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Inhalt

 

Analgetica, Antipyretica, Antiphlogistica

Wir haben bereits die Salizylate, Phenazetin, Paracetamol und die Pyrazolderivate besprochen. Wir werden nun weitere, nicht steroidale Antirheumatica (NSA), die, wie der Namen schon sagt, vor allem als Entzündungshemmer, aber auch wegen ihrer analgetischen Wirkung relevant sind, besprechen. Wir werden die einzelnen Gruppen, nach ihrer Chemie eingeteilt, behandeln (1, 2). Dabei wird sich zeigen, daß sehr viele Präparate geringfügige Modifikationen der gleichen chemischen Struktur darstellen. Um eine Übersicht zu gewinnen, möchten wir vor allem Gemeinsamkeiten betonen, dann aber auch mögliche Unterscheidungsmerkmale hervorheben, um zu einer Risiko-Nutzen-Abwägung beizutragen. Die quantitative Bedeutung dieser Mittel ist dadurch belegt, daß z. B. 1985 eines dieser Präparate für die Sozialversicherung in Österreich bei einer Million Verordnungen Kosten von 180 Mio. S bedeutet hat.
Allen diesen Mitteln gemeinsam ist die Hemmung der Prostaglandinsynthese (siehe Pharmainformation 2/1) als wohl wesentlicher Teil ihrer Wirkung. Im Tierversuch ist ihre antiphlogistische Wirkung leicht nachweisbar (z. B. Hemmung von chemisch ausgelösten Ödemen oder von Entzündungsreaktionen). Am Menschen sind ihre Wirkungen durch zahlreiche Studien, insbesondere auch, was gerade bei schmerzhaften rheumatischen Erkrankungen wichtig ist, durch Doppelblindstudien belegt, wobei hier versucht wird, Parameter wie Vorliegen entzündeter Gelenke, Morgensteifigkeit, Änderung der Greifkraft und ähnliches objektiv zu messen. Schlüssige Vergleiche der Substanzen untereinander bezüglich Wirkung und Nebenwirkung sind aufgrund dieser Studien nicht immer leicht, da oft unterschiedliche Kriterien verwendet werden. Zum Beispiel schließen Anfangsstudien oft sehr viele leichte Fälle ein, so daß bei niederen Dosen eine gute Wirkung mit wenig Nebenwirkungen demonstriert werden kann, oder eine Substanz wird, je nachdem, was man betonen will, mit höheren Dosen (mehr Nebenwirkungen) oder niederen Dosen (weniger Wirkung) anderer Substanzen verglichen (3). Einzelne Studien in diesem schwierigen Gebiet sagen daher wenig aus, sondern nur viele Studien gepaart mit langjähriger klinischer Erfahrung sind relevant. NSA hemmen Symptome wie Schmerzen und Entzündungsreaktionen, dürften aber eher nicht den Krankheitsverlauf beeinflussen (3), obwohl es dazu keine Studien gibt und wohl auch geben kann, die dies ausschließen.

 

