrig-moderatem kardiovaskulären Risiko: Basierend auf Metaanalysen (7–9) und einer Subgruppenanalyse der HOPE3-Studie (10) wird, sofern keine Hinweise auf Endorganschäden vorliegen, eine medikamentöse Therapie dann empfohlen, wenn PatientInnen trotz nicht-medikamentöser Maßnahmen („lifestyle-intervention“) von 3-6 Monaten hypertensiv bleiben. Bei diesem niedrigen Risiko stellt man sich die Frage nach dem Ausmaß des Nutzens einer Therapie. Daher lohnt es sich, kurz auf die Daten der HOPE3-Studie einzugehen. In dieser wurde die Senkung kardiovaskulärer Ereignisse (primärer kombinierter Endpunkt: kardiovaskulärer Tod oder nicht tödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall) durch Fixkombinationstherapie mit Candesartan/Hydrochlorothiazid (16/12,5 mg) gegenüber Placebo über einen medianen Behandlungszeitraum von 5,6 Jahren verglichen. Eingeschlossen wurden mehr als 12.000 PatientInnen (Frauen ≥ 65, Männer ≥ 55 Jahre) mit systolischem Blutdruck unter 160 mm Hg (also mit Grad 1 oder mit normalen Blutdruckwerten; mittlerer Blutdruck 138,1/81,9 mm Hg) ohne kardiovaskuläre Erkrankung, aber mit mittlerem Risiko aufgrund entsprechender Risikofaktoren. Nur sehr wenige hatten Diabetes (6 %), leicht eingeschränkte Nierenfunktion (3 %) oder erhielten bereits Antihypertensiva (22 %). Statine waren nicht erlaubt. In der Gesamtpopulation betrug die Blutdrucksenkung –10/–5,7 mm Hg in der Interventionsgruppe versus –4/–2,7 mm Hg in der Placebogruppe. Dabei kam es zu keiner signifikanten Senkung des primären Endpunkts (4,1 vs. 4,4%). Allerdings wurde in einer präspezifizierten Subgruppenanalyse der PatientInnen mit einem systolischen Blutdruck im obersten Drittel zu Studienbeginn (> 143 mm Hg, Mittelwert 154,1 mm Hg) eine signifikante Reduktion des primären Endpunkts um 27% beobachtet (4,8 vs. 6,5%). Für diese sehr häufige PatientInnenpopulation (z.B. Grad-1-HypertonikerInnen mit Adipositas oder RaucherInnen mit zehn Zigaretten am Tag) lässt sich daraus eine Number Needed to Treat (NNT) von 59 über den gesamten Studienzeitraum berechnen.
Ältere PatientInnen mit unbehandelter Grad-1-Hypertonie: Im Gegensatz zur bisherigen Guideline wird - unter anderem auch aufgrund der HOPE3-Studie - nun eine entsprechende Blutdrucksenkung auch für alte (65–80 Jahre) unbehandelte PatientInnen mit Grad-1-Hypertonie und für sehr alte PatientInnen (> 80 Jahren) jedenfalls ab einem systolischen Blutdruck von ≥ 160 mm Hg empfohlen. Alter soll kein alleiniges Ausschlusskriterium für Antihypertensiva sein, wobei aufgrund der Einschlusskriterien in entsprechenden Studien diese Empfehlungen nur für körperlich fitte Personen gelten. In gebrechlicheren Personen sollte sich eine mögliche Therapie individuell an der Verträglichkeit orientieren.
