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Tödlicher Sprung ins kalte Wasser

Jeden Sommer trüben tragische Badeunfälle die Urlaubsstimmung. Mit guten Schwimmkenntnissen, durchdachten Vorsichtsmaßnahmen und schnellen Rettungsmaßnahmen könnten zahlreiche Todesfälle verhindert werden. Barbara Sinner, Direktorin der Univ.-Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck erklärt im Interview, was beim Ertrinken passiert und worauf es bei der Ersten Hilfe und auf der Intensivstation ankommt.

Wie viele Menschen sterben durch Ertrinken?

Barbara Sinner: Nach Angaben des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) sind im vergangenen Jahr mindestens 39 Menschen in Österreich ertrunken, darunter drei Kinder und Jugendliche. Jährlich sterben laut der Statistik des KFV zwischen 22 und 47 Personen durch Ertrinken. Bei Kindern ist es nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Unfalltodesursache. Aus der Schwimmstudie des KFV geht hervor, dass 29 Prozent der über 50-Jährigen sich als unsichere Schwimmer bezeichnen und viele Eltern die Schwimmfähigkeit ihrer Kinder überschätzen. Zudem spielt es eine große Rolle, ob die Eltern selber schwimmen können oder nicht. Denn Kinder, deren Eltern nicht schwimmen, sind häufiger Ertrinkungsopfer. Das ist ein sozioökonomischer Risikofaktor.

Was passiert beim Ertrinken im Körper?

Beim Ertrinken schluckt man das Wasser nicht, es wird eingeatmet. Ein Kind kippt beispielsweise ins Wasser. Es hält unwillkürlich den Atem an, irgendwann versucht es doch, Luft zu holen und aspiriert dadurch Wasser in die Lunge. Die Lunge kann keinen Sauerstoff mehr aufnehmen. Das Kind wird hypoxisch, verliert das Bewusstsein, nach vier bis sechs Minuten kommt es zum Herz-Kreislauf-Stillstand. Das Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, nach acht bis zehn Minuten kommt es zum hypoxischen Hirnschaden.

Ein anderer Mechanismus, der gerade im Sommer sehr häufig ist: Draußen ist es sehr warm, das Wasser kalt. Wer zu schnell ins Wasser geht oder springt, erschrickt. Es kommt zu einer starken Aktivierung des Sympathikus und dadurch zur Ausschüttung von Katecholaminen. Das kann einerseits zu einem starken Blutdruckanstieg, aber vor allem zu einer Steigerung der Herzfrequenz (Tachykardie) führen. Möglicherweise kommt es zu Herzrhythmusstörungen, was besonders bei Risikogruppen einen Herzinfarkt auslösen kann. Andererseits hyperventilieren die Menschen aufgrund der Schreckreaktion und der Sympathikusaktivierung. Es kommt zur Muskelstarre und zu einer Panikreaktion. Wer ins Gewässer gesprungen ist, hält unter Wasser automatisch die Luft an. Beim Versuch, dann Luft zu holen, wird Wasser eingeatmet. Oder es kommt zum Stimmritzenkrampf und es gelangt gar kein Wasser in den Körper. Das nennt man „trockenes Ertrinken“. Nach zwei Minuten tritt eine Bewusstlosigkeit ein, nach vier bis sechs Minuten kommt es zum Herz-Kreislauf-Stillstand. Das Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, es wird also hypoxisch und schwer geschädigt. Ein solches Ertrinken endet häufig mit dem Hirntod.

Wie sollten Ersthelferinnen bzw. Ersthelfer reagieren?

Als Erstes: Notruf absetzen! Das ist das Wichtigste und dann kommt es darauf an, wo der Unfall passiert – Eigenschutz geht vor. Wenn jemand im freien Gewässer in Not gerät und sich vielleicht noch selbst helfen kann, kann man versuchen, einen Rettungsring zuzuwerfen. Gelingt das nicht, muss die Person aus dem Wasser gerettet werden. Dabei sollte immer an den Eigenschutz gedacht werden. Ertrinken Menschen, wird die Wasserrettung aktiviert. Beim Baden gilt es, besonders gut hinzuschauen, denn es ist nicht immer einfach, eine ertrinkende Person zu erkennen. Strampeln und Fuchteln können spielerisch wirken, obwohl jemand in Wirklichkeit in Not ist. Besonderes Augenmerk ist bei Kleinkindern notwendig. Sie ertrinken leise, weshalb man Kinder, die nicht schwimmen können niemals aus den Augen lassen darf.

Portät Barbara Sinner

„Es kommt wirklich darauf an, dass man Ertrinkende zügig rettet und die Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführt“, betont Klinikdirektorin Barbara Sinner. (Foto: MUI/C. Simon)

Das Ertrinkungsopfer wurde an Land gezogen. Welche Erste-Hilfe-Maßnahmen sind jetzt notwendig?