Propionsäurederivate

Diese Gruppe begann 1969 mit Ibuprofen und hat sich inzwischen stark ausgeweitet. In Österreich sind registriert und lieferbar: (Ibuprofen (Brufen), Fenbufen (Lederfen), Flurbiprofen (Froben), Ketoprofen (Profenid), Naproxen (Proxen), Tiaprofensäure (Surgamyl). 
Wirkung: Mittelstark wirksame Antiphlogistica. Unterschiede ergeben sich am ehesten aus der Kinetik mit Ibuprofen und anderen mit einer relativ kurzen Halbwertszeit (2 Stunden), am anderen Ende Naproxen mit 12 Stunden (4).
Nebenwirkungen: Generelle NSA-Nebenwirkungen (siehe unten), Hör- und Sehstörungen, Östeme, vereinzelt Agranulozytosen (2). Das zu dieser Gruppe gehörende Präparat Benaxoprofen (Coxigon) wurde vor allem in England und in der BRD vor einigen Jahren mit großem Propagandaaufwand eingeführt, sehr schnell (!) viel verwendet, mußte dann unter anderem wegen Dutzenden von Todesfällen durch Leberschädigung zurückgezogen werden.
Verwendung und Bewertung: Diese Gruppe enthält langbewährte Präparate (6) Ibuprofen (Brufen) und Naproxen (Proxen) mit einem relativ (!) günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis (z. B. im Vergleich zu Salizylaten oder Pyrazolderivaten). Dies muß aber, wie das Beispiel Benoxaprofen zeigt, nicht für alle Präparate gelten, und daher ist jede neu eingeführte Substanz zuerst mit Vorsicht zu betrachten.
Neben der Verwendung bei rheumatischen Erkrankungen (siehe unten) und Dysmenorrhoen (siehe unten), wurden diese Präparate auch wegen ihrer analgetischen Wirkung bei Weichteilverletzungen, Schmerzen nach Geburt und Operationen und bei Carcinom-Schmerzen, vor allem, wenn diese bei Knochenmetastasen auftreten (6a), eingesetzt (1, 5). Für die Präparate Fenbufen (Risiko von Haut- und Leberkomplikationen) Flurbiprofen, Ketoprofen und Tiaprofensäure sind keine Vorteile gegenüber den langbewährten Präparaten zu sehen (7).
So hat z. B. in England die in Anzeigen gemachte Behauptung, daß Tiaprofensäure (Surgamyl) über eine differenzierte Hemmung der Prostaglandinsynthese den Magen schützt, zur Verurteilung der diese Substanz in England vertretenden Firma geführt, da der klinische Nachweis für diese Behauptung nicht vorliege (7a).

 

Arylessigsäurederivate

Zu dieser Gruppe gehören Diclofenac (Magluphen, Voltaren) und auch Tolmetin (Tolectin), Lonazolac (Irritren) und Pirprofen (Rengasil).
Wirkung: Mittelstark wirksame Antiphlogistica.
Nebenwirkungen: Generelle siehe unten, Hauterscheinungen und selten Blutbildschäden.
Verwendung und Bewertung: Diclofenac ist für diese Gruppe als bewährtes Mittel anzusehen. Das dem Tolmetin chemisch verwandte Zomepirac wurde wegen schwerer, anaphylaktischer Reaktionen aus dem Handel gezogen, Tolmetin scheint durch diese Nebenwirkungen ebenfalls belastet zu sein (1, 5, 8). Für Lonazolac und Pirprofen ist der Erprobungsgrad zu gering, um diese Substanzen gegenüber den bewährten Verbindungen bewerten zu können,
Diclofenac wurde auch als Analgeticum eingesetzt bei postoperativem Schmerz, Verletzungen, nach Mundoperationen und, wie bereits diskutiert (Pharmainformation 2/2), zur Behandlung von Koliken.

 

Indolderivate

Hiezu gehören Indomethazin (Indo-Arcana, Indocid, Gaurit, Ralizid), Sulindac (Clinoril) Azemetacin (Rheutrop). Indomethazin hat einen starken antiphlogistischen Effekt. Die Substanz ist aber mit relativ häufigen Nebenwirkungen (bis zu 50%) belastet, wobei zu den für NSA typischen Nebenwirkungen Kopfschmerzen (bis 50%), Übelkeit, Depressionen und Schwindel dazukommen. Bis zu 20% der Patienten müssen wegen dieser Nebenwirkungen die Substanz absetzen (5). In seltenen Fällen wurden auch Agranulozytosen und aplastischen Anämien beobachtet.