Unbehandelte Personen mit hoch-normalem Blutdruck (≥ 130/≥ 85 mm Hg): Hier ändert sich aufgrund der Datenlage (8, 14) nichts an den Empfehlungen. Die Guideline sieht dies auch nicht im Widerspruch zu den Ergebnissen der SPRINT-Studie, da der Großteil der dort eingeschlossenen PatientInnen (90 %) bereits zu Studienbeginn Antihypertensiva (1,8 pro PatientIn) erhielt. Bei PatientInnen mit niedrigmoderatem Risiko sollte das Fortschreiten in eine behandlungsbedürftige Hypertonie durch nichtmedikamentöse Maßnahmen hinausgezögert oder verhindert werden. Hinweise für einen möglichen Nutzen von Antihypertensiva existieren für PatientInnen mit bereits etablierter kardiovaskulärer Erkrankung, insbesondere koronarer Herzerkrankung, und ihre Gabe kann daher erwogen werden. US-Guidelines empfehlen Behandlung ab 130-139/80-89 mmHg bei hohem kardiovaskulären Risiko, und somit bei bereits geringerem diastolischen Druck (80 mmHg).
2. Welche Blutdruckziele sollen angestrebt werden?
Rezente Metaanalysen (2, 15-17) zeigen eine zusätzliche Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch Blutdrucksenkung auf systolische Werte unter 120 mmHg. Trotzdem interpretieren die Guidelines diese Ergebnisse mit Vorsicht, unter anderem durch Verweis darauf, dass bei ambitionierten Blutdruckzielen die Zahl von Therapieabbrüchen stärker ansteigt (17), sodass dadurch der zu erwartende Nutzen teilweise oder vollständig egalisiert wird. Daher wird empfohlen, in einem ersten Schritt den Blutdruck bei allen PatientInnen unter 140/90 mmHg zu senken. Wenn die Therapie gut vertragen wird, sollte in den meisten PatientInnen eine Senkung auf Zielwerte von 130/80 mmHg oder darunter erfolgen, bei PatientInnen über 65 Jahren auf 130-140/< 80 mmHg. Von einer Blutdrucksenkung unter 120 mmHg systolisch und unter 70 mmHg diastolisch (v.a. bei PatientInnen mit Diabetes oder koronarer Herzerkrankung) wird wegen eines zweifelhaften Nutzen/RisikoVerhältnisses abgeraten.
Neu ist damit in den Guidelines die explizite Empfehlung nicht nur einer Schwelle, unter die der Druck gesenkt werden soll, sondern auch eines unteren Zielwerts von systolisch 120 und diastolisch 70 mm Hg. Damit ergeben sich Zielkorridore von 120-130/70-80 mm Hg für 18-65-Jährige bzw. 130-139/70-80 mm Hg für ältere PatientInnen. Dies könnte dazu führen, dass ein Zielwert für den systolischen Druck nur bei Unterschreiten des empfohlenen unteren Grenzwerts (70 mm Hg) erreicht werden könnte und umgekehrt. Für diese nicht sehr seltene Konstellation (18) bieten die Guidelines (noch) keine klare Hilfestellung. Hier muss eine individuelle Therapieentscheidung entsprechend der Verträglichkeit einer Therapieintensivierung getroffen werden.
3. Antihypertensive Therapiestrategie
Nach wie vor werden ACE-Inhibitoren (ACE-I), Angiotensinrezeptorantagonisten (ARBs), Kalziumantagonisten, Diuretika (bevorzugt Thiazide oder Thiazid-ähnliche) und Beta-rezeptorantagonisten als FirstlineTherapeutika angesehen, wobei die Auswahl nach bestehenden Kontra und Begleitindikationen erfolgt. Wir haben bereits in unserer rezenten Diskussion der Hochdrucktherapie 2014 (Pharmainfo XXIX/3/2014) darauf hingewiesen, dass Fixkombinationen zur Verbesserung der Adhärenz möglichst der Vorzug gegeben werden sollte. Aufgrund der niedrigeren Zielwerte rät die Leitlinie für die meisten PatientInnen nun einen Therapiestart bereits mit einer Fixkombination aus zwei Antihypertensiva. Beginn mit einer Monotherapie wird nur empfohlen für sehr alte PatientInnen, bei systolischem Blutdruck < 150 mm Hg und niedrigem kardiovaskulären Risiko und bei HochrisikopatientInnen mit hoch-normalen Werten. Auf die Möglichkeit der Gabe einer niedrig dosierten Fixkombination statt einer Monotherapie wird hingewiesen. Empfohlen wird vor allem eine Kombination von einem ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorantagonisten mit entweder einem Kalziumantagonisten oder einem Diuretikum. Eine Kombination mit Beta-rezeptorantagonisten bietet sich nach wie vor bei kardialen Begleiterkrankungen wie Angina pectoris, post-Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz und zur Herzfrequenzkontrolle an.
