Wie kann man Rechnen lernen?
Was geht beim Rechnen im Gehirn vor? Funktionelle Kernspintomografie macht es sichtbar. An der Innsbrucker Uniklinik für Neurologie untersuchen Prof. Margarete Delazer und ihr Team mit diesem bildgebenden Verfahren Veränderungen in Hirnaktivierungsmustern, während die Versuchspersonen Rechenaufgaben lösen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse helfen bei der Entwicklung von Methoden zum (Wieder)erlernen rechnerischer Fähigkeiten.
Teilleistungsstörungen im Bereich Lesen und Schreiben sind mittlerweile ziemlich gut erforscht, beim Rechnen gibt es noch viel zu erkunden. Das Problem wird allgemein noch wenig wahrgenommen, dabei gehen aktuelle Schätzungen davon aus, dass zwischen 3 und 5 % der Bevölkerung davon betroffen sind, das wären allein in der EU 11 bis 19 Millionen Menschen. Das Innsbrucker Team ist eine von acht Forschungsgruppen von NUMBRA, dem Marie Curie Research Training Network für NUMeracy and BRAin Development im 6. Rahmenprogramm der EU. Jedes Team behandelt einen Aspekt der Rechenfähigkeit. Die Innsbrucker Gruppe arbeitet mit Patienten mit erworbenen Störungen der Zahlenverarbeitung und entwickelt Möglichkeiten zur Rehabilitation. Weiters versucht das Innsbrucker Team mit funktioneller Kernspintomografie (fMRI) herauszufinden, welche Areale im Gehirn beim Erwerb und der Anwendung von Wissen aktiviert werden. Dieses bildgebende Diagnostikverfahren kann den Verlauf von Denkprozessen darstellen. Das NUMBRA-Team arbeitet hier eng mit den Spezialisten aus der Uniklinik für Radiodiagnostik, Prof. Stephan Felber und Prof. Michael Schocke zusammen.
Geheimnisvolle Kulturtechnik
Prof. Delazer interessiert sich vor allem für die Entwicklung der Rechenfähigkeit, aber auch für mögliche Beziehungen zwischen Rechenschwäche und anderen kognitiven Fähigkeiten wie Sprache, Raumwahrnehmung oder Gedächtnis. Untersuchungen an gehirngeschädigten Patientinnen und Patienten (etwa nach einem Schlaganfall) haben gezeigt, dass selbst beim Lösen einfacher Rechenaufgaben mehrere Bereiche im Gehirn zusammenarbeiten. Ziel der aktuellen Forschung ist es, Lern- und Interventionsparadigmen zu entwickeln und ihre Wirksamkeit zu testen.
Ein Bild der Rechenvorgänge
Zwei fMRI-Studien aus dem NUMBRA-Projekt wurden bereits in der Zeitschrift Neuroimage veröffentlicht. In der ersten Studie lernte eine Gruppe von gesunden Erwachsenen, nach zwei verschiedenen Methoden komplexe arithmetische Operationen durchzuführen. Bei der Anwendung der neu erworbenen Fähigkeiten konnte gezeigt werden, dass je nach Lernmethode unterschiedliche Lokalisationen im Gehirn aktiviert wurden. In der zweiten Studie wurden die Versuchspersonen im Subtrahieren und Multiplizieren trainiert. Dabei zeigte sich, dass durch das Training beim Subtrahieren die Aktivierung allgemeiner Ressourcen abnahm und durch schnellere, effizientere Strategien ersetzt wurde. Beim Multiplizieren verlagerte sich die kortikale Aktivierung von jenen Stellen im Gehirn, die für mengenbasierte Verarbeitung zuständig sind, auf diejenigen, die mit dem Abruf automatisierter Vorgänge assoziiert werden.
Übung, Vorgangsweise und Grundwissen
Ist das Einmaleins ein automatisierter Vorgang? Wird es vom Gehirn wie ein Gedicht behandelt? Wie arbeiten die Sprachzentren im Gehirn mit den Lokalisationen für das Rechnen zusammen? Das NUMBRA-Team fand in einer fMRI-Studie heraus, dass beim Multiplizieren Fakten aus dem verbalen Gedächtnis abgerufen werden und ähnliche Hirnaktivierungsmuster wie bei der Sprachverarbeitung auftreten, während beim Subtrahieren die Aktivierungsmuster bilateral und weniger sprachgebunden sind. Weitere fMRI-Studien werden vorbereitet. Sie sollen Aufschluss geben über die Auswirkungen von längerem Training, verschiedenen Übungsmethoden und unterschiedlichem Grund- und Fachwissen auf das Lernen und die entsprechenden Hirnaktivierungsmuster. Dabei untersucht die Innsbrucker Gruppe z.B. mögliche funktionelle Optimierung durch intensiveres Training, Unterschiede in den Hirnaktivierungsmustern von guten und schlechten, alten und jungen Rechnenden. Solche Grundlagenforschung liefert wertvolle Erkenntnisse für die gezielte Behandlung von Defiziten bei rechenschwachen Kindern ebenso wie bei Personen, die durch Schlaganfall, degenerative Erkrankungen oder Schädel-Hirntrauma ihre Fähigkeit zur Zahlenverarbeitung eingebüßt haben.