Sulindac (Clinoril) ist etwas schwächer (5), es ist eine sogenannte Prodrug, die erst nach Umwandlung im Organismus aktiv wird. Damit erhoffte man sich eine geringere Belastung des Magen-Darm-Traktes. Da diese Nebenwirkung allerdings weniger auf eine lokale Schädigung, sondern vor allem auf die generelle Hemmung der Prostaglandinsynthese zurückzuführen ist, kann dies höchstens teilweise der Fall sein. Die Prostaglandinsynthese in der Niere wird durch diese Substanz geringer gehemmt, sodaß hier die Beeinflussung der Nierenfunktion (siehe unten) geringer sein dürfte. Im gesamten gesehen sind die Nebenwirkungen ähnlich wie bei Indomethazin, aber es dürfte eine bessere Verträglichkeit vorliegen. 
Azemetacin (9, Rheutrop) ist ein Ester von Indomethazin und wird erst in vivo in Indomethazin umgewandelt. Auch hier erwartete man sich deshalb eine geringere Störung im Magen-Darm-Bereich, und dies scheint auch in ersten Studien der noch sehr neuen Substanz bestätigt zu werden. Da aber Azemetazin im Organismus in Indomethazin umgewandelt wird, ist letztlich ein sehr ähnliches Wirkungsspektrum zu erwarten. 
Bewertung: Indomethazin ist eine sehr wirksame Substanz, die bei schweren Krankheitsformen trotz ihrer Nebenwirkungen indiziert ist. Sollte die Verträglichkeit dieses schon lange verwendeten Präparates beim einzelnen Patienten schlecht sein, kann man auf Sulindac (Clinoril) und notfalls auf das noch nicht sehr intensiv getestete Azemetacin (Rheutrop) auszuweichen versuchen.

 

Antranilsäurederivate

Hiezu gehören Mefenamsäure (Parkemed) und Nifluminsäure (Actol). Bei der Wirkung steht bei diesen Substanzen auch eine starke analgetische Wirkung im Vergleich zur antiphlogistischen Wirkung im Vordergrund.
Nebenwirkungen: Relativ häufig Magen-Darm-Störungen, typischerweise sehr oft auch Durchfälle, selten hämolytische Anämien und das Auftreten von Nierenschäden.
Verwendung und Bewertung: Da die analgetische Wirkung deutlich ausgeprägt ist, werden die Substanzen auch für postoperative Schmerzen und ähnliches verwendet. Die möglichen Nierenschädigungen sind allerdings gerade postoperativ ein Nachteil (7). In der antirheumatischen Therapie sind sie vor allem aufgrund der häufigen Magen-Darm-Störungen Mittel zweiter Wahl (7).

 

Oxicame

Zu dieser Gruppe gehören Piroxicam (Felden) und das Präparat Isoxicam (Pacyl), das wegen schwerer Nebenwirkungen, z. B. tödlichen Hauterkrankungen, vor kurzem zurückgezogen wurde (siehe Pharmainformation 1/1).
Wirkung: Piroxicam (10) hat eine belegte antiphlogistische Wirkung.
Nebenwirkungen: Diese entsprechen den generellen Nebenwirkungen (siehe unten). 
Bewertung: Die Nebenwirkungen von Isoxicam, die zum Rückzug dieses Präparates führten, könnten mit der langen Halbwertszeit dieses Präparates zusammenhängen, wie dies z. B. auch bei Langzeitsulfonamiden (vergleiche Probleme von schweren Hautschäden beim Malariamittel Fansidar) der Fall ist. Piroxicam (Felden) wird daher auch zum Teil sehr kritisch bewertet (7). Die vorliegenden Daten erlauben aber keine kategorische Feststellung, daß diese Substanz deutlich riskanter als die anderen NSA ist. So hat die Food and Drug Administration kürzlich (11. Juni 1986) in den USA es abgelehnt, die Verwendung von Feldern bei Patienten über 60 Jahren zu untersagen, da die Daten kein klar deutliches Risiko, verglichen mit anderen NSA, belegen würden. Trotzdem ist eine Zurückhaltung bei dieser Substanz empfehlenswert. 
1. Eine lange Halbwertszeit ist beim Auftreten von Nebenwirkungen ein Nachteil, da trotz Absetzten der Substanz diese weiterhin lange im Organismus verbleibt.
2. Eine lange Halbwertszeit bewirkt eine sehr gleichmäßige und durchgehende Hemmung der Prostaglandinsynthese, was gerade beim Auftreten von Magen-Darm-Störungen (Ulcusbildung) ein Nachteil sein kann.
3. Die unten diskutierten Daten belegen zwar nicht eindeutig, daß Piroxicam ein höheres Risiko hat, deuten dies aber zumindest an. vor allem bei Patienten und Patientinnen über 60 Jahren erscheint es daher zweckmäßig, Alternativen den Vorzug zu geben.