Neue Guidelines werfen auch die wichtige Frage nach ihrer Umsetzung in die Praxis auf, und ob diese tatsächlich zu künftig verbesserten klinischen Endpunkten führen können. Hier ist die mangelhafte Kontrolle des Risikofaktors Bluthochdruck in der Bevölkerung weiter ein Problem und relativiert Diskussionen über neue Blutdruckziele. In Deutschland beträgt die Hypertonieprävalenz (≥ 140/90 mm Hg) konstant ca. 30 %. Der Anteil unkontrollierter HypertonikerInnen ist im Beobachtungszeitraum von 2008–2011 im Vergleich zu 1998 von 23 % auf 13 % gesunken (19), was allerdings bedeutet, dass fast 50% der behandelten HypertonikerInnen noch immer hyperton sind. Die EUROASPIRE-IV-Studie (20) zeigt, dass dies insbesondere auch für HochrisikopatientInnen mit symptomatischer koronarer Herzerkrankung gilt, bei welchen fast die Hälfte schon den bisherigen Zielblutdruck von ≤140/90 mmHg nicht erreicht. Trotz neuer Guidelines bleibt daher die Frage, durch welche gesundheitspolitischen Maßnahmen das Blutdruckmanagement, v.a. durch Motivation zur Kontrolle vermeidbarer Risikofaktoren und Verbesserung der Adhärenz in der Bevölkerung, weiter verbessert werden kann. Wir haben bereits früher auf die intensive Führung und longitudinale Betreuung durch geschultes Personal hingewiesen. Erfolgreiche Blutdrucksenkung durch Medikationsmanagement von StammkundInnen in Friseursalons durch PharmazeutInnen unter ärztlicher Kontrolle, wie vor Kurzem berichtet (21), mag hierzulande zwar nicht umsetzbar sein, kann aber als proof-of-concept für ein longitudinales Betreuungsmodell dienen.
Fazit: Die neuen ESC/ESH-Guidelines sind insgesamt zurückhaltender als die US-Leitlinien. Sie behalten die bisherige Definition der Hypertonie und ihrer Schweregrade bei und beziehen die Blutdruckwerte auf die konventionelle Blutdruckmessung in der ärztlichen Praxis. Beides erleichtert den Vergleich mit bisherigen Erfahrungswerten. Zu einer „Out-of-office“Blutdruckmessung (Messung zu Hause oder 24-Stunden Blutdruckmessung) wird vor allem zur Abklärung von „white-coat“ und „masked“ Hypertonie, zur Therapieverlaufskontrolle sowie möglicher Nebenwirkungen geraten. Bei hoch-normalem Blutdruck (130-139/85-89 mmHg) werden Antihypertensiva nur vorsichtig („drug therapy may be considered“) für PatientInnen mit etablierter kardiovaskulärer Erkrankung empfohlen. Es werden auch untere Blutdruckgrenzen bei behandelten PatientInnen empfohlen, wobei dabei altersabhängig zu niedrige systolische (< 65 Jahre: 120 mmHg, ältere PatientInnen 130 mmHg) und diastolische Werte (< 80 mmHg) nicht unterschritten werden sollten.
