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Nicht nur eine harmlose Schwellung

Angioödeme sind in Tirol unterdiagnostiziert. Diese Wassereinlagerungen aus den Gefäßen treten selten auf, können aber mitunter lebensbedrohlich sein. Felix Johnson von der Univ.-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Med Uni Innsbruck hat mit KollegInnen in Deutschland eine Studie durchgeführt, bei der die Wirkung eines vorbeugenden Medikaments für bestimmte Angioödem-Varianten erstmals bestätigt werden konnte. An der Innsbrucker HNO wurde eine Angioödem-Sprechstunde eingerichtet.

Binnen weniger Minuten schwillt die Hand an, die Lippe oder das Augenlid. Spätestens innerhalb eines Tages ist die Schwellung wieder weg. Doch die Wassereinlagerungen können in unregelmäßigen Abständen an den unterschiedlichsten Haut- und Schleimhautbereichen wiederkommen, entstellend und sehr schmerzhaft sein. Magen, Darm, Genitalien und der Kehlkopfbereich sind mitunter betroffen. Letzteres ist wegen Atemnot und Erstickungsgefahr besonders gefährlich. Daher ist die neue Angioödem Sprechstunde an der Univ.-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO; Direktor: Benedikt Hofauer) angesiedelt. Sie wird von Oberarzt Felix Johnson geleitet.

Grob wird zwischen drei Varianten von Angioödemen unterschieden: den allergiebedingten, sowie hereditären (erblichen) und erworbenen Bradykinin* induzierten Angioödemen. In einer Untersuchung, die kürzlich im Fachjournal Clinical Reviews in Allergy & Immunology veröffentlicht wurde, beschäftigte sich Johnson mit KollegInnen an der Univ.-Klinik für HNO in Innsbruck, dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) und dem Universitätsklinikum Ulm mit der symptomatischen Therapie von seltenen hereditären und erworbenen Bradykinin induzierten Angioödemen.

Bei beiden dieser Seltenen Krankheiten fehlt im Blut der C1-Esterase-Inhibitor. Dies hat wiederum einen Mangel an Bradykinin zur Folge, welches den Wasserhaushalt in den Gefäßen reguliert. Wasser kann unkontrolliert austreten und sich im Gewebe einlagern. Bei der hereditären Form liegt die Ursache in einem Gendefekt. „Die erworbene Variante entsteht vorrangig in Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen und als Frühsymptom von beginnenden Blutkrebserkrankungen“, erklärt Johnson.

Vorbeugendes Medikament in Vergleichsstudie erstmals getestet

In der Vergleichsstudie testeten die MedizinerInnen bei einer geringen TeilnehmerInnenzahl (insges. 13 PatientInnen mit hereditärem oder erworbenem Angioödem) erstmals die Wirksamkeit von Berotralstat bei erworbenen Angioödemen um Schwellungen vorzubeugen. Der Wirkstoff, der in Tablettenform eingenommen wird, ist seit wenigen Jahren bei hereditärem Angioödem zugelassen, für die Zulassung bei erworbenem Angioödem fehlen bisher die notwendigen Studien. Die erste Untersuchung der MedizinerInnen ergab nun, dass Berotralstat bei beiden Bradykinin induzierten Formen von Wassereinlagerungen genauso gut wirksam ist. Als Nebenwirkung der Therapie sind Magen-Darmbeschwerden erfasst. 

Neben dem vorbeugenden Mittel gibt es bereits eine Reihe an Akutbehandlungen, die den Betroffenen als Notfallmedikation zur Verfügung gestellt werden und, die sie sich bei Schwellungsattacken spritzen können. „Manche Betroffene haben mehrmals wöchentlich Attacken, andere nur einmal im Jahr. Daher muss man mit den Patientinnen und Patienten gemeinsam besprechen, welche Therapie für sie Sinn ergibt. Jeder braucht aber zumindest die Notfallspritze und einen Notfallpass, damit ErsthelferInnen über die Diagnose informiert sind. Antihistaminika und Kortison, die üblichen Medikamente, die bei allergisch bedingten Schwellungen verabreicht werden, wirken bei Bradykinin induzierten Angioödemen nämlich nicht“, warnt Johnson.

Neue Sprechstunde für Bradykinin induzierte Angioödeme

Die Diagnose beider Varianten von Bradykinin induzierten Angioödemen wird unkompliziert mittels Laboruntersuchung des Blutes gestellt. Allerdings ist die Krankheit mit einem Auftreten von 1:50.000 (hereditäres Angioödem) und 1,5:100.000 (erworbenes Angioödem) sehr selten und daher auch unter MedizinerInnen wenig bekannt. Das möchte Johnson ändern und zur Bewusstseinsbildung in Ärzteschaft und Bevölkerung beitragen. „München und Ulm sind große Zentren für Bradykinin induzierte Angioödeme mit jeweils mehr als 100 PatientInnen. In Innsbruck haben wir bisher keine PatientInnen aus Österreich. Das liegt nicht etwa daran, dass es die Krankheit hier nicht gäbe, sondern, dass sie nicht bekannt ist“, sagt er.

Mit Herbstbeginn richtete die Univ.-Klinik für HNO daher eine Sprechstunde für Angioödem (jeweils Dienstag von 14 bis 15:30 Uhr nach Terminvereinbarung unter Tel. +43 (0) 50 504 23147 oder E-Mail: lki.hn.ambulanz@tirol-kliniken.at) ein.

Am 24. Jänner 2024 findet außerdem eine Informationsveranstaltung für alle interessierten MedizinerInnen in Tirol statt (Anmeldung: HNO-Direktion, Fr. Angelika Kanton, Tel. +43 (0) 50 504 23141 oder E-Mail: lki.hn.events@tirol-kliniken.at).

* Bradykinin spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Entzündungen sowie allergischen Reaktionen. Bei einem niedrigen Bradykinin Spiegel entsteht eine Gefäßerweiterung und erhöhte Gefäßdurchlässigkeit für das Wasser im Blut.

(Innsbruck, 21. Nov. 2023, Text: T. Mair, Bilder: shutterstock, HNO Innsbruck)

Forschungsarbeit:
Johnson, F., Stenzl, A., Hofauer, B. et al. A Retrospective Analysis of Long-Term Prophylaxis with Berotralstat in Patients with Hereditary Angioedema and Acquired C1-Inhibitor Deficiency—Real-World Data. Clinic Rev Allerg Immunol (2023). https://doi.org/10.1007/s12016-023-08972-2

 

Zur Person:

Felix Johnson ist in Frankreich und Florida aufgewachsen, wo er auch ein vierjähriges Bachelorstudium in Neurobiologie absolvierte. Danach studierte er in Marburg (D) Humanmedizin. Die Assistenz- und Facharztausbildung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde machte er am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), wo er auch eine Zusatz-Weiterbildung für Allergologie absolvierte. Dort leitete er die Angioödem-Sprechstunde und führte zahlreiche klinische Studien zum Thema Angioödem. Seit Sommer 2023 ist er an der Univ.-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in Innsbruck als Oberarzt tätig. Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen auf dem Angioödem, in der Erforschung von HNO-Tumoren und Autoimmunerkrankung sowie in der Ultraschalldiagnostik.

Link:

Univ.-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde 

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