 

Generelle Nebenwirkungen der NSA

Pseudoallergische Reaktionen: Bereits in der Pharmainformation 2/1 haben wir besprochen, daß alle NSA bei empfindlichen Personen (wie z. B. Asthmatikern) zur Auslösung von allergischen Symptomen (vielleicht über vermehrte Leukotrienbildung) führen können. 
Magen-Darm-Beschwerden: Alle NSA können zu Mikroblutungen bis Ulcera im Magen-Darm-Bereich führen. Wenn man Acetylsalicylsäure als Standard nimmt, so scheint Konsens darüber zu bestehen, daß zumindest einige neuere Substanzen diese Nebenwirkungen in geringem Ausmaße besitzen. Dies soll auch für das Salizylderivat Diflusinal (Fluniget) (3) gelten, insbesondere dann aber auch für die Propionsäurederivate wie Ibuprofen (Brufen), Naproxen (Proxen), und Arylessigsäurederivate wie Diclofenac (Voltaren, Magluphen). Die Magen-Darm-Störungen durch NSA sind quantitativ von großer Bedeutung, da z. B. in England ein Viertel aller Meldungen durch das Yellow-Card-System diese Nebenwirkungen einschließlich perforierter Ulcera betreffen (11).
Leider kann man keine verläßlichen Aussagen über die relative Gefahr der NSA, z. B. Verursachung von Todesfällen wegen perforierter Ulcera, machen. Ein Vergleich mehrerer Studien zeigt (12, 13, 14, 15), daß Piroxicam und Indomethazin vom Risiko her eher eine Spitzenposition einnehmen. Wie gesagt, der Unterschied gegenüber anderen NSA ist aber nicht groß genug, um verläßliche Aussagen zu machen. 
Blutbildschäden: Die Belastung der Pyrazolgruppe haben wir bereits ausführlich diskutiert. Bei den anderen Gruppen (außer Salizylaten) sind in seltenen Fällen Agranulozytose und aplastische Anämie beobachtet worden. Vergleichende Zahlen der einzelnen NSA, wie sie aus England bekannt wurden, lassen über das relative Risiko keinen verläßlichen Schluß zu (12). Nur die Pyrazolderivate und das vom Markt zurückgezogenen Benoxaprofen sind eindeutig höher belastet.
Nierenschäden: Besonders bei schon vorgeschädigter Nierenfunktion scheint die lokale Prostaglandinsynthese für den Blutdurchfluß wichtig zu sein. Dieser kompensatorische Mechanismus wird durch NSA beeinträchtigt, und es kann daher zur Dekompensation der Nierenfunktion kommen. Mittel mit langer Halbwertszeit und daher sehr konstanter Hemmung der PG-Synthese dürften hier nachteilig sein. Auf jeden Fall darf bei Patienten mit belasteten Nieren eine Gabe von NSA nur unter größter Vorsicht erfolgen (16).
Zusammengefaßt, wenn man schwere bis tödliche Nebenwirkungen im gesamten betrachtet (12, 13, 14, 15), dann ist die höhere Toxizität von Pyrazolderivaten und dem zurückgezogenen Benoxaprofen eindeutig belegbar. Piroxicam findet sich häufiger im oberen Bereich des Risikos, während Ibuprofen am wenigsten durch Toxizität belastet zu sein scheint.