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(21) Victor, R. G. et al. N Engl J Med, 378, 1291, 2018
Osteoporosetherapie: Erhöhtes Frakturrisiko nach Absetzen von Denosumab (PROLIA)
Uns wurde der aktuelle Fall einer mit Denosumab (Prolia) behandelten postmenopausalen Patientin berichtet, bei der nach Absetzen der Therapie multiple Wirbelfrakturen auftraten. Nach drei Injektionen Denosumab alle sechs Monate wurde die Therapie auf Wunsch der Patientin wegen unerwünschter Wirkungen ohne weitere medikamentöse Osteoporosebehandlung und ohne Kontrolle von Knochenumbaumarkern beendet. Elf Monate nach der letzten Injektion (fünf Monate nach Therapieende) wurden wegen starker Schmerzen zwei neue Wirbelfrakturen diagnostiziert. Die Knochenmineraldichte hatte dabei innerhalb von sechs Monaten auf Werte sogar unter jene vor Beginn der Behandlung mit Denosumab abgenommen. Die Patientin hält sich seit langem vorbildlich an nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Knochengesundheit. Andere Ursachen für die rasche Abnahme der Knochenmineraldichte gehen aus der Anamnese nicht hervor (Parathormon, Vitamin D, Serumkalzium im Normbereich). Die Therapie mit Denosumab wurde daraufhin wieder aufgenommen, was, wie erwartet, zu einer raschen Abnahme biochemischer Knochenresorptionsparameter führte.
Der Fall zeigt, dass trotz der Empfehlungen in aktuellen Leitlinien (z. B. 1), nach Beendigung einer DenosumabBehandlung vor allem bei Hochrisikopatientinnen eine anti resorptive Therapie anzuschließen, die rasche Abnahme der Wirkung von Denosumab unterschätzt wird.
Der Krankheitsverlauf dieser Patientin entspricht mehreren Fallberichten (2) über eine Zunahme von vor allem auch multiplen Wirbelfrakturen 8 bis 16 Monate nach der letzten Injektion. Diese werden durch rezente posthoc Analysen der FREEDOM-Studie und ihrer Extension-Studie (bis zu zehn Jahre Behandlung mit Prolia; 3) unterstützt. Wenngleich sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Absetzen von Denosumab und anschließend auftretenden Wirbelfrakturen nicht herstellen lässt, so ergibt sich daraus trotzdem ein Sicherheitssignal. Die Daten lassen vermuten, dass nach Beendigung der Behandlung das Frakturrisiko innerhalb schon weniger Monate wieder deutlich ansteigt. Dies ist ein Unterschied zu antiresorptiver Therapie mit Bisphosphonaten. Bisphosphonate werden in den Knochen, v.a. an Stellen mit hoher Umbaurate, eingebaut und haben, trotz sehr kurzer Plasmahalbwertszeit, dort eine sehr lange Verweildauer. Nach Beendigung der Therapie nimmt die Knochenmineraldichte stetig wieder langsam ab, das vertebrale Frakturrisiko bleibt aber über Jahre erniedrigt und nimmt nur langsam wieder zu (4–6). Vor allem bei Patientinnen mit niedrigerem Risiko sind daher Therapiepausen etwa nach fünf Jahren mit ständiger Kontrolle möglich („drug holidays“). Nach Beendigung einer Teriparatid (Forsteo)-Therapie nimmt die Knochenmineraldichte in der Lendenwirbelsäule ähnlich rasch ab wie nach Denosumab (in Hüfte und Femurkopf jedoch deutlich langsamer) (7). Allerdings kann eine länger anhaltende frakturprotektive Wirkung vertebral und extravertebral angenommen werden (8). Trotzdem sollte nach der maximalen Therapiedauer mit Teriparatid von zwei Jahren der Gewinn an Knochenmineraldichte (und dadurch möglicherweise auch das reduzierte Frakturrisiko) durch antiresorptive Therapie aufrechterhalten werden (7).