Bei Badeunfällen gilt wie bei allen Notfällen die so genannte ABCDE-Regel: A steht für Atemwege (Airway) freimachen, B (Breathing): Kontrollieren, ob die/der PatientIn atmet. C (Circulation): Puls tasten. Wenn kein Puls vorhanden ist, sofort mit der Reanimation starten. D steht für Disability und kann im Zusammenhang mit Ertrinkungsopfern bedeuten, dass die Person zwar einen Kreislauf hat, aber bewusstlos ist. Man bringt sie in die stabile Seitenlage. E steht für Exposure: Nasse und kalte Kleidung ausziehen. Damit kann man verhindern, dass die/der PatientIn zu stark auskühlt. Es geht um die Reihenfolge – dabei sind A bis C essentiell.

Wie reanimiert man bei Ertrinkungsunfällen?

Die Abfolge lautet: 2-mal Beatmen, 30-mal Herzdruckmassage. Die Herzdruckmassage ist das Wichtigste.

Wie geht es in der Klinik weiter? 

Das hängt davon ab, in welchem Zustand sich die PatientInnen nach dem Ertrinkungsunfall befinden. Auch wache und ansprechbare Personen kommen in der Regel zunächst in den Unfall-Schockraum. Dort erfolgt weitere Diagnostik. Nicht selten ist Ertrinken die Folge eines Unfalls – etwa durch Verletzungen der Halswirbelsäule, des Brustkorbs und Abdomens nach einem Sprung ins Wasser. Ist kontinuierliche Wiederbelebung erforderlich oder die Lunge akut aufgrund des eingedrungenen Wassers so geschädigt, dass eine Sauerstoffversorgung des Körpers nicht gesichert ist, so wird meist eine Extracorporale Membranoxygenierung (ECMO) angelegt. Die PatientInnen werden dann auf der Intensivstation weiter betreut.

Entscheidend ist die Sauerstoffversorgung des Gehirns und die sich daraus ergebende Hirnschädigung. Das Ausmaß dieser Schädigung zeichnet sich in der Regel erst nach mehreren Stunden oder Tagen ab, sodass wir in der Anfangsphase meist keine Aussage zur Prognose treffen können. Es kommt wirklich darauf an, dass man Ertrinkende zügig rettet und die Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführt.

Welche Personen haben ein erhöhtes Risiko zu ertrinken?

Neben dem erwähnten sozioökonomischen Hintergrund als Risikofaktor gibt es im Wesentlichen drei Risikogruppen. Das sind Kleinkinder (0 bis 4 Jahre), Jugendliche (15 bis 19 Jahre) und die über 65-jährigen Menschen.

Kleine Kinder sind neugierig, können in diesem Alter noch nicht schwimmen und sie haben einen relativ schweren Kopf, der 25 Prozent des Körpergewichts ausmacht (vgl. Erwachsene: 8 Prozent). Kleinkinder ertrinken am häufigsten in der Badewanne oder im Planschbecken und sie ertrinken leise. Sie schaffen es nicht mehr, ihren Kopf hochzuziehen, daher sind auch seichte Gewässer eine Gefahr.

Bei den 15- bis 19-Jährigen sind hauptsächlich die Buben betroffen. Sie sind generell risikofreudiger und gehen häufiger ins Wasser als Mädchen. Unter Umständen überschätzen sie auch ihre Schwimmfähigkeit. Drogen und Alkohol spielen in diesem Alter öfters eine Rolle. Jugendliche ertrinken eher in Schwimmbädern und Badeseen, zusätzlich haben sie gelegentlich Verletzungen, die sie sich beim Sprung ins Wasser zugezogen haben.

Bei den über 65-Jährigen liegt dem Badeunfall meistens eine Herz-Kreislauf- oder neurologische Erkrankung zugrunde, wie z.B. ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, der letztlich durch die beschriebene Stressreaktion ausgelöst werden kann. Auch bei ihnen kommt oft noch eine zusätzliche Verletzung hinzu. Generell sind Alkohol- und Drogenkonsum bei Unfällen ein zunehmendes Thema.

Welche Vorsichtsmaßnahmen empfehlen sie?

Für alle gilt: Nicht abrupt abkühlen, sondern vorher duschen oder sich langsam – Beine und Arme zuerst – ins Wasser vortasten. Nicht alleine in ein offenes Gewässer zum Schwimmen gehen, damit im Notfall schnell Hilfe geleistet werden kann. Nicht alkoholisiert oder unter Drogeneinfluss schwimmen.
Kinder brauchen immer Aufsicht, auch in der Badewanne (Faustregel: eine Armlänge Abstand). Gartenteiche und Planschbecken sollten umzäunt und/oder abgedeckt sein. Auf Schwimmhilfen wie Reifen oder Flügel ist kein Verlass. Im schlimmsten Fall können Kinder kopfüber darin hängen bleiben.
Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen können zuerst ärztlich abklären, ob sie schwimmen dürfen und unter Umständen besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. So sollte man kurz nach einem Schlaganfall gar nicht schwimmen und mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders kalte Gewässer meiden und in Thermalbädern vorsichtig sein.

Das Interview führte Theresa Mair

(Innsbruck, 23. Juli 2025, Portraitfoto: MUI/C. Simon, Symbolbild: Canva)

Über Barbara Sinner
Univ.-Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin

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