 

Verwendung und Auswahl von NSA

Chronisch-rheumatische Erkrankungen: Bei diesen ist die Wirksamkeit der oben erwähnten Verbindungen belegt. Dabei zeigt sich in Doppelblindstudien öfters das überraschende Phänomen, daß die verschiedenen Substanzen objektiv eine ähnliche Wirkung zeigen, daß aber die Patienten deutliche Präferenzen für eine der Substanzen angeben (3). Gerade bei diesen schwierig zu behandelnden Krankheiten ist daher sicherlich auch diese subjektive Komponente miteinzubeziehen.
Während in den USA Salizylate stark im Vordergrund standen und erst jetzt eher Alternativen verwendet werden (3), stehen bei uns schon länger die neueren Substanzen im Vordergrund (z. B. 6).
Die kritische Analyse der Literatur empfiehlt folgendes Vorgehen: Therapiebeginn mit einem der langbewährten Propionsäurederivate (Brufen, Proxen) oder Arylessigsäurederivate (wie Magluphen, Voltaren). Wenn mit diesen Substanzen kein gewünschter Erfolg erzielt wird, ist ein Wechsel innerhalb der Gruppe eines Versuches wert, wobei Unterschiede in der Wirkungsdauer, je nach Dauer und Schwankung der Schmerzen, auch zu berücksichtigen sind. Ist kein Erfolg erzielbar, ist ein Versuch mit Indolderivaten zu überlegen.

 

Ankylosierende Spondylitis:

Salizylate sind hier weniger wirksam. Auch hier kann ein Versuch mit einem Propionsäurederivat (3) gemacht werden, man wird aber öfters zu Indomethazin und seinen Derivaten greifen müssen und für schwere Fälle als letzten Ausweg Pyrazolderivate in Erwägung ziehen.

 

Gicht:

Beim akuten Anfall stehen neben Colchizin als spezifischem und wirksamen Agens von den NSA auch Propionsäurederivate und dann das stärker wirksame Indomethazin im Vordergrund.
Zum Abschluß sei, wieder um eine Vergleichsbasis zu geben, die Empfehlung der Arzneimittelkommission der deutschen Bundesärztekammer angeführt: "Noch mehr als bei den anderen Arzneistoffen sind symptomatische Antirheumatica (NSA) bei entzündlichen und degenerativen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises dem Krankheitsbild und dessen entzündlicher Aktivität anzupassen. Man sollte mit einem NSA beginnen, mit dem große Erfahrungen vorliegen, wie Salizylate, Diclofenac, Ibuprofen, Indomethazin, Naproxen. Ermittlung optimal wirksamer Dosenverträglickeit bedarf mindestens einer Woche, erst dann, wenn nötig, ein anderes bewährtes Präparat erproben. Retardierte und substanzspezifische langwirksame Präparate bedürfen bei älteren und nierenkranken Patienten einer besonderen Überwachung. . Der Zusatz sogenannter neurotroper Vitamine ist nicht sinnvoll."

Literatur:
1. Drugs, 27, 232, 1984
2. Arzneimittelbrief 16, 73, 1982
3. Textbook of Rheumatology, S. 752, 2nd, 1985, Saunder Co.
4. Clin. Pharmacokinetics 8, 297, 1983
5. Goodman and Gilman 7 Aufl. McMillan 1985
6. Schw. med. Wschr. 112, 1200, 1982
6a. New Engl. J. Med. 313, 84, 1985
7. Transparenztelegramm, ATI Arzneimittelinformation, Berlin 1985/1986
7a. Lancet I, 113, 1987
8. Arzneitelegramm 3, 17, 1983
9. Pharmakritik, 8, 53, 1986
10. Drugs 26, 292, 1984
11. Adverse Drug Reaction Bull. 120, 448, 1986
12. Arzneitelegramm 1, 1, 1986
13. Pharmakritik 8, 10, 1986
14. Brit. med. J. 294, 147, 1987
15. Brit. med. J. 22, 1190, 1986
16. New Engl. J. Med. 310, 563, 1984