Ist ein Wirkverlust nach Denosumab pharmakologisch plausibel? Denosumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper gegen RANKL und hemmt die RANKL-induzierte Rekrutierung und Aktivität von Osteoklasten (antiresorptive Wirkung). Es ist in der 60mg-Dosierung alle sechs Monate zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern mit erhöhtem Frakturrisiko und zur Behandlung von Knochenschwund im Zusammenhang mit Hormonablation bei Männern mit Prostatakarzinom mit erhöhtem Frakturrisiko zugelassen. Eine EU-weite Zulassung für die Behandlung von Knochenschwund bei lang-dauernder systemischer Corticosteroid-Therapie bei PatientInnen mit erhöhtem Frakturrisiko wurde bereits befürwortet (CHMP, positive opinion vom 26. 4. 2018). Die HWZ des Antikörpers liegt im Mittel bei etwa vier Wochen, sodass mehr als 90 % nach vier Halbwertszeiten (ca. vier Monaten) eliminiert werden. Es wird nicht in den Knochen eingebaut und die vorliegenden klinischen und biochemischen Daten belegen keine Langzeitwirkung. Wird nach sechs Monaten keine neuerliche Dosis appliziert, kommt es sehr rasch zu einem Anstieg biochemischer Marker des Knochenumbaus, der innerhalb der ersten drei bis sechs Monate deutlich über Ausgangswerte ansteigen kann (9, 10). Gleichzeitig nimmt dabei die Knochenmineraldichte ab (9, 10). Diese Konstellation ist ein Hinweis dafür, dass der erhöhte Knochenumbau die Knochenstabilität senkt (4) und unterstützt damit die Hypothese, dass das Frakturrisiko nach dem Absetzen unerwartet rasch zunimmt.
Bei der Therapie mit Denosumab sollte daher Folgendes beachtet werden:
1. PatientInnen sollten vor Behandlungsbeginn darauf hingewiesen werden, dass das sechsmonatige Dosierungsintervall exakt eingehalten werden muss. Vor allem bei HochrisikopatientInnen ist derzeit nicht auszuschließen, dass eine Überschreitung bereits um einen Monat in einzelnen Fällen das Frakturrisiko relevant erhöhen könnte. Bei PatientInnen mit bekannt schlechter Compliance sollten Therapiealternativen, wie intravenöses Zoledronat (Aclasta, Generika), bevorzugt werden. Außerdem sollte darüber informiert werden, dass nach dem Absetzen eine weitere Therapie empfohlen wird, um einen unerwünschten überschießenden Verlust der Knochenmasse zu verhindern.
2. Nach Absetzen einer Therapie (z.B. wegen Unverträglichkeit, Nebenwirkungen, weil eine weitere Therapie aufgrund der Zunahme der Knochenmineraldichte nicht mehr erforderlich ist oder aufgrund von Zahnbehandlungen wegen der Gefahr einer Kiefernekrose) sollte insbesondere bei hohem Frakturrisiko die Behandlung jedenfalls mit therapeutischen Alternativen fortgesetzt werden. Die Vorgehensweise dazu ist allerdings derzeit nicht gut belegt. Frakturdaten zu einer Switch-Therapie existieren nicht, sodass eine Orientierung an Surrogatparametern erforderlich ist (Knochenmineraldichte, Knochenumbaumarker). Hier bieten sich vor allem Bisphosphonate an (11), welche die Knochenmineraldichte bei postmenopausalen Patientinnen nach Denosumab stabilisieren können (Studien an kleinen Patientinnenzahlen; 7, 12). Vor allem bei intravenöser Gabe von Zoledronat ist außerdem der Therapiezeitpunkt zu beachten, da es sich um eine Einmaldosis handelt, die rasch renal eliminiert wird. Bei noch anhaltender Denosumab-Wirkung sechs Monate nach der letzten Injektion könnte Zoledronat weniger effektiv sein als bei verzögerter Gabe, wenn die Wirkung von Denosumab nachlässt (erkennbar am Ansteigen der Resorptionsmarker) (11, 13, 14).
