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Von Mäusen und Wisenten

Im Innsbrucker Alpenzoo diskutierten vom 30. August bis 1. September WissenschafterInnen aus sechs Staaten während eines Symposiums den neuesten Stand in Sachen Allometrie. Hintergrund des Treffens ist ein in jeglicher Hinsicht unkonventionelles Forschungsprojekt, an dem Thomas Haller von der Medizin Uni Innsbruck, Peter Kotanko vom Renal Research Institute New York und André Stadler vom Alpenzoo beteiligt sind.

Kennen Sie die Maus-Elefanten-Beziehung? Schnell erklärt geht es dabei um die Relation von Stoffwechselintensität und Größe: Ein Gramm Elefant verbraucht weniger als ein Prozent der Energie, die ein Gramm Maus benötigt – mit der Konsequenz, dass der Elefant zwar viel frisst, aber relativ wenig in Bezug auf seine Körpermasse. Wohingegen eine Etruskerspitzmaus – das kleinste Säugetier der Welt und gerade mal so groß wie ein Streichholz – ein Vielfaches ihres Körpergewichts pro Tag verzehren kann. Es scheint eine Gesetzmäßigkeit im Tierreich zu geben, die besagt, dass sich der Grundumsatz von Lebewesen mit der Körpermasse im Verhältnis von einer Dreiviertel-Potenz bewegt. Auch zahlreiche andere physiologische Größen stehen mit der Masse eines Lebewesens in einem nichtlinearen Zusammenhang, man spricht dabei von einer allometrischen Relation. An der Medizinischen Universität Innsbruck beschäftigt sich Thomas Haller vom Institut für Physiologie (Direktorin: Michaela Kress) mit Allometrie. „Vieles, von der Wärmeabstrahlung bis hin zur Sauerstoffaufnahme, von der Herzfrequenz über die Reproduktionszahl bis hin zur Lebenserwartung, variiert mit der Körpermasse, aber selten isometrisch, also im Verhältnis 1:1, sondern eben allometrisch“, erklärt Haller.

Dennoch ist die Auseinandersetzung mit Allometrie aus seiner Sicht in den vergangenen Jahrzehnten eingeschlafen. Um sie wieder aufzuwecken, hat er unter Federführung von Peter Kotanko (Direktor des Renal Research Institute in New York) mit Zoodirektor André Stadler und David Jörg (theoretischer Physiker, Fresenius Medical Care Frankfurt) das Symposium „Allometry and Scaling in Biology“ organisiert, das sie vom 30. August bis 1. September im Innsbrucker Alpenzoo abhielten.

Hinter dem außergewöhnlichen Veranstaltungsort steht ein mindestens genauso außergewöhnliches Projekt. Die Forschungsfrage dafür hat Peter Kotanko, der selbst einige Jahre am Institut für Physiologie der Med Uni tätig war, geliefert. Dabei geht es um die Beziehung zwischen Körpermasse und Sauerstoffbindungsfähigkeit von Blut. „Diese ist zwar seit den 1950er Jahren bekannt, wurde aber mit unterschiedlichen und teils ungenauen Methoden und unvollständig ermittelt“, erklärt Haller. Ein Ergebnis der damaligen Untersuchungen sei gewesen, dass Hämoglobin eine umso geringere Affinität zu Sauerstoff hat, je kleiner die Körpermasse des untersuchten Säugetiers ist. Die Ursachen für diesen Befund sind nach wie vor unklar. Jedoch könnte sich dahinter ein interessantes und bisher unbekanntes Skalierungsproblem verstecken, das mit dem Blutkreislauf und der Zirkulationszeit von roten Blutkörperchen zu tun hat, und genau diese Hypothese wollen wir überprüfen, sagt der Physiologe. Denn immerhin hat das Thema auch eine klare medizinische Relevanz. Und da kommt der Alpenzoo ins Spiel.

Im Zuge des Forschungsprojekts nehmen die WissenschafterInnen von zehn Säugetierarten des Alpenzoos – von der weiblichen Spitzmaus bis zum Wisentbullen, dem größten europäischen Landtier – ein Tröpfchen Blut ab. Der Aufwand, alle Tiere dafür zu betäuben, wäre allerdings viel zu groß. Immerhin würde dies eine Tierversuchsgenehmigung voraussetzen und enormen Stress für die Tiere bedeuten. Hier kommt es den ExpertInnen zugute, dass sich Alpenzoo-Direktor André Stadler bereits in seiner Dissertation mit Raubwanzen beschäftigt hat. „Wir verteilen die Wanzen, die natürlich steril sind, auf den Tieren, nach zwanzig Minuten haben sie sich mit Blut vollgesaugt und fallen ab. Dann müssen wir sie nur noch einsammeln und ihnen das aufgenommene Blut entnehmen. Pro Art nehmen wir Proben von jeweils männlichen und weiblichen Individuen“, sagt Haller, der sich auch für Geschlechtsunterschiede interessiert. Für die Säuger sei die unkonventionelle Weise der Blutentnahme komplett schmerzfrei, sie würde sie nicht einmal bemerken. Die Forscher, die in dem Projekt ohne Drittmittel auskommen, haben diese Methode bereits eingehend überprüft: Blut aus den Wanzen hat dieselbe Qualität wie bei einer gewöhnlichen venösen Entnahme, schildert Haller.

Die Blutentnahme übernehmen Raubwanzen. (Foto: MUI/T. Haller)

Auch der Alpenzoo profitiert von dem Forschungsprojekt, wie Stadler sagt: "Medizinische Forschung oder Forschung generell ist eine der vier Säulen moderner Zoologischer Gärten. Diese Forschung ist von grundlegender Bedeutung für den Schutz und den Erhalt unserer am stärksten bedrohten Arten und dazu gehört eben auch die Forschung in der Humanmedizin, an der Zoos wie der Alpenzoo teilnehmen. Für Forscherinnen und Forscher, Praktikerinnen und Praktiker sowie für Studierende bietet die Zusammenarbeit zwischen Zoos und öffentlichen Gesundheitseinrichtungen die Möglichkeit, diesen transdisziplinären Ansatz sowohl zu lehren als auch in die Praxis umzusetzen, und das ist genau mein Ansatz bei unserer Forschungsfrage."

Bei ihren Untersuchungen und Analysen können die Innsbrucker auf eine Erfindung zurückgreifen, die sie vor rund zwei Jahren gemeinsam mit der EURAC Research in Bozen patentieren ließen: ein Gerät zur Messung der Sauerstoffbindungskurve (siehe: Bericht). Derzeit entwickeln sie außerdem eine Methode zur Bestimmung des Alters von roten Blutkörperchen. In Kooperation mit Herbert Oberacher vom Institut für Gerichtliche Medizin sollen außerdem noch weitere biochemische intrazelluläre Parameter bestimmt werden. Haller geht davon aus, dass noch in diesem Jahr alle Blutentnahmen abgeschlossen sind – nur ein Tier fehlt ihm dann noch: „Ich möchte auch noch das Blut von einem Elefanten, dem größten Landsäugetier, haben. Wir versuchen, es in Kooperation mit einem anderen Zoo zu bekommen“

(Innsbruck, am 05. September 2023, Text: T. Mair, Bilder: Thomas Haller, Alpenzoo Innsbruck)

Weiterführende Links:

myPoint-Bericht „Patent eröffnet neue Forschungswege“: https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/764297.html

Institut für Physiologie, Medizinische Universität Innsbruck: https://www.i-med.ac.at/dpmp/physiologie/

Alpenzoo Innsbruck: https://www.alpenzoo.at/de/

Renal Research Institute New York: https://renalresearch.com/

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