 

NSA bei Dysmenorrhoe:

Wir wollen hier nicht generell die Therapie der Dysmenorrhoe besprechen, sondern nur einige Gesichtspunkte betonen, die eine Therapie mit NSA zweckmäßig erscheinen lassen. Im Endometrium werden Prostaglandine gebildet, die Spiegel sind während der follikulären und lutealen Phase niedrig, steigen aber kurz vor dem Einsetzen der Menstruation an, wobei vor allem PGF2 und weniger PGE2 freigesetzt werden. Die angegebenen PG sollen Gefäße verengen und zum Zellzerfall im Endometrium führen. Dadurch freigesetzte Iysosomale Enzyme setzen mehr Arachidonsäure frei und führen zu weiterer PG-Produktion (1). Hohe Konzentrationen von PGF2 führen zu Kontraktionen des Uterus und über Gefäßverengung im Uterus zu Schmerz. Wenn dieses PG in den Kreislauf kommt, bewirkt es Kopfschmerzen, Erbrechen und Diarrhoen - alles Symptome, die auch bei Dysmenorrhoen vorkommen. Tatsächlich fand man bei Patientinnen mit Dysmenorrhoe eine Erhöhung der Prostaglandinfreisetzung aus dem Uterus und dazu passend, daß NSA als Hemmer der Prostaglandinsynthese bei Dysmenorrhoe wirksam sind (1, 2)
Bei primärer Dysmenorrhoe waren NSA bei 75% bis 90% erfolgreich (1, 2). Bei Verabreichung einen Tag vor der Menstruation oder am 1. Tage der Menstruation bewirkten in mehreren Doppelblindstudien sowohl Propionsäurederivate (Ibuprofen, Naproxen) als auch Mefenamsäurederivate (Fenamat) und auch Indomethazin gute Erfolge. Auch die bewährte Acetylsalicylsäure ist aufgrund des analogen Wirkungsmechanismus' eine mögliche Alternative.

Literatur:
1. Ann. Rev. Pharmac. 23, 131, 1983
2. Amer. J. Obst. Gynecol. 148, 96, 1984

 

Neu registriert: Nimodipin (Nimotop)