Eine weitere Therapiealternative stellt Teriparatide dar. Während Teriparatid nach oralen Bisphosphonaten (15) die vertebrale Knochenmineraldichte weiter steigert, kommt es bei postmenopausalen Frauen unter Teriparatid nach Denosumab zu einer (in Wirbelkörpern transienten) Abnahme der Knochenmineraldichte bei gleichzeitig besonders starker Zunahme des Knochenumbaus (16); eine Konstellation (siehe oben), welche mit erhöhtem Frakturrisiko assoziiert wird. Manche ExpertInnen sehen diesen Switch daher kritisch (4). Der Start einer Teriparatidtherapie sollte daher bei maximal supprimierten Resorptionsparametern entweder unter Denosumab oder nach deren protrahierter Suppression mit Zoledronat erfolgen. In der ersten randomisierten Placebo-kontrollierten direkten Vergleichsstudie zwischen Osteoporosetherapeutika wurde Teriparatid mit oralem Risedronat (Actonel, Generika) bei postmenopausalen Frauen verglichen (17). Eingeschlossen wurden Frauen mit multiplen Wirbelfrakturen, 75 % waren mit Antiresorptiva vorbehandelt. Nach zwei Jahren erlitten unter Teriparatid signifikant weniger Frauen eine neue vertebrale Fraktur (5 vs. 12 %). Da nur ein sehr geringer Teil der Patientinnen mit Denosumab vorbehandelt war, lassen sich keine Rückschlüsse auf die relative Wirksamkeit für dieses Kollektiv ziehen.
Daten für eine Therapie mit selektiven Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERM) nach Denosumab existieren bisher nicht.
3. Denosumab Therapie sollte jenen PatientInnen vorbehalten bleiben, für welche Bisphosphonate nicht in Frage kommen. Dies gilt insbesondere auch für die Anwendung von Denosumab bei sekundären Osteopathien, wie bei längerdauernder Corticosteroidtherapie (neue Indikation, siehe oben) und bei Patientinnen mit adjuvanter endokriner Therapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms mit Aromatasehemmern. Es ist zu bedenken, dass bei günstigem Krankheitsverlauf nach Absetzen der Glucocorticoide auch die Therapie mit Denosumab möglicherweise nicht über viele Jahre fortgesetzt werden muss. Therapeutische Alternativen (Bisphosphonate, Teriparatid) stehen auch für diese Indikation zur Verfügung.
4. Bei PatientInnen, bei welchen nach Absetzen ohne die empfohlene Anschlusstherapie (wie beim oben geschilderten Fall) eine Fraktur auftritt, sollte die Knochenresorption rasch (9) durch die neuerliche Gabe von Denosumab oder Zoledronsäure supprimiert werden. Das weitere Vorgehen (Dauer der Denosumabtherapie, Switch auf nachfolgende Therapie) ist nicht untersucht und muss daher individuell festgelegt werden.
Insgesamt könnte aber die derzeitige Datenlage, die auf einen möglichen therapeutischen Nachteil für Denosumab hinweist (rasch reversible Wirkung), dazu führen, dass eine Denosumabtherapie länger fortgesetzt wird als unbedingt erforderlich. Dies wird auch von der EMA so gesehen (18). Aufgrund der derzeit bestehenden Datenlage wurden entsprechende Warnhinweise, dass nach Absetzen der Behandlung mit Prolia insbesondere vertebrale und multiple vertebrale Frakturen, sowie ein Schwund der Knochenmineraldichte (BMD) auch unterhalb des Niveaus vor Beginn der Behandlung auftreten können, in mehreren Ländern (u.a. Schweiz, USA, Japan, Kanada) aufgenommen. Wir erachten die Aufnahme dieser Warnhinweise als sinnvoll. PatientInnen sollten auf ein mögliches erhöhtes Knochenbruchrisiko nach Therapieende aufmerksam gemacht werden, um zur strikten Einhaltung des Therapieintervalls zu motivieren und das Absetzen ohne ärztliche Verlaufskontrolle zu verhindern. Fazit: Epidemiologische Daten deuten auf einen raschen Wirkverlust nach Absetzen von Denosumab hin, welcher aus pharmakologischer Sicht plausibel erscheint. Aus ethischen Gründen ist davon auszugehen, dass dies nicht in prospektiven Studien belegt oder widerlegt werden kann. Switch-Studien, welche Evidenzbasiert eine geeignete Anschlusstherapie mit Fraktur-Outcome-Daten belegen, existieren derzeit nicht. Die hier diskutierten Risiken sollten bereits bei einer Indikationsstellung für eine Denosumab-Therapie berücksichtigt werden.