Nimodipin ist als Nimotop 30-mg-Filmtabletten und als Nimotop 10-mg-Infusionsflasche in Österreich registriert. 
Die Wirksubstanz Nimodipin, ein substituiertes 1,4-Dihydropyridine, ist ein Calciumkanalblocker und hemmt als solcher den Einstrom von Ca++-Ionen in erregbares Gewebe, speziell in die glatte Muskulatur der Gefäße (1). Dabei zeigt Nimodipin auch eine Wirkung auf Hirngefäße, wenn diese in vitro zur Kontraktion gebracht werden (2). Inwieweit sich Nimodipin hierbei von anderen Calciumkanalblockern unterscheidet, ist noch unklar. Zahlreiche experimentelle und klinische Untersuchungen wurden und werden laufend weiter durchgeführt, die die Wirkung der Substanz auf die globale Hirndurchblutung, die Beeinflussung des regionalen cerebralen Blutflusses, die antivasokonstriktorische Wirkung nach Subarachnoidalblutung, die antiischämische und antihypoxische Wirkung, die Wirkung bei Hirnleistungsstörungen in Folge cerebrovaskulärer Insuffizienz, bei Involutionsdepressionen und bei cerebralen ischämischen Insulten zu evaluieren zu versuchen.
Die im Austria-Codex 1986/87 angegebene Indikation von Nimodipin betrifft die protektive Wirkung gegen Vasospasmen bei Subarachnoidalblutung. Vasospasmen ereignen sich häufig 4 bis 14 Tage nach einer Subarachnoidalblutung, vermutlich über die Freisetzung vasoaktiver Produkte aus dem ausgetretenen Blut und können konsekutiv zu neurologischen Ausfällen führen (3, 4) Diese sollten durch die antikonstriktorische Wirkung von Nimodipin auf die Hirngefäße verhindert werden. Dazu existiert eine prospektive, randomisierte, placebokontrollierte klinische Doppelblindstudie (5). 125 Patienten mit einer Subarachnoidalblutung und initial normalem neurologischen Befund wurden untersucht. In der Placebogruppe erlitten 8 von 60 Patienten vasospasmusbedingte neurologische Ausfälle, bei den 56 mit Nimodipin behandelten Patienten hingegen nur einer. Dieser Unterschied war statistisch signifikant und genügte den Autoren zur Empfehlung der prophylaktischen Gabe bei allen Patienten mit einer Subarachnoidalblutung ohne neurologische Herdhinweise. Diese Empfehlung wurde auch im Hinblick darauf ausgesprochen, daß während der Untersuchung keine Nebenwirkungen von Nimodipin beobachtet wurden. Der zitierten Studie folgten einige weitere mit gleichfalls positiven Ergebnissen (z. B. 6, 7), ohne allerdings einen vergleichbaren Untersuchungsstandard aufzuweisen. Eine zweite methodisch unangreifbare Studie wurde bisher nicht (!) veröffentlicht. Insgesamt scheint der Einsatz von Nimodipin in der genannten Indikation wegen des Fehlens anderer wirksamer Medikamente derzeit vertretbar, wenngleich die zu erwartenden Vorteile den Einsatz keineswegs zwingend notwendig erscheinen lassen. Die Nimodipin-Gabe sollte - wie die Behandlung der Subarachnoidalblutung überhaupt - ausschließlich spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben.
Weitere Indikationsbereiche von Nimodipin werden untersucht, ohne daß diese Studien eine abschließende Beurteilung oder Therapieempfehlung erlauben. Groß sind die Bemühungen, die Substanz in der Behandlung der chronischen und akuten, diffusen und regionalen cerebralen Minderdurchblutung etablieren (8, 9, 10). Wir werden über Medikamente bei diesen Indikationen demnächst im Zusammenhang referieren. Therapieversuche betreffen auch die Migräne (11, 12) und die Epilepsien (13, 14). 
Abschließend kann gesagt werden, daß Nimodipin derzeit ein sehr begrenztes Indikationsgebiet zu Verhinderung von Vasospasmen nach einer Subarachnoidalblutung hat. Ob andere Verwendungsmöglichkeiten hinzukommen, bleibt weiteren klinischen Prüfungen vorbehalten. Obwohl diese Substanz in Österreich registriert ist, kann Endgültiges über ihren Platz in der Therapie einschließlich der Verwendung bei Subarachnoidalblutungen noch nicht ausgesagt werden.

Literatur:
1. Pharmacol. Rev. 20, 197, 1968
2. Brit. J. Pharmacol. 67, 409, 1979
3. J. Neurosurg. 46, 446, 1977
4. Neurosurg. 1, 245, 1977
5. N. Engl. J. Med. 308, 619, 1983
6. Neurochirurgie 28, 103, 1985
7. Neurochirurgie 28, 110,1985
8. Acta Neurol. Scand. 69, 232, 1984
9. Acta Neurochir. 63, 283,1982
10. Klin. Wschr. 63, 8, 1985
11. Euro. Neurol. 25, suppl. 72, 1986
12. Clin. Neuropharmacol. 9, 311, 1986
13. Epilepsia 5, 498, 1986
14. Eur. Neurol. 25, suppl 93, 1986

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Therapie der akuten Pankreatitis - gibt es Fortschritte durch neue Pharmaka?

Zu diesem Thema erschien kürzlich im Arzneimittelbrief (1) eine, wie dies für diese Zeitschrift meist der Fall ist, fundierte Analyse. Wir präsentieren daraus eine interessante Tabelle, die die Daten zusammenfaßt:

 

Spezielle Therapie der akuten Pankreatitis (ohne invasive Maßnahmen)

I. Indirekte Hemmung der Pankreassekretion  
     Magensonde +
     Antazida +
     Cimetidin (Chimetag, Neutromed, Supramet, Tagamet)     (+)
     Nahrungskarenz +
II. Direkte Hemmung der Pankreassekretion  
     Atropin -
     Glukagon -
     Calcitonin -
     Somatostatin -
III. Hemmung der Autodigestion  
     Antifibrinolytika -
     Phospholipase-A2-Hemmer -
     Aprotinin (A-Sanabo,Pantinol, Trasylol) -
IV. Hemmung der sekundären Entzündung  
     Antibiotika (prophylaktisch) +

+ = nötig, (+) = wünschenswert, - = unnötig

 

Hiezu noch einge interessante Textstellen: "Die Gabe von Atropin gehörte lange Jahre zur Standardtherapie der akuten Pankreatitis, da dessen Anwendung die Magen- und Pankreassekretion vermindert. Da schließlich eine propektive Studie (2) an 51 Patienten keinen therapeutischen Effekt auf die akute Pankreatitis nachweisen konnte, kann heute auf diese Therapie verzichtet werden."
" Die klinische Anwendung von Aprotinin (Aprotinin 'Sanabo', Panitnol, Trasylol) wird kontrovers beurteilt. Insgesamt 10 Studien ließen bei einer zusammenfassenden Beurteilung keine eindeutigen klinischen Effekte erkennen. Dann gelang es Trapnell und Mitarb. (3), bei Patienten mit biliärer oder idiopathischer Pankreatitis durch eine hochdosierte Therapie mit Aprotinin die Letalität auf 7% gegenüber 25% in der Kontrollgrupe zu reduzieren. Darauhin wurden 3 weitere große Studien durchgeführt (4, 5, 6, 7). In diesen konnte jedoch Aprotinin weder die Letalität noch den klinischen Verlauf der akuten Pankreatitis günstig beeinflussen. In mehreren Fällen wurden anaphylaktische Reaktionen mit tödlichem Ausgang beobachtet (8)."
Diese Daten zeigen wieder einmal, daß so manches, was in der Therapie von manchem eine Zeitlang als zweckmäßig erachtet wird, nach Vorliegen sorgfältiger Studien obsolet wird.
Über Somatostain (als Sonatostanin Linz und Somatostatin Serono; neu registriert) werden wird demnächst referieren.

Literatur:
1. Arzneimittelbrief 21, 9, 1987
2. Surgery 148, 206, 1979
3. Brit. J. Surg. 61, 177, 1974
4. Lancet 1, 632, 1977
5. Gut 21, 224, 1980
6. Scand. J. Gastroenterol. 14, 881, 1979
7. Brit. J. Surg. 65, 337, 1978
8. Hollender, L.F. et al.: Akute Pankreatitis, Urban und Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore, 1983

 

Nachtrag: Dipyridamol (in Thrombosantin):

Wir haben kürzlich diskutiert, daß Thrombosantin (Acetylsalicylsäure und Dipyridamol) gegenüber Acetylsalicylsäure allein zur Thromboseprophylaxe keine entscheidenden Vorteile bietet (siehe Pharmainformation 1, 2). Dazu erschien nun kürzlich ein umfassender Artikel im New Eng. J. Med., 316, 1247, 1987. Zwei Zitate, die unserer damaligen Schlußfolgerung entsprechen, seien übersetzt zitiert: "Die wenigen klinischen Versuche, in denen Aspirin allein mit Aspirin und Dipyridamol verglichen wurden, sprechen dafür, daß Dipyridamol wenig, wenn überhaupt etwas zur antithrombotischen Wirkung von Aspirin beiträgt. Der sich bildende Konsens unterstützt nicht eine Verwendung von Dipyridamol als Thrombozytenaggregationshemmer.

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Dienstag, 15. Oktober 1996

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

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Fax: +43 (0)512/9003-73200  

E-Mail: hans.winkler@i-med.ac.at

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