Literatur
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(17) Kendler, D. L. et al. Lancet (London, England), 2017
(18) EMA. Assessment Report Prolia, Procedure No. EMEA/H/C/001120/ II/0062, <http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Assessment_Report_-_Variation/human/001120/ WC500233877.pdf> (22 June 2017).
Salzarme Diät, Hypertonie und kardiovaskuläre Endpunkte: Frieden im Salzkrieg?
Natrium ist ein essentielles Ion, das mit der Nahrung aufgenommen werden muss, um Verluste auszugleichen. Wieviel durchschnittlich pro Tag konsumiert werden soll, gab allerdings seit der Publikation der DASH-Sodium-Studie im Jahr 2001 (1) Anlass zu heftigen Diskussionen, ob die international empfohlene niedrige Tageszufuhr von unter 5,8 g Kochsalz (entspricht 2,3 g oder 100 mmol Natrium) tatsächlich nützlich ist oder unter Umständen sogar Nachteile haben könnte. Immerhin bedeutet diese Empfehlung, dass nahezu die gesamte Erdbevölkerung ihre Kochsalzzufuhr z.T. sehr deutlich reduzieren müsste (2). Diese immer wieder geführte Kontroverse unter ExpertInnen freut besonders Redaktionen wissenschaftlicher (3, 4) und populärer Zeitschriften (5), denn nichts verkauft sich besser als Zweifel an so weitreichenden Ernährungsempfehlungen.
Die neuen Hypertonie-Guidelines (2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension; 6) empfehlen die Aufnahme von weniger als 5 g Kochsalz pro Tag (entspricht 2 g Natrium) für PatientInnen mit Hypertonie und hoch-normalem Blutdruck und legen den Wert niedriger als bisher (5-6 g/Tag; 7). Damit schließen sie sich dem Ziel der WHO an.
Aber welche Schlüsse können wir aus dieser Debatte ziehen, insbesondere in Hinblick auf die Beratung von HypertonikerInnen? Die existierende Evidenz zu Kochsalzrestriktion ist, kurz zusammengefasst, wie folgt:
Die Senkung des Blutdrucks durch Natriumrestriktion ist durch kontrollierte Studien belegt und unumstritten. Eine Cochrane-Metaanalyse errechnet, dass eine Restriktion um 4,4 g Kochsalz pro Tag zu einer Reduktion des Blutdrucks um 4,2/2,1 mm Hg, bei HypertonikerInnen etwas mehr (5,4/2,8 mm Hg) (8) und auch individuell unterschiedlich („Salz-sensitive“ PatientInnen) führt. Allerdings scheint dieser Effekt mit der Zeit abzunehmen (9), vor allem aufgrund mangelnder Therapiepersistenz. Die durchschnittliche Aufnahme in unserer Bevölkerung beträgt 9-12 g. Sogar bei intensiver Diätberatung und -betreuung in klinischen Studien ist üblicherweise, je nach Ausgangswert, nicht mehr als eine Reduktion von 2-4,4 g zu erwarten (10-14), sodass der Großteil der PatientInnen einen Zielwert von unter 5,8 g Kochsalz/Tag nicht erreicht (14, 15).
Der tatsächliche Nutzen betreffend kardiovaskuläre Endpunkte und Gesamtmortalität in der allgemeinen Bevölkerung oder bei PatientInnen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko ist unklar. Epidemiologische Studien sprechen allerdings deutlich dafür, dass sehr hohe Kochsalzzufuhr Hypertonie und kardiovaskuläres Risiko fördert und umgekehrt eine tägliche Kochsalzrestriktion auf 7,6-12,6 g NaCl (3-5 g Natrium) den Blutdruck und das kardiovaskuläre Risiko senken (9). Die im August veröffentlichten Ergebnisse der PURE-Kohortenstudie (16) haben die Diskussion zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen einer Kochsalzrestriktion auf die von den Guidelines vorgeschlagenen noch niedrigeren Zielwerte erneut entfacht. Diese Studie inkludierte 35-70-jährige Personen (95.767, 18 Länder) ohne kardiovaskuläre Erkrankung und untersuchte die Assoziation zwischen durchschnittlicher Kochsalzaufnahme und kardiovaskulären Outcomes in diesen Populationen über einen medianen Beobachtungszeitraum von 8,1 Jahren. Wie erwartet stieg der systolische Blutdruck im Schnitt um 2,86 mm Hg pro Gramm Zunahme der täglichen Kochsalzzufuhr. Auch war Kochsalzkonsum im obersten Drittel (> 12,9 g/Tag) signifikant häufiger mit schweren kardiovaskulären Ereignissen, hauptsächlich durch mehr Schlaganfälle, assoziiert, wobei sich diese Population großteils aus China rekrutierte (14 g/Tag). Umgekehrt wurde aber für Myokardinfarkt eine signifikant inverse Assoziation im niedrigsten Drittel (< 11,1 g/Tag) beobachtet. Dies weist auf mögliche Zielorgan-spezifische Effekte der Kochsalzrestriktion hin. Diese Ergebnisse unterstützen daher Kochsalzrestriktion bei sehr hoher Tageszufuhr, sprechen aber nicht für einen Nutzen sehr niedriger Zielwerte. In der PURE-Studie wurde auch eine inverse Assoziation zwischen Kaliumzufuhr und kardiovaskulärem Risiko bestätigt. Die Kaliumzufuhr könnte also den Zusammenhang zwischen Kochsalzzufuhr und kardiovaskulärem Risiko unabhängig vom Blutdruck modifizieren (9). Diese Beobachtung unterstützt Empfehlungen zu Kalium-reicher Ernährung.
In Summe sind sich also internationale ExpertInnengruppen nicht einig, ob eine Senkung der täglichen Kochsalzaufnahme auf unter 5 oder 5,8 g/Tag wissenschaftlich gerechtfertigt ist. BefürworterInnen und GegnerInnen haben sich daher im Mai 2017 getroffen und darauf geeinigt, dass nur eine randomisierte klinische Studie mit harten Endpunkten diese Frage endgültig beantworten kann (17). Allerdings ist aufgrund der schlechten Adhärenz eine solche Studie nur möglich, wenn Personen über sehr lange Zeit eine Diät bekommen, in der sie selbst die zugeführte Kochsalzmenge nicht selbst frei bestimmen können. Ein entsprechend komplexes Studiendesign wird diskutiert (17).
Fazit: In einer Population oder bei Individuen mit einer täglichen Kochsalzzufuhr über ca. 12,6 g (5 g Natrium) erscheint eine moderate Kochsalzrestriktion auf ca 7,5-12,6 g (3-5 g Natrium)/Tag sinnvoll. Dies dürfte auch durch entsprechende Diätberatung bei vielen PatientInnen erreich bar sein. Hypertensive PatientInnen profitieren von einer zusätzlichen Kochsalzrestriktion auf eine in Guidelines derzeit empfohlene Tageszufuhr von 5 g (2 g Natrium) durch zusätzliche geringe Blutdrucksenkung, was unter Umständen eine Dosisreduktion von Antihypertensiva ermöglicht, ebenso Personen mit hoch-normalem Blutdruck. Allerdings wird der Nutzen dieser zusätzlichen Blutdrucksenkung auf das kardiovaskuläre Risiko derzeit lediglich aus dem Surrogatparameter Blutdruck abgeleitet. Auch ist zu erwarten, dass dieser ambitionierte Zielwert über einen längeren Zeitraum nur von einer Minderheit der PatientInnen tatsächlich erreicht wird. Zusätzlich sollte auch zu einer Kalium-reichen Ernährung geraten werden, welche schmackhafter ist als Kochsalzrestriktion (18) und von PatientInnen leichter angenommen werden kann.
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Montag, 3. September